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Zu unserer Ausstellung wählten wir den Titel "ÜberlebensKunst", denn dieses Wortspiel scheint uns sowohl im besonderen als auch im allgemeinen ein treffender Titel für ein Projekt mit Arbeiten zehn junger Künstler aus Prag zu sein. Im besonderen formuliert es den jahrhundertealten Wesenszug des tschechischen Volkes, sein schweres Schicksal mit seiner sprichwörtlichen Lebenskunst auf unserem durch unzählige Kriege und Krisen erschütterten Kontinent zu meistern. Im allgemeinen bekundet es den berechtigten Anspruch der Kunst auf ihre Rolle als notwendige Überlebenshilfe für die in ihrer sozialen und kulturellen Selbst- bestimmung bedrohten Menschen der Gegenwart.

Heute, ein Jahrzehnt nach der letzten großen historischen Wende mit ihren politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Umbrüchen, erweist sich die Überlebenskunst unserer östlichen Nachbarn erneut als unentbehrlich. Noch immer kämpft die Bevölkerung mit den Nachwirkungen einer veränderten politischen und wirtschaftlichen Realität und den mannigfachen negativen Symptomen der sozialen Umwälzungen. Stark betroffen sind davon auch die Prager Künstler. Sie stellen fest, daß ihre zeitgenössische Kunst kaum das Interesse eines erhofften, neuen Publikums gewinnen konnte und in den vergangenen zehn Jahren ihr gewohntes altes Publikum eher verloren hat. Dessen Aufmerksamkeit gilt in erster Linie der Beschaffung von und der Beschäftigung mit materiellen Konsumgütern und unterliegt ohnehin immer mehr einer hollywoodisierten Massenkultur.

Umso erfreulicher ist es zu beobachten, daß jetzt eine junge überwiegend in den sechziger Jahren geborene Generation diesem Zustand trotzt und mit frischem Elan die Prager Kunstbühne betritt. Mit wachem Geist verfolgt sie den Werte- wandel ihrer Umgebung und kommentiert diesen je nach Temperament und Einstellung begeistert, angepaßt, zynisch, ironisch oder kritisch. Im Gegensatz zur vorhergehenden Generation, die noch vor allem mit der Dekonstruktion der totalitären Vergangenheit und der Ikonen beschäftigt war, gerät ihre "Überlebens- kunst" als eigenes künstlerisches Programm.

Die zehn jungen Künstler unserer Ausstellung repräsentieren eine junge Prager Generation, die eine kommunikative, ironisch engagierte und zeitkritisch reflektierende Haltung verkörpert und sich zur gesellschaftlichen Signifikanz der Kunst bekennt. Wie ihre künstlerischen Vorfahren des "Fin de siècle" in Prag – man denke an die tschechischen Kubisten - reagieren sie mit schöpferischer Energie auf die Unzulänglichkeiten im eigenen Land und fühlen sich berufen, die Zusammenhänge einer neu-entstehenden Ordnung in ihren Widersprüchen zu sehen und zu verarbeiten. Zwischen unmittelbarer Gegenwart und stark prägendem kulturellen Erbe der Vergangenheit lokalisieren diese jungen Prager Künstler ihr Lebensgefühl.

Die Arbeiten der Künstler in der Ausstellung „ÜberlebensKunst" enthüllen entweder traumatische Punkte der Eingliederung der Tschechischen Republik in die breitere Struktur der EU oder sind direkt eine engagierte ironische Reflexion des politischen Geschehens in Europa (Gruppe Pode Bal) oder thematisieren die marginale Situation (Alena Kotzmannová) oder beziehen sich auf eigene Stereotype des eigenen Handelns (Vladimir Skrepl, Mila Preslová, Ivan Vosecky) oder sind bemüht, sich zum sozialen Raum unserer Realität zu bekennen und diesen positiv zu akzeptieren wie in der Installation von Jan Mancuska. Das paradoxe Durchwachsen von zwei unterschiedlichen Erfahrungen wird mit feiner Ironie in der Videoaufnahme von Petr Pastrnák vorgeführt: Eine banale Geschichte auf einer Baustelle an der Peripherie, die ohne jedwede Korrektur vom Fenster aufgenommen wurde, entfaltet sich vor dem Hintergrund der von Lynchs Filmen bekannten Musik. Andere fangen von Neuem an, mit bloßer Beschränkung auf Angaben der Lexika, und es wird eine neue Realität in einer Fibel aus se-mantischen Spielen für Anfänger konstruiert (Jiri Kovanda). Oder man kehrt zum Selbstgespräch der pittoresken Marionetten-Sprecher ohne Antlitz zurück, die sich selber Fragen stellen und diese dann beantworten (Kristof Kintera).

Das Interesse für das eigene soziale Umfeld, für die Probleme der heimischen Topografie schließt jedoch keinesfalls aus, daß diese junge „postkommu- nistische" Generation gleichzeitig in internationalen Zusammenhängen denkt. Während sie aber das Globale betrachtet und reflektiert, will sie auf das Lokale einwirken. Trotz der weltumfassenden Globalisierung ist sie nicht bereit, jedwede inter-nationalen Trends ohne Bezug auf die tschechischen Verhältnisse und den kulturellen Charakter des eigenen Standortes zu akzeptieren. Ihr Ziel ist es vielmehr – und wir hoffen, daß dies in unserer Ausstellung sichtbar wird -, mit ihrer Kunst die gesellschaftlichen Veränderungen in ihrem Land zu dokumentieren, auf sie zu reagieren und ihren von der Diktatur der Ideologien befreiten und vom Diktat des Marktes noch nicht erfaßten Freiraum zu nutzen, um eine neue, die Realität stets reflektierende, künstlerische Sprache zu finden. Mit der so gewonnenen, unverkennbar spezifischen Stimme wollen sich diese jungen Künstler aus Prag in den gesamteuropäischen Chor der künftigen Kunst- entwicklung einreihen. Nicht nur zum "Überleben" sondern endlich zum "Zusammenleben".

Zur Ausstellung, die vom Prager Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds finanziell und von der Prager Galerie MXM organisatorisch unterstützt wird, erscheint ein Katalog.

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ÜberlebensKunst - Junge Künstler aus Prag

mit Kristof Kintera, Alena Kotzmannova, Jiri Kovanda, Jan Mancuska, Petr Pastrnak, Michal Pechoucek, PODE BAL , Mila Preslova, Vladimir Skrepl, Ivan Vosecky