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Die Ausstellung Womb Life von Tamara Henderson erschließt sich über mannigfaltige Erzählstränge, wovon einer sich auf eine Begegnung am Londoner Flughafen Gatwick Airport am Sonntag, den 27. Mai 2018 morgens um 10 Uhr zurückführen lässt. Im Zimmer eines im Tokio-Stil gehaltenen Kapselhotels erhält Henderson eine spontane Hypnotherapie des Hypnotiseurs Marcos Lutyens. In dem von Lutyens verfassten Therapiebericht heißt es, die Aufmerksamkeit Hendersons habe sich während der Sitzung zunehmend nach innen gerichtet: „[…] in den Schlamm, den Lehm, das Rutschen. Sie löst sich abwärts in Lehmerde auf, ausgestattet mit einem Röntgenblick für Zeit, Raum und Körper.“

Tamara Henderson entwickelt durch eine kontinuierliche Praxis des Schreibens, Zeichnens und Aufzeichnens von Alltagsgegenständen eine eigenständige Mythologie in ihrem Schaffensprozess. Indem Henderson die Strukturen von Objekten und atmosphärischen Phänomenen festhält und ihr wiederholtes Auftreten in Träumen protokolliert, versucht sie, die konventionellen Kategorien des Bewusstseins zu erweitern. Die Hypnose am Londoner Flughafen war Auslöser für eine Vielzahl von Entwicklungen, die in die Arbeit Womb Life mündeten – entstanden aus der Sprache des Schlamms und herangereift im Körper der Künstlerin, wurde die Arbeit schließlich von der Nabelschnur dekodiert und vom Puls der Plazenta geerdet.

Im Rahmen ihrer Ausstellung in den KW Institute for Contemporary Art präsentiert Henderson eine neue 5-Kanal-Filmarbeit, die ebenfalls den Titel Womb Life (2018) trägt. Diese wird von fünf Charakteren begleitet, die als performatives Mobiliar verkleidet sind und spezifische Instruktionen für freiwillige Teilnehmer*innen der Ausstellung bereithalten. Die Künstlerin verfolgt mit ihrer Arbeitsweise einen intuitiven Ansatz – so werden leblose Objekte häufig in den Akt des Geschichtenerzählens eingebunden und bahnen sich ihren gestaltwandlerischen Weg durch die verschiedenen Werkkomplexe, Zeitzonen und Räume.

Der auf 16mm gedrehte und in der Kamera geschnittene Film dokumentiert die epische Reise des Projektes – beginnend mit der Hypnose am Gatwick Airport, über die Geburt der Protagonisten im Rahmen der Kiln Residency an der CASS Sculpture Foundation und einer Performance auf dem Londoner Flower Market im Rahmen der Art Night 2018, bis hin zu ihrer finalen Ausführung in Form von Möbelskulpturen in den KW. Alle fünf Charaktere sind als performative Körper angelegt, die jeweils eine Schlüsselrolle in der Konzeption des Films einnehmen – ihre Körper werden beleuchtet, ihre Stimmen verstärkt und ihre Bewegungen aufgezeichnet. Die Charaktere beruhen auf dem circadianen Rhythmus der Natur, dem Ursprung der Samen und dem Zusammenspiel mit den elementaren Licht-, Erd- und Wasserquellen.

Handgefertigte Vorhänge aus Hendersons früheren Arbeiten verkleiden die Fenster und verwandeln den Ausstellungsraum in einen höhlenartigen Ort, in dem Film und Skulpturen eine vielschichtige Interaktion eingehen. Das Zusammenspiel von älteren und neueren Arbeiten zeigt, dass der verzweigte Entstehungsprozess der Stücke nur bedingt der Kontrolle der Künstlerin unterliegt, während ein weitaus größerer Teil von unbewussten Prozessen gesteuert wird, die auf hypnose-, trance- und traumartigen Zuständen beruhen.

Kuratorin: Anna Gritz

Assistenzkuratorin: Maurin Dietrich