press release only in german

Der Berliner Künstler und Filmkurator Florian Wüst beschäftigt sich in seiner künstlerischen Arbeit mit der Aneignung und Inszenierung historischer Dokumente, die sich oft auf Ereignisse und Persönlichkeiten der deutschen Nachkriegsgeschichte beziehen.

In seiner ersten Einzelausstellung in der Galerie Visite ma tente zeigt Florian Wüst eine großformatige Wandzeichnung sowie eine Serie von Digital- und Laserdrucken, in denen er sich mit dem Thema der Inneren Sicherheit und der gegenwärtigen Debatten um Terrorismus und Bürgerrechte auseinandersetzt. Als historische Referenz dient hier vor allem Heinrich Bölls Roman Fürsorgliche Belagerung (1979). Das seinerzeit kontrovers diskutiertes Buch, das Böll unter dem Eindruck des "deutschen Herbst" 1977 schrieb, handelt vom Verleger und Verbandspräsidenten Fritz Tolm. Dieser steht ganz oben, "wo es keine Ruhe, keine Rast, keine Entspannung, kein Privatleben mehr für ihn geben sollte; da sollte er nun zu Tode gehetzt, zu Tode geschützt, sollte er aufs äußerste exponiert werden." Das Netz von Sicherheitsmaßnahmen, das um ihn und seine Familie gespannt wird, erwächst zum Instrument totaler Be- und Überwachung. Spätestens seit seinem Spiegel-Artikel Will Ulrike Meinhof Gnade oder freies Geleit? vom Januar 1972 galt Heinrich Böll in konservativen Kreisen als "geistiger Sympathisant" des Terrorismus, von der BILD Zeitung oder der WELT wurden regelrechte Hetzkampagnen gegen den politsch engagierten Autor und Nobelpreisträger geführt. Böll reagierte hierauf u.a. mit der Erzählung Die verlorene Ehre der Katharina Blum oder: Wie Gewalt entstehen und wohin sie führen kann (1974), mit welcher er sich unzweideutig gegen die Machenschaften und Manipulationen der öffentlichen Meinung durch die Springer-Presse wandte.

Florian Wüst nimmt und redigiert Fragmente aus Texten Bölls sowie aus damaligen Zeitungs- und Magazinbeiträgen und verbindet diese mit Bildern und Berichten zu gegenwärtigen Vorkommnissen, wie z.B. dem Brandanschlag auf das Auto des BILD-Chefredakteurs Kai Dieckmann im Mai 2007 oder die jüngsten Entscheidungen des Bundesgerichtshofes im Zusammenhang mit dem §129 StGB und den Aktionen der Bundesanwaltschaft im Vorfeld des G8-Gipfels in Heiligendamm. Die ihrem ursprünglichen Kontext enthobenen Materialien montiert Wüst zu neuen, werbemäßigen Plakaten, fotokopierten Zeitungsausschnitten und Webblogs. Die Wandzeichnung, die ihrerseits auf der Collage verschiedener fotografischer Vorlagen basiert, bildet einen assoziativen, surrealen Hintergrund zu den Papierarbeiten.

Die dergestaltigen Eingriffe in historische und gegenwärtige Bilder und Texte schaffen eine subtile Verschleifung von Wirklichkeit und Fiktion, Gegenwart und Geschichte. Dem Betrachter soll sich erst beim genaueren Hinsehen erschließen, dass es sich bei den ausgestellten Werken um fingierte Konstrukte handelt. Florian Wüst geht es in Tolms Traum nicht nur um die Analyse einer Medienrealität, in welcher Schlagworte wie Terror oder Angst immer wieder für populistische Zwecke missbraucht werden, sondern ebenso um die spielerische Erkundung der emotionalen und psychologischen Untiefen einer Gesellschaft, deren bürgerliche Ordnung sich vermeintlich latenten und zunehmend komplexeren Gefahren ausgesetzt sieht.

Florian Wüsts Einzelausstellung in der Galerie Visite ma tente ist ein Partner Event des Club transmediale 2008 (25. Januar – 2. Februar 2008). Im Maria am Ostbahnhof, dem Hauptveranstaltungsort des Club transmediale, wird Wüst außerdem eine Videoanimation mit Linienzeichnungen präsentieren.

24. Januar - 16. Februar 2008 Do, Sa, So, 16 – 20 Uhr

Florian Wüst, geb. 1970 in München, arbeitet als Künstler und Filmkurator in Berlin. Studium der Freien Kunst an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig und Besuch des Master of Arts Programms des Piet Zwart Institute, Willem de Kooning Academy Hoogschool Rotterdam. Jüngste Ausstellungen u.a.: Studies on the political subject, Centre d'art Passerelle, Brest (2007); The Lost Moment, GfKFB, Berlin (2007); This Land is My Land, Neue Gesellschaft für Bildende Kunst, Berlin (2006); We all laughed at Christopher Columbus, Platform Garanti, Istanbul (2006).