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TAMARA K.E. '5 minutes of random love'
09.11.2019 — 21.12.2019

Vernissage: Freitag, den 8.11.2019 um 19 Uhr Bilker Str. 4-6, Düsseldorf

Wir freuen uns sehr, mit ›5 Minutes of Random Love‹ die erste Ausstellung von Tamara K.E. bei Beck & Eggeling zu zeigen. Es ist die erste Einzelausstellung der Künstlerin in Deutschland seit 2007.

Die Ausstellung verbindet in einer mehrschichtigen Inszenierung zum Großteil Arbeiten aus der Serie ›Farewelling Junkyard‹ und eine kleine Auswahl Papierarbeiten der Serie ›Smart Mascara‹, die K.E. 2014 in New York begonnen hat.

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Five Minutes of Random Love
Gregor Jansen

Die Ausstellung von Tamara K.E. provoziert bereits im Titel: Fünf Minuten zufälliger Liebe! Ist hiermit ein Quickie gemeint, etwas, was laut Duden schnell, in verkürzter Form erledigt, abgehandelt oder ähnliches wird, oder gar, umgangssprachlich und mit Random Love sicher treffender, ein rasch vollzogener Geschlechtsakt? Liebe mag ein Zufall sein, aber fünf Minuten eines allgemein als höchstes der Gefühle angesehenen Glücks im Leben, sind dann doch eher die nicht so tiefgehende, schmachtenden Anhimmelung und Innigkeit.

In der Ausstellung selber ist es jedoch ebenfalls keineswegs so, dass diese schnell, in verkürzter Form erledigt, abgehandelt werden kann. Die Bildwerke wie auch das gesamte Setting sind etwas verstörend, holen einen ab im Abgrund der Psyche, schildern von Trauma. Ein Stück ist mit Vogelaugenahorn gerahmt, einige Arbeiten auf Papier mit figurativen Elementen, Körperteilen oder Köpfen, ihr Erscheinen und Ihre Handlungen erinnern an Wunden und Folterszenen, andere Arbeiten sind auf Diafilm ausgeführt. Ebenso verstörend die Bronzeschaukel à la afrikanischer Maske, mit Juteseilen von der Decke hängend, ist der für die Nutzung geeignet (guests are welcome to swing). Maskierungen, Rüstungen, Harnische, Kammerspiele und offensichtliche Gewaltanwendung. Das Grauen ist keine Illusion, aber gleichwohl vorgestellt. Eine 3D-Video-Animation lässt sich einbinden, die weibliche Handgelenke zeigt, die sich zufällig aneinander reiben und 90 Sekunden lang eine Schleife bilden. Was ist da los?

Körperliches Leiden als Sinnbild seelischer Pein und die Suche nach adäquaten Formen und Farben? Eine Sinnsuche inmitten der Sinnentwendung unseres Daseins? Die Hauptgruppe der Arbeiten stammt aus der Serie »Farewelling Junkyard« – soviel wie »Lebewohl Schrottplatz«. Die Halbtransparenz und das glänzende und leichte Erscheinungsbild der Bilder von Tamara K.E. werden durch schwere Bronzesubstanz und glitzernden blauen Bildschirm hervorgehoben.

Die heutige Welt als soziale Fabrik voller Lärm, Eskalation und Beschleunigung fordert uns auf, neuere und weniger neuere traumatische gesellschaftspolitische Themen zu reflektieren, neu vorzustellen, neu zu konzipieren, um uns zu bewegen. Tamara K.E. geht diese Wege nicht nur vorwärts, sondern schlicht und geradlinig auf das bestimmte ES zu, lenkt ihren und unseren Blick auf das, was bereits als »unbekannte Zukunft« des ICH vorgeschlagen wurde, eine extrem lustvoll giftige Mischung aus menschlichen Inkompatiblen; dem ÜBER-ICH womöglich?

Das Exponat im Einzelnen wie die Ausstellung als Inszenierung führt den letzten Abschiedsaufschrei des Schrottplatzes Leben auf, der an die Komplexität der Hysterie erinnert (eine Krankheit, die einst ausschließlich für Frauen geprägt war und heute nicht mehr als medizinische Störung, sondern als Sprache angewendet wird). In den 1980er-Jahren als erste Untergangszenarien wie Overkill oder Waldsterben das Denken prägte, erschienen viele kritische Auseinandersetzungen mit dem aus dem 18. Jahrhundert stammenden Konzept der Hysterie, mit der Folge, dass der Begriff aus der medizinischen Terminologie gestrichen wurde. Stavros Mentzos (1930–2015) leitete eine Abkehr von der Symptombeschreibung hin zu einem (zunächst noch hysterisch genannten) Modus einer neurotischen Konfliktverarbeitung ein und spannte einen Bogen auf zwischen Menschen, die ihre Sexualität sehr herausstellen, zu anderen, die ihr möglichst wenig Aufmerksamkeit schenken. Umgangssprachlich lebt der Begriff fort und meint meist Menschen oder ein Verhalten, das durch Theatralik und einen übertriebenen Ausdruck von Gefühlen – teils mit sexuellem Anstrich – gekennzeichnet ist.

Die Komponenten in der Ausstellung von Tamara K.E. spiegeln diese psychologisch enorm spannungsgeladenen Dynamiken unserer kulturellen Erinnerungen sowie den permanent anhaltenden Übergangsprozess wider. Es vereint eine Vielzahl von Konfigurationen, die mehrere Entitäten – digital gegen analog, handgemacht gegen hergestellt, Werte gegen Ideologien, irgendwo seitlich auch ein weibliches Subjekt – zu einem diskreten Körper im räumlichen wie seelischen Sinne zur Anschauung bringt; und letztlich im Sound der Mütter zusammenführt.
Kurz zu Wort- und Sinnspiel. »Verhaltenslehren der Kälte« und „Sound der Väter“ über Gottfried Benn sind zwei der wichtigsten und hochkomplexen Bücher von Helmuth Lethen, in denen die Ichpanzerung gepriesen wird – sozusagen als Maßnahme gegen die »Schläge« und »Wunden«, die Zeit und Welt und Geschichte uns versetzen. Somit: Hornhaut ums Herz! Auch Schwielen ums Hirn? Gibt es gar keine Haltung mehr, die Geschichte vorwegnimmt, sie aufgreift und weiterzutreiben sucht? Dass die Bindung an den Körper diesen Verdacht nur bestärkt und bestätigt, ist absolut kein Trost.
Fünf Minuten zufälliger Liebe somit? Tamara K.E. spielt an auf das nicht eingelöste Versprechen illusionärer Identität, in dem der/das Andere außen vor bleiben, aber unabdingbar sind, und insofern die Konstruktionen einer heilen und heilenden Welt fragwürdiger denn je geworden ist; Phantasmen und Phantome allerorten, virtuell und imaginär an vorderster Front; ihre verstörende Macht ist als Gewalt dechiffrierbar. Die Symptome des Schautriebs – die Macht des Blicks – und die Lücken der Wahrnehmung zwischen Kunst und menschlicher Psyche sind haargenau die Dimension des unheimlichen, zeitgenössischen Bilderrätsels von und in »Five Minutes of Random Love«, einem wunderbaren, neuen alten Schauerroman.
Die Liebe ist ein seltsames Spiel, sang Connie Francis 1960: Sie kommt und geht von einem zum andern. Sie nimmt uns alles. Doch sie gibt auch viel zu viel. Die Liebe ist ein seltsames Spiel. Und da waren Tamara K.E. und ich zwar noch nicht geboren, aber die Phantasmen bereits mitten unter uns.

»Es ist das Phantom unseres eigenen Ichs, dessen innige Verwandschaft und dessen tiefe Einwirkung auf unser Gemüt uns in die Hölle wirft, oder in den Himmel verzückt.« (E.T.A Hoffmann, Der Sandmann, 1816)

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