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23.05.2021 – 31.10.2021

TRAUTES HEIM, ALLEIN | SWEET HOME, ALONE

Künstler*innen: Sibylle Bergemann, Andrea Grützner, Henrike Naumann, Andreas Mühe, Peter Piller, Christian Borchert

Sibylle Bergemann, Andrea Grützner, Henrike Naumann, Andreas Mühe, Peter Piller und Christian Borchert sind zentrale künstlerische Positionen, die die Gegenwart unserer Gesellschaft mit Bewusstsein um die Vergangenheit betrachten. In der Ausstellung TRAUTES HEIM, ALLEIN | SWEET HOME, ALONE, wird das Eigenheim zum zentralen Sujet und Bildmotiv. Das „traute Heim“ ist zunächst ein Versprechen von Glück. Dies kann in Ästhetik und Geschmacksfragen jedoch schnell in eine biedere, nur vorgebliche Glückseligkeit umschlagen. Die Kehrseite des „trauten Heims“ und seiner privaten Gemütlichkeit fernab der Welt ist nämlich Abschottung und Distanzierung, genauso wie Gleichschaltung und Gehorsamkeit. Der Rückzug ins Private hat sich historisch oftmals besonders zu Zeiten politischer Unruhen gezeigt, ob im Biedermeier oder viel später im Kalten Krieg. Sibylle Bergemann, Andrea Grützner, Henrike Naumann, Andreas Mühe, Peter Piller und Christian Borchert machen diesen Zwiespalt künstlerisch sichtbar. Dabei beruhen ihre Arbeiten allesamt auf realen Vorlagen: die Orte oder Gegenstände, die sie zeigen, gibt es wirklich. Bei den Häusern, Wohnräumen, Inneneinrichtungen und Dekor Elementen, die sie in ihren künstlerische Arbeiten motivisch bearbeiten, täuscht der oberflächlich unverfängliche Eindruck zunächst politische Unbedarftheit vor. Dahinter verbergen sich jedoch politisch, soziologisch wie ideologisch geladene Motive, die ein kritisches Bild auf unsere Zeit und den Zustand unserer Gesellschaft zurückwerfen.

Bei Sibylle Bergemann ist es eine fotografische Serie über den Plattenbautyp „P2“, die nicht nur für eine Wohnform sondern auch eine Gesinnung steht. Es handelt sich um ein Prestigeprojekt der DDR, das das neue, sozialistische Wohnen versinnbildlichen sollte. Ein kleiner architektonischer Einbau, die sogenannte „Durchreiche“, die Küche und Wohnraum verbindet, soll dabei auch die Stellung der Frau im Haushalt revolutionieren.

Christian Borchert bildet in der Werkgruppe „Familienporträts“ verschiedene Familien ab, die er überall in der DDR besucht hat. Er zeigt diese in ihren Wohnräumen, so wie sie sich dem Fotografen präsentieren wollen. Dabei notiert er Jahreszahl, Beruf der Eltern bzw. Paare, und Lebensort ab. Es zeigt sich ein Querschnitt der DDR-Gesellschaft, wenn auch die Kernfamilie Vater, Mutter, Kind(er), kaum variiert.

Peter Pillers Arbeit Von Erde schöner besteht aus vorgefundenem Archivmaterial aus den 1980er Jahren, das deutsche Eigenheime aus der BRD dokumentiert. Pillers Auswahl bildet eine bürgerlich-biederliche Realität Deutschlands ab, das vom eigenen Haus, dem eigenen Garten und dem eigenen Auto träumt. Eine Motivgruppe der Arbeit widmet sich dem Sujet „Rasenmähen“ und hält das obligate, kleinbürgerlich-zelebrierte Ritual der Gartenpflege fest.

Andrea Grützners analoge Fotografien wiederum erscheinen zunächst als farbig stimmige, ästhetisch ansprechende Bildkompositionen. Die Titel der beiden Werkgruppen, das Eck, untitled und Erbgericht, geben wenig Details des Abgebildeten preis, allerdings einen Hinweis auf ihre Orte der Entstehung. Dies ist einerseits das sogenannte „deutsche Ecke“ in Koblenz und andererseits ein Gasthof im Ort, wo ihre Großeltern leben. Grützners konzentrierter Fokus auf formale Qualitäten wie Farbe und Plastizität legen den Blick frei auf geschmackliche Eigenheiten und Vorlieben und verdeutlichen deren Rolle als Marker ihrer Zeit.

In Henrike Naumanns Installation DDR Noir treffen Möbelstücke der Nachwendezeit im nachempfundenen bunten Memphis-Stil auf die figurative Malerei ihres Großvaters, Karl Heinz Jakob aus den 1950er und -60er Jahren, der ein anerkannter Künstler in der DDR war. Über den offensichtlichen Gegensatz — ikonographisch wie ideologisch — zwischen Möbeln und Malerei führt sie den Lauf der Geschichte vor und ruft Fragen zur seither viel beschworenen „Ostalgie“ auf, sowie den Träumen und Idealen der Menschen vor und nach der Wende und was heute daraus geworden ist.

Auch Andreas Mühe beschäftigt sich in seinen Arbeiten mit der deutschen Vergangenheit und ruft dabei vor allem ihre dunklen Teile in Erinnerung. Ein Porträt von Egon Krenz, dem letzten Staatsvorsitzenden der DDR, zeigt den Mann in seiner heutigen Wirklichkeit: als historische Figur einer vergangenen Ideologie in völliger Isolation. In der Serie Wandlitz, 2011, fotografiert Andreas Mühe die Häuser, in denen die Polit-Granden der SED-Führung abgeschottet vom Volk in der Waldsiedlung Wandlitz wohnten. Ein Streifen auf der Landkarte, wo zuvor schon Hermann Göring sich ein Anwesen von monumentaler Größe erbaute und noch früher der deutsche Kaiser seiner Jagdfreuden frönte. Die Häuserfassaden aber bekennen keine Farbe und verraten nichts über die politische Vergangenheit des Ortes. Genauso wenig verfänglich wirken die zusammengestellten Terrassenmöbel aus der Werkgruppe Obersalzberg. In jenem idyllischen bayrischen Dorf residierte Hitler fernab der Grauen des Krieges. Indem Mühe die Möbelgruppe, wie Hitler sie in seiner Residenz hatte, isoliert von der Umgebung abbildet, wird das politisch Geladene von Wohnraum und Eigenheim besonders greifbar.

Ideologie hinterlässt in der Ästhetik ihrer Zeit sichtbare Spuren. Der Rückzug in die häusliche Privatsphäre als Glück bedeutet im Gegenzug ein Fernbleiben vom öffentlichen Leben und damit auch potentiell eine Absage an politische Teilhabe. Dass die Heimeligkeit der eigenen vier Wände leicht trügen kann, zeigen die künstlerischen Positionen der Ausstellung. Jede Fassade, jeder Wohnraum, jedes Möbelstück ist immer auch Träger von politischen und historischen Konditionen seiner Zeit. Die ambivalente Wirkmacht des trauten Eigenheims scheint gerade heute wieder unermesslich an Relevanz zu gewinnen. Es ist ein künstlerisches und im gleichen Zuge auch ein politisch-gesellschaftliches Thema, das von allen Seiten, von Innen und Außen, genauestens zu befragen ist.

Kuratiert von Dr. Kristina Schrei.