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Die Neue Galerie hat es sich zu ihrer programmatischen Aufgabe gemacht, ungewöhnliche und radikale Künstlerinnen der Öffentlichkeit vorzustellen und bzw. oder sie durch die Möglichkeit einer musealen Ausstellung in ihrer Arbeit zu unterstützen. So haben beispielsweise Sylvie Fleury und Pipilotti Rist in der Neuen Galerie ihre ersten Museumsausstellungen und ihre ersten monografischen Kataloge erhalten, bevor sie international erfolgreich wurden. Aus diesem Grunde bereitet die Neue Galerie auch die erste museale Retrospektive mit Sue Williams und das erste umfassende Buch über ihre Arbeit vor. Über das konventionelle Medium der Malerei und gelegentlich auch der Skulptur hat die Künstlerin Sue Williams, 1954 in Chicago Heights geboren und nach einem Studium am California Institute of the Arts und an der Cooper Union University in N.Y. gegenwärtig Gastprofessorin an der Akademie der bildenden Künste in Wien, sowohl thematisch wie stilistisch tabubeladene Übereinkünfte der Gesellschaft in einer Art individuellem Krieg wagemutig aufgekündigt. Bildtitel wie "Testicle Flange on the Green" (Hodenklammer auf dem Rasen) verweisen auf die sexuellen Inhalte ihrer Malerei, wie sie diese selbst nicht so explizit erkennbar machen. Die primären und sekundären menschlichen Geschlechtsmerkmale, die sich auf ihren Gemälden ausbreiten, bilden nämlich ein alles überziehendes Muster, das letztlich nur aus bewegten Linien besteht.

SUE WILLIAMS IN GRAZ Das ist, was wir zuerst sehen: Linien aus Ölfarbe auf einem relativ ruhigen Grund. Erst bei näherer Betrachtung geben sich diese Linien als menschliche Extremitäten und Körperteile preis. Die historischen Abkommen, die zwischen abstrakten und figurativen Malern beschlossen wurden, werden von Williams kritisch überprüft. War ihre Malerei anfänglich noch stark erzählerisch geprägt, sodaß neben Szenen des häuslichen Horrors und des Geschlechterkriegs witzige Kommentare zu lesen waren, hat sie im Laufe der Zeit mit zunehmender künstlerischer Komplexität die Linien der Texte und der Körperformen abstrahiert und zu einem neuen universalem Bildmuster verwebt. Haben wir uns daran gewöhnt, feministische Anliegen in der Fotografie formuliert zu finden, ist es nun überraschend, diese mit den Mitteln der Malerei vorgetragen zu sehen. Sie schreckt dabei nicht vor der Preisgabe persönlicher Erfahrungen mit den Abgründen der Psyche zurück. Aber ebenso, wie sie den Konsens der ästhetischen Mittel verletzt, übernimmt sie auch nicht die politische Korrektheit der feministischen Kritik. Sie verweigert sowohl historische geschlechtsspezifische wie künstlerische Codes. Ihre künstlerischen Attacken auf den latenten Frauenhaß der Gesellschaft zeigen nicht nur fremde und eigene Wunden, sondern werden auch in einem cartoonhaften tagebuchartigen Stil vorgetragen, der Zorn mit Witz, Leid mit Galgenhumor mischt. Die Art und Weise, wie der Pinsel den Übergang von der gestischen Mobilität der Hand zur Konfiguration von Körperlinien schafft, wird in der Art und Weise wiederholt, mit der die Künstlerin den Übergang von der Aggression zum Witz, vom abgeschnittenen Penis zur spritzenden Fontäne, schafft. Ihre fast kalligrafisch anmutende Verteilung von weiblichen und männlichen Genitalien über die Bildfläche, gelegentlich mit monochromen Farbflecken strukturiert, erzeugt eine Malerei, die als Tapete fungiert, auf der die grausame Geschichte des Krieges gegen die Frau aufgezeichnet ist. Ihre Inversion der weiblichen Ikonografie leistet allerdings einen neuen Beitrag zur Geschichte und Theorie der Malerei. Das Gewirr von Linien, Farbspritzern, Flecken und Öffnungen, das als geflochtenes Gewebe aus unbewußtem Material, als der Automatismus einer sexuellen Energie erscheint, der sich mit der Flüssigkeit der Farbe vereint, ist mehr als die Versöhnung der kontrollierten Produktion eines Erwachsenen mit der infantilen Faszination chaotischen Wucherns. Dieses Gewirr liefert neuartige Körperbilder, neuartige Bildstrategien, wie der Körper als libidonale Energie und nicht als anatomische Struktur empfunden werden könnte. Die kinetische Energie, die ihren Linearismus speist, desublimiert einerseits die heroische Abstraktion der amerikanischen Malerei und heroisiert gleichzeitig die bisher verachtete feminine Mobilität. Die Malerei von Sue Williams vereinigt auf überraschende Weise im konservativen Medium der Malerei die zwei neuen Paradigmen Visibilität und Mobilität, die normalerweise nur in den technischen Bildmedien triumphieren, unter dem Gesichtspunkt einer aggressiven und witzigen feministischen Kritik unserer Gesellschaft. Die Vermutung liegt nahe, daß nur diese feministische Perspektive solch einen malerischen Triumph ermöglichte. (Peter Weibel)

Zur Ausstellung wird ein Katalog mit Texten von Elisabeth Janus, Dan Cameron, Peter Weibel und einem Interview mit Sue Williams erscheinen. (ca. 200 Seiten, Abbildungen in Farbe)