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eröffnung | freitag, 05. februar 2016, 19 uhr

Mit der Ausstellung »tobias madison | das blut, im fruchtfleisch gerinnend beim birnenbiss« präsentiert die kestnergesellschaft ab dem 06. Februar 2016 eine Einzelausstellung des jungen Schweizer Künstlers Tobias Madison.

Die künstlerische Praxis Tobias Madisons entzieht sich einfachen Kategorisierungen, im Zentrum steht jedoch die grundlegende Frage nach Selbstbestimmung und Autonomie, nach den Freiräumen der Kunst, des Einzelnen und der Institutionen heute. Eigens für die Ausstellung hat Tobias Madison ein Konzept entwickelt, das die gesamte Ausstellungsfläche der kestnergesellschaft umspannt und in dessen Zentrum die Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Kindern und Erwachsenen im Kontext unterschiedlicher gesellschaftlicher Vorstellungen des »Kinds« und pädagogischer Ansätze steht.

Tobias Madison vertritt einen erweiterten Begriff künstlerischer Arbeit und bewegt sich in verschiedenen Sparten der Kunst – in Video und Film, Fotografie, Objektkunst, Performance und Theater. Seine künstlerische Praxis zeichnet sich durch einen Hang zur Kollaboration aus; oft tritt er auch als Kurator, Verleger, Cineast oder Autor auf. Ausgangspunkt seiner Werke ist neben der Frage nach den Freiräumen von Kunst und Kunstinstitutionen auch die Beschäftigung mit der omnipräsenten Ökonomisierung moderner Lebensbereiche. In der Verstrickung von Charakteristika öffentlicher Institutionen, kommerzieller Galerien, Kinos oder Off-Space hinterfragt Madison die Funktionsweise dieser Orte, um eine Auseinandersetzung mit ihren Rollen innerhalb der Gesellschaft zu provozieren.

Im Mittelpunkt der Ausstellung steht ein von Tobias Madison in Zusammenarbeit mit Marin Eze und ehemaligen Kindern der evangelisch-lutherischen Kindertagesstätte Hannover-Hainholz erarbeiteter Film. Ausgehend von Schuji Terayamas japanischen Experimentalfilm »Emperor Tomato Ketchup« (1971), der die Revolution der Kinder über die Erwachsenen in einer postapokalyptischen Gesellschaft zeigt, nutzt Madison die Ausstellungsräume der kestnergesellschaft, um gemeinsam mit den Kindern eine Revision des historischen Films zu erarbeiten. Während jedoch der Originalfilm als politische Kritik an den historischen, linken Gruppierungen Japans zu sehen ist, versteht Madison seine Revision, die auf Elemente klassischer Märchen verweist, vielmehr als eine Kritik an »Emperor Tomato Ketchup« selbst. Im Gegensatz zu Terayamas Arbeit, in der die Kinder zur Projektionsfläche erwachsener Vorstellungen und Ideologien werden, entsteht die eigentliche Inszenierung in Madisons Projekt erst in Kooperation mit den Kindern. Madison, der bereits für frühere Arbeiten, beispielsweise für Carnegie International 2013, mit Kindern und Jugendlichen zusammengearbeitet hat, gibt im Vorfeld lediglich das Script und die Filmmusik, die von Stefan Tcherepnin erstellt wird, vor. Das neu entstehende Video wird so zu einer experimentellen Befragung von Autorschaft und Handlungsspielräumen, zu einer Diskussion über das Diktat des Künstlers sowie die möglichen Freiräume der Kinder und der Kunst.

Mit seinen Werken sucht Tobias Madison im Spannungsverhältnis von Kunst und Institution nach neuen Wegen der Dialektik von individuellem, kindlichem Handeln und dem Kind als Projektionsfläche normativer erwachsener Vorstellungen zu begegnen – und stellt damit die fundamentale Frage nach individueller Selbstbestimmung in der modernen Gesellschaft. Die Gestaltung der Ausstellung wurde bei dem Bühnenbildner und Art Director Mathias Renner in Auftrag gegeben, der auch das Set-Design des Filmes entwirft. Renner erarbeitet zudem mit einer Auswahl von Madisons Werken das Interieur der Ausstellung, welches zur Schnittstelle der Erfahrung von Film und Ausstellungsbesuch wird.

Darüber hinaus wird die Ausstellung durch eine von Madison in Auftrag gegebene Porträtserie der Fotografin Mathilde Agius ergänzt. Gezeigt wird ein professionelles Kindermodell, welches ein Schild mit der Aufschrift »LUSH« präsentiert. In Anlehnung an die virale Marketing-Kampagne der Band »Lush« zu ihrem Album »Lovelife« (1996), verweisen die Aufnahmen als Pressematerialien, Werbung und Poster auf die Mehrdeutigkeit von Bildmaterial in der heutigen visuellen Kultur, als auch auf die Auflösung von Kindheit als ökonomisch unantastbarer Raum.

Tobias Madison (*1985 in Basel, lebt in Zürich und Los Angeles) hat 2011 sein Studium an der Zurich University of the Arts (ZHdK) abgeschlossen und bereits während seines Studiums an namhaften internationalen Kunsthäusern ausgestellt. So zum Beispiel in der Kunsthalle Basel (Basel, 2007, 2010), The Modern Institute Glasgow (Glasgow, 2013, 2014), Kunsthalle Zürich (Zürich, 2013), Fridericianum (Kassel, 2013), Carnegie Museum of Art (Pittsburgh, 2013), Arnolfini (Bristol, 2013).

Kuratorin der Ausstellung: Christina Végh
Kuratorische Assistenz: Milan Ther

EXTRA
Tobias Madison hinterlässt der kestnergesellschaft für die Dauer der Ausstellung eine koptische Totenmaske. Dieses »Extra« ermöglicht einen weiteren Zugang zu den Kernthemen der Ausstellung und fließt in die begleitenden Vermittlungsprogramme der kestnergesellschaft ein.

katalog
Es erscheint ein Katalog in Form einer Schallplatte, die neben dem Soundtrack zum Film, neu aufgenommene Kinderlieder und Texte u.a. von Tobias Madison, Milan Ther und Christina Végh enthält.

edition
Exklusiv für die Mitglieder der kestnergesellschaft erscheint die Edition »Moon Unit« (benannt nach Frank Zappas Tochter) von Tobias Madison, die die bestehenden Editionen von Yoko Ono und Olafur Eliasson zu einem eigenen, nicht konsistentem Universum vereint.

öffnungszeiten Dienstag bis Sonntag 11 – 18 Uhr | Donnerstag 11 – 20 Uhr
Montag geschlossen
Karfreitag, 25.03, 11 – 18 Uhr
Ostersonntag, 27.03. und Ostermontag 28.03., 11 – 18 Uhr