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Erste Eröffnung Sonntag, 23.10.2005, 20 Uhr: Sammlung No one may ever have the same knowledge again - The Museum of Jurassic Technology (Los Angeles); Sammlung so geht revolution - Mediologische Vereinigung (Ludwigsburg); Heinos Raritätenkabinett (Sieglitz); Sammlung Rausch (Frankfurt am Main).

Zweite Eröffnung Sonntag, 30.10.2005, 20 Uhr: Sammlung Vom Terror zur Unabhängigkeit - Lettisches Okkupationsmuseum (Riga); Sammlungen Vinyl Plastics Collection und Kaekko - Hiroshi Fuji (Fukuoka); Russen-Antennen - Werkbundarchiv - Museum der Dinge (Berlin).

Zum Projekt: Als materialgewordenes Assoziieren ist alles Sammeln der stetige Versuch, damit umzugehen, dass Zeit vergeht. Sammeln als Kulturtechnik hat nicht nur etwas Behütendes, sondern ebenso etwas Ängstliches. Dabei gilt die Sorge nicht nur dem vergangenen Verlorenen, sondern auch dem zukünftig Ungewissen. Sammlungen sollen als zeitüberwindende Spiegel derer dienen, die sie anlegen und selbst weniger dauerhaft sind als ihre Spiegel. Sammeln beruhigt und versöhnt. Auf unerwartete Ereignisse, Zufälle, neue Bedingungen antworten stets die Tätigkeiten des Sammelns – Sammeln trägt Sinn, Ordnung, Begrenzung und Bedeutung in das Zufällige, Bedrohliche, Unübersichtliche oder Fragmentierte. The Social Collector präsentiert sieben verschiedene soziale Motive des Sammelns in entsprechender Exponateauswahl und damit Akteure, die einer scheinbar unabänderlichen Ordnung der Dinge mit einer sehr eigenen Ordnung begegnen:

Sammlung No one may ever have the same knowledge again – The Museum of Jurassic Technology (Los Angeles) Das Museum of Jurassic Technology in Los Angeles ist eine Kreuzung aus einzigartigem Bildungsinstitut für Naturgeschichte und Künstlerinstallation und als solches der Erweiterung des Wissens über die frühe Jurazeit bis heute gewidmet. Über die Erfahrung eines Spaziergangs in die Vergangenheit und unter Verwendung von Mitteln der zeitgenössischen Kunst funktioniert das von Museumsgründer und -kurator David Wilson betriebene Privatmuseum wie ein Zaubertrick: Man ist sich nie ganz sicher, was Wahrheit und was Illusion ist. Die Ausstellungen erkunden Phänomene, die denkbar, wenn auch nicht immer wahrscheinlich sind. Zu ihnen gehört eine Sammlung von circa dreißig Briefen, die seit 1911 bis heute von gebildeten wie ungebildeten Zeitgenossen aus aller Welt an die Mount Wilson Sternwarte in der Sierra Madre nahe Pasadena / Kalifornien gerichtet werden. Brachten viele Briefe einfach die Würdigung und Ehrfurcht vor der geleisteten Arbeit der Astronomen zum Ausdruck, hatten eine weitere Anzahl von Briefen Personen verfasst, die vermeinten, wichtige Erkenntnisse zu haben, auf die sie über Experimente, Beobachtungen oder Eingebungen gestoßen waren und die sie mit den Astronomen teilen müssten. Ausnahmslos alle hatten ein starkes Bedürfnis danach, ihre Ermittlungen dringend gegenüber den professionellen Beobachtern vom Mount Wilson Observatorium kommunizieren zu müssen. Generationen von Astronomen gaben diese Briefe aneinander weiter. Nun sind sie als Sammlung No one may ever have the same knowledge again („Niemand wird je wieder dasselbe Wissen haben“) Bestandteil des Museum of Jurassic Technology.

Sammlung so geht revolution – Mediologische Vereinigung (Ludwigsburg) Commandante Che Guevara fordert dich auf, an einem Salsa-Tanzkurs teilzunehmen und Karl Marx wirbt im Format A2 für den Kauf einer Office-Software: „Die Werktätigen müssen die Produktionsmittel besitzen“. Heutige Botschaften aus der glitzernden Werbewelt fordern dazu auf, schwarz zu fahren, blau zu machen oder es heißt ganz einfach: „Radikalisier das Leben!“ Folgerichtig finden sich auf den T-Shirts modebewusster junger Menschen auch eindeutige Botschaften: „Disarm now!“, „Protest“, „Rebellion“ oder auch „Prada-Meinhof“. Linke Themen und die „Helden“ der Bewegung sind erneut, wenn auch verändert, in unseren Alltag zurückgekehrt. Der Ludwigsburger Kulturwissenschaftler Rudi Maier sammelt seit langer Zeit Werbeanzeigen und TV-Spots, die von Straßenschlachten und den Pop-Ikonen der Linken handeln. Einhundert dieser Anzeigen rund um die Themen Freiheit, Radikalisierung und Revolution aus den Jahren 1967 bis heute gewähren einen Einblick in diese Sammlung.

Heinos Raritätenkabinett (Sieglitz) Im Plattenbau einer ehemaligen sozialistischen Dorfschule in Sieglitz / Sachsen-Anhalt betreibt der Pensionär Heino Kirbst mit Frau Christel Heinos Raritätenkabinett aus dreißig thematischen Räumen zur deutschen Alltagskultur. Dieses öffentliche Nahweltmuseum (eine Führung dauert 90 Minuten) zeigt den Tiefengrund der beruflichen, schulischen und privaten Bereiche, die die Grundlage einer sozialgeschichtlich erfassbaren Lebenswelt bilden. Die Räume tragen Bezeichnungen wie „alles über Sägen und Holz“, „Weben, Stricken & Spinnen“, „Poststelle 70er Jahre“, „209 Nähmaschinen“, „Telefone & Funkgeräte“, „alles über Tabak, Zigaretten & Zigarren“, „Schuss- & Jagdwaffen & z. Z. 100 Bügeleisen“ oder „Mus- & Sirupherstellung“. Nebenher sammelt Familie Kirbst Kinderspielzeug, Traktoren und Oldtimer. Die Präsentation der Sammlung Kirbst konzentriert sich auf besondere Maschinen und Apparate wie die Pfannkuchenspritze, den Rasierklingenschärfer, die Gebisskautschukpresse, die Kirschentkernmaschine, das Brieftaubenzählgerät, das Wühlmausfanggerät, die Tablettenvernichtungsmaschine, die Eintastschreibmaschine oder die Hutkrempennähmaschine.

Sammlung Rausch (Frankfurt am Main) „Denk dran, du gehst bald, dass etwas hier bleibt!“ pflegt der Hausmeister an der Städelschule die Studierenden zu erinnern. Seit zwölf Jahren, als zwei damalige Absolventen Hartmut Rausch zum 50. Geburtstag je ein Werk schenkten, wächst die Sammlung junger zeitgenössischer Kunst des Ehepaares Rausch. Aus dem Wohnzimmer wurde ein Kunstzimmer, es entstand ein bewohnter Ausstellungsraum mit einer hochkarätigen Sammlung aus mittlerweile etwa einhundert Arbeiten von Studierenden und Lehrenden der Staatlichen Hochschule für Bildende Künste in Frankfurt am Main. Durch ihren Beruf lernen die Rauschs – selbst weder Kunstexperten noch kommerziell Interessierte – viele Künstlerpersönlichkeiten verschiedenster Nationen kennen, Menschen, die ihnen vertraut sind und deren Geschichten sie kennen. Etablierte Namen wie z.B. Ayse Erkmen, Christa Näher, Hermann Nitsch, Thomas Bayrle, Per Kirkeby oder Peter Angermann sind ebenso vertreten wie viele andere, die man vielleicht noch kaum gehört hat. Die Sammlung Rausch, offen und vielschichtig-verspielt, begründet sich stets aus sich selbst. Dies unterscheidet sie grundlegend von anderen Kunstsammlungen, die doch meist konkrete Leidenschaften und entsprechend eigene Sehgewohnheiten der Sammler widerspiegeln.

Sammlung Vom Terror zur Unabhängigkeit – Lettisches Okkupationsmuseum (Riga) In fast allen ost- und südosteuropäischen Ländern entstanden in nur wenigen Jahren zeitgeschichtlich orientierte Museen und entsprechende Sammlungen, die sich mit der Diktaturgeschichte in den jungen postkommunistischen Staaten auseinander setzen. Das 1993 gegründete Lettische Okkupationsmuseum in Riga thematisiert Einfluss und Terror des nationalsozialistischen sowie des kommunistischen Regimes gegen die Bevölkerung des baltischen Staates und deren Konsequenzen, aber auch den Widerstand gegen die Besatzung bis hin zur staatlichen Unabhängigkeit 1991. Das Museum versteht sich als Ort des Gedenkens an jene Menschen, die verfolgt, inhaftiert, zwangsdeportiert und exekutiert wurden oder infolge von Gewalt, Flucht oder Not zugrunde gingen. Eine Sammlung aussagekräftiger Objekte stützt die Erinnerung an Zehntausende Letten, die in der Zeit der Deportationen unter Stalin in die Lager des GULAG nach Sibirien und in andere entlegene Gebiete der UdSSR verschleppt wurden. Die Schöpfer oder Besitzer dieser Gegenstände bzw. deren Leidensgenossen oder Angehörige haben sie dem Museum anvertraut. Und so treffen jene Zeitzeugnisse nicht nur Aussagen über ein Leben unter unmenschlichen Bedingungen, sondern auch über den Willen zum Leben – den Willen, die Würde und Menschlichkeit während all dieser Gräuel zu bewahren.

Sammlungen Vinyl Plastics Collection und Kaekko – Hiroshi Fuji (Fukuoka) Kaekko ist eine Tauschbörse, mit deren Hilfe Kinder in gegenseitigen Handel treten, indem sie nicht mehr gemochtes bzw. benutztes Spielzeug sammeln und gegen andere gebrauchte Spielwaren, die sie wiederum mögen, eintauschen. Zu diesem Zwecke erfand Hiroshi Fuji im Jahr 2000 die universale Kinderwährung „Kaeru Points“, ein Punktesystem mit Punktkarten, das ohne Geld und damit ohne den Einfluss eines monetären Wertesystems auf wirtschaftlicher Grundlage auskommt. Wertlose Gegenstände erlangen durch ihre Umverteilung beim neuen Besitzer einen neuen Wert. Als regionale und soziale Aktivität, Workshop, Bildungsprogramm und sich ständig erneuernde Sammlung kann dieses alternative Kaufmannsladenspiel, für das Hiroshi Fuji nur sein Know-how anbietet, ohne stets dabei sein zu müssen, in Museen, Einkaufspassagen, Stadtbezirkstreffs oder andernorts veranstaltet werden, solange es enthusiastische Mitorganisatoren gibt. Es kann aber auch als Angriff auf unsere wirtschaftlichen Aktivitäten angesehen werden.

Wie das von seinen beiden Töchtern inspirierte Projekt Kaekko startete auch die Vinyl Plastics Collection – wenn auch unter unvermeidlichen Umständen – zu Hause. Weil Familie Fuji die Müllabfuhrgebühren nicht mehr bezahlen konnte, durfte sie auch keinen Abfall mehr entsorgen, war gezwungen, den Hausmüll zunächst daheim, später in einem ausgedienten Hühnerstall zu sammeln, trennen und reinigen und startete deshalb die gemeinsame Anstrengung Domestic Waste Zero Emission. Auf Abfallprodukte aus Erdöl wie Imbissverpackungen, Plastikflaschen oder Styroporböden warf Hiroshi Fuji dabei ein besonderes Auge, sah er darin doch die scheinbar unvermeidliche Schattenseite und das Symbol der Ära des Massenkonsums des späten 20. Jahrhunderts, in der er aufgewachsen war. Wenn sich heute unser Wertebewusstsein zu ändern beginnt, werden die weit verbreiteten Petroleumprodukte eines Tages Symbole mit Seltenheitswert aus einer vergangenen Zeit sein. Deshalb und bis dahin baut der Netzwerker und alternative Materialrecycler Hiroshi Fuji mit vielen Freunden die Vinyl-Kunststoff-Sammlung auf, deren Skulpturen (Drachen, Boote, Flugzeuge), Möbel, Kleidungsstücke oder Taschen, die er „Demonstrationen“ nennt, aus Tausenden ausgedienter Plastikflaschen o. ä. bestehen.

Russen-Antennen – Werkbundarchiv – Museum der Dinge (Berlin) Aus Blech- und Plastikresten, Metallstangen, Latten, Drähten, Schnüren und Kabel bauten russische Soldaten einst ihre Antennen zum Empfang von Rundfunk- und Fernsehprogrammen. Nach dem Truppenabzug in den 1990er Jahren wurden diese als Müll zurückgelassen. Mitarbeiter des Werkbundarchivs demontierten die Antennen in den verlassenen Kasernen rund um Berlin und nahmen sie in die Sammlung auf. Wenngleich diese Ansammlung nicht den technischen Standard der Roten Armee repräsentiert, sind die Fundstücke aber dennoch als Notprodukte dem dortigen Mangel in Bezug auf die individuellen Bedürfnisse der Soldaten und im alltäglichen Kasernenleben geschuldet. Die Wünsche der Menschen, mitzuhören, sich zu beteiligen, sind in diesen Relikten sowjetischer Besatzung genauso gegenwärtig wie die Lust an der improvisierten Form und die Idiotie der politischen Situation. Das Werkbundarchiv – Museum der Dinge, das seit Mitte der 1980er Jahre seinen Standort im Berliner Martin-Gropius-Bau hatte, verfügte von Ende 2002 bis Sommer 2005 über keine eigenen Ausstellungsräume. Deshalb realisierte das Museum – das wohl wie kein anderes die selbstkritische Reflexion der Praxis des Sammelns offen legt und eine gewitzt-wachsame Haltung gegenüber Wissenschaft und Museologie kultiviert – dingliche Gastkommentare und Installationen an anderen öffentlichen Orten.

Mit Unterstützung der Kulturstiftung des Bundes, der Kulturstiftung des Freistaats Thüringen, der Stadt Weimar, der Stiftung Federkiel und des ACC-Förderkreises.

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The Social Collector
151. Ausstellung der ACC Galerie Weimar, in Zusammenarbeit mit Ronald Hirte

23.10.05, 21:00 Vortrag und Gespräch David Wilson, Direktor und Kurator, The Museum of Jurassic Technology, Los Angeles "No one may ever have the same knowledge again'"