Kunstsammlung Jena

Jena Kultur | Städtische Museen Jena, Stadtmuseum & Kunstsammlung Jena | Markt 7
07743 Jena

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Vernissage: Freitag, 11. Dezember 2015, 19 Uhr

Wie kein anderer hat der 1940 in Tetschen-Bodenbach geborene Maler, Grafiker, Typograf Hans Ticha den Irrwitz politischer Inszenierungen in Bildern festgehalten, deren freundliche Farbigkeit nur wenig mit der grauen Wirklichkeit der einstigen Deutschen Demokratischen Republik gemeinsam hat. Wir sehen Bruderküsse, Vertragsabschlüsse, Ordensverleihungen, Gleichschritt und immer wieder gibt es viel Beifall für ein System, das 1989 als Farce aufflog und schließlich zusammenbrach.

Hans Ticha hat den Irrwitz dieser Rituale in Rubriken zerlegt, sortiert und zur Grundlage einer Malerei gemacht, die ihre ursächliche Kraft vor allem aus der symptomatischen Verdichtung der Ereignisse bezieht. Eine in solcher Weise sich bildende Anschauung bewahrt den Künstler von Beginn an vor larmoyanter Nabelschau und führt zur einer kraftvollen Malerei, die auch in der vergrößerten Kunstlandschaft der Gegenwart einzigartig ist. So wie einst Fernand Léger findet Ticha zu einer Art „Élément mécanique“, einer konstruktiv unindividualistischen Bildsprache, die sich mit der Konzentration auf wesenhafte Formen von der erzählerischen Bildnerei abwendet und damit ein zentrales Anliegen der Malerei in den Mittelpunkt rückt. Viel Beifall hat er dafür nicht bekommen und auch in der zuweilen bemühten Vielfalt des Prenzlauer Berges ist Ticha ein Außenseiter geblieben, einer, dessen farbenfrohe Analysen sich aus Humor und Skepsis gleichermaßen speisen.

Im Verzicht auf die Ausmalung des eigenen Befindens wachsen die Formen in Variationen, Kombinationen und Gliederungen, bilden Grenzen und generieren aus der Dynamik von Fläche und Körper eine Bewegtheit, die sich in Verdichtungen steigert. Ticha entwickelte eine heitere Ikonografie eines sich selbst applaudierenden Staates, der sich ideologisch aufwarf und damit seine Bürger offen oder verdeckt entmündigte. Nicht umsonst zählen die „Klatscher“ zu Tichas stärksten Motiven und sind bis heute in ihrer symptomatischen Konstruktion aktuell. Geschrumpft zu Marionetten mit winzigen, gesichtslosen Kugelköpfen und überdimensionierten Händen illustriert dieser Figurentypus die Dämonie einer Gemeinschaft, deren Wesen sich über das Bewusstsein der Masse erklärt. Ticha modelliert die dazu passende bildnerische Architektur, in der die Dinge – essenziell verknappt – eine nahezu kolossale Präsenz verströmen und sich zugleich in serieller Vervielfältigung entwerten. Es braucht viel Mut und noch mehr Humor, um solche Bilder zu malen. Viele der in der Ausstellung versammelten Bilder konnten in den Jahren ihrer Entstehung weder gezeigt noch publiziert werden. Allein deren Existenz war bereits ein Politikum und barg allerlei Gefahren für den Künstler.

Die Kunstsammlung Jena widmet sich mit dieser Retrospektive dem vielseitigen und zugleich höchst eigenwilligen Bilderkosmos von Hans Ticha und zeigt in einer Auswahl von etwa 70 Werken Bilder, Zeichnungen und Objekte aus allen Schaffensphasen. Die Ausstellung konzentriert sich auf die Königsdisziplin der Kunst, die Malerei und zeigt darüber hinaus einige wenige Zeichnungen und Plastiken. Die ebenfalls umfangreich im Gesamtwerk aufgestellten Bereiche der Grafik und Buchkunst konnten hingegen nicht berücksichtigt werden.

Hans Ticha hat zunächst Pädagogik in Leipzig studiert, bevor er ein Studium an der Hochschule für bildende und angewandte Kunst in Berlin-Weißensee aufnahm. Bekannt wurde er vor allem mit seinen Illustrationen für Bücher und Zeitschriften, so etwa für Hans Falladas „Geschichten aus der Murkelei“ (1973). Daneben entstanden jene Zeichnungen und Gemälde, mit denen er Zeitgeschehen einfängt. Seit einigen Jahren erfährt das Werk Tichas zunehmende Aufmerksamkeit durch Ausstellungen bedeutender Institutionen und damit auch eine längst überfällige Anerkennung.

Zur Ausstellung erscheint ein Katalog mit 184 Seiten, einigen Texten und einem umfangreichen Bildteil.