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Das Museum Haus Konstruktiv freut sich, dem international anerkannten Konzeptkünstler Tobias Putrih (geb. 1972 in Slowenien, lebt in Cambridge, MA) die erste Einzelausstellung in der Schweiz ausrichten zu können. Putrihs Interesse für die Utopien und Ideologien der klassischen Avantgarde und seine Frage nach den Einflussmöglichkeiten von Architektur, Design, Wissenschaft und Kunst auf die Gesellschaft sind vor dem Hintergrund der konstruktiv-konkreten Kunstgeschichte besonders aufschlussreich. Putrihs Arbeiten waren bereits in zahlreichen viel beachteten Ausstellungen und Institutionen zu sehen: Der Künstler war Repräsentant des slowenischen Pavillons an der 52. Biennale von Venedig (2007); seine Einzelausstellung im Centre George Pompidou in Paris (2010) beeindruckte ebenso wie jene im BALTIC Centre for Contemporary Art in Gateshead, UK, (2009) oder im Neuberger Museum of Art – State University of New York (2007). Putrih vertritt eine junge Künstlergeneration, die sich frei zwischen den künstlerischen Gattungen bewegt und ihr Hauptaugenmerk auf konzeptuelle Überlegungen richtet. Im Museum Haus Konstruktiv wird eine Ausstellung mit neuen, ortsspezifischen Installationen präsentiert.

Für die Ausstellung «Solar Limb» ging Tobias Putrih von der ersten futuristischen Oper «Sieg über die Sonne» aus, die 1913 im Lunapark-Theater in Sankt Petersburg aufgeführt wurde und bei der Kasimir Malewitsch an Lichtregie, Kostümgestaltung und Bühnenbild mitwirkte. Gemeinsam mit Krutschonych (Libretto), Chlebnikow (Prolog) und Matjuschin (Musik) unterwanderte Malewitsch die Wahrnehmungsmuster einer stark rational orientierten Weltsicht und suchte nach einer über die Logik der Sprache und Form hinausgehenden Ausdruckskraft. Im Prolog zur Oper kämpfen die «futuristischen Kraftmenschen» gegen die Sonne und wollen diese in ein Haus aus Beton einschliessen. «Das Licht der Sonne ist ins Innnere verlegt: Von Angesicht sind wir dunkel. Unser Licht ist in uns», heisst es im Libretto. Der in der Oper geführte Kampf gegen die Sonne wurde häufig als politische und künstlerische Revolte gegen althergebrachte Wertvorstellungen begriffen. Malewitsch entwarf einen Bühnenvorhang, der erstmals ein schwarzes Quadrat – als Ikon des «substanzgewordenen Nichts» – zeigte. Als gemaltes Bild sollte das «Schwarze Quadrat» zu einem Schlüsselwerk der Kunstgeschichte und zum Initialwerk des Suprematismus werden. Die grundsätzliche Frage nach dem über das Sichtbare Hinausgehende, nach dem Geistigen in der Kunst, bildete zudem einen wichtigen Ansatzpunkt für die Theorien zur konkreten Kunst und spielt nun eine zentrale Rolle in Putrihs Ausstellung.

In der grossen Ausstellungshalle im Erdgeschoss präsentiert der Künstler zwei Videoprojektionen zusammen mit einem modularen Sitzmöbelarrangement, das von den Besucherinnen und Besuchern frei bewegt werden kann. Eine auf den Boden gerichtete Projektion basiert auf animierten Bildern der Sonnenoberfläche. Zu sehen ist der sogenannte Solar Limb, der äussere Ring bzw. Rand der Sonne. Das Bild des Sonnenkerns indessen bleibt weitgehend unsichtbar. In der Wandprojektion wiederum zeigt sich ein eiförmiges, bewegtes Motiv mit einem Lichtkern, dessen Lichtintensität ab- und zunimmt. Die Eiform taucht im Schaffen Putrihs immer wieder auf, und auch in der allgemeinen Kunst- und Kulturgeschichte lässt sich ihre Verwendung vielfach nachweisen. Als erste Form der Behausung für Lebewesen ist es ein Symbol für Architektur, für Schutz und für den Ursprung von etwas Neuem. Der Künstler generierte diese Form mithilfe eines Fotogramms von einem Hühnerei. Das auf die Wand projizierte Licht ist ein Negativ des ursprünglichen Schattenwurfs. Das Innere des Eis bleibt weiterhin verborgen, auch wenn das Licht im Fotogramm seine Existenz andeutet. Putrihs Ausstellung im Erdgeschoss stellt die Frage nach dem letzten möglichen Licht – entweder in Form einer beinahe unsichtbaren Sonne, von der nur noch der Rand sichtbar ist (Bodenprojektion) oder in Form eines neuen Lichtes, das aus einem eiförmigen Universum auszubrechen sucht (Wandprojektion). Beide werden durch einen von William Kingswood komponierten Sound ergänzt. Kingswood wiederum interpretier-te für seine Komposition Fragmente von Matjuschins mikro-tonaler Musik, woraus sich eine direkte Verbindung zur Oper «Sieg über die Sonne» ergibt.

Die Werke im ersten Stock artikulieren das Eingeständnis, dass ein Bild, das aus jener über das Objektive hinausgehenden Welt stammt, letztlich doch nur über ein konventionelles Objekt darstellbar ist. Ebenso ist diese Darstellbarkeit über einen Prozess definierbar, der das Verschwinden des Objekts selbst zum Thema macht, wie die neuen Skulpturen der «Macula»-Serie aufzeigen. So wie das Bild vom Rand der Sonne muss auch das besagte Objekt ein leeres Zentrum haben – oder das Zentrum absorbiert das Licht. Putrih hat aus diesen Überlegungen heraus eine Reihe von transluziden Kartonsäulen konzipiert, deren gleichbleibender Höhe eine zunehmende Vergrösserung des Kerndurchmessers gegenübersteht. Der Künstler hat Ringe in die Röhren geschnitten, sodass diese halbtransparent wirken und je nach Standpunkt des Betrachters eine andere visuelle Wahrnehmung erzeugen. Das leere Zentrum und die Einschnitte ermöglichen ein subtiles optisches Spiel.

Putrih lässt eine nicht-gegenständliche Metawelt entstehen, die dem revolutionären Anspruch der Oper atmosphärisch nachspürt. Folgt man seiner Fährte, so wird man in ein geistiges Universum entführt, das für eine Vorherrschaft («Suprematie») der Gefühle plädiert. Laut Putrih bleibt dem Rezipienten somit nur noch die Möglichkeit, «sich aus den modularen Möbelstücken ein Nest zu bauen, sie zu arrangieren, sich auf die Atmosphäre einzulassen und über das abwesende Bild nachzudenken». Der Künstler betrachtet die Ausstellung im Museum Haus Konstruktiv als Versuch, ein Bild ausserhalb der objektiven Welt zu schaffen. Man fühlt sich an ein Postulat Max Bills erinnert, das er in der Einleitung zum Katalog der Ausstellung «Zürcher konkrete Kunst» (1949) formulierte: «das ziel der konkreten kunst ist es, gegenstände für den geistigen ge-brauch zu entwickeln». Auch Theo van Doesburg hatte gefordert: «Das Kunstwerk muss im Geist vollständig konzipiert und gestaltet sein, bevor es ausgeführt wird. Es darf nichts von den formalen Gegebenheiten der Natur, der Sinne und der Gefühle enthalten.»