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Eröffnung der Ausstellung am Mittwoch, 03.07.2019, um 19:00 Uhr. Einige der Künstlerinnen sowie die Kuratorinnen werden anwesend sein.

In Wien gibt es derzeit eine besonders vielseitige und lebendige Praxis der Kunstproduktion und -präsentation einer neuen Generation. Das reflektiert Über das Neue. Junge Kunst aus Wien: Die Schau gibt Einblick in das Schaffen von 18 Künstlerinnen und Künstlern bis zu einem Alter von 35 Jahren. Basierend auf der Ausstellung Über das Neue. Junge Szenen in Wien, die im Frühjahr im Belvedere 21 zu sehen war, wurden Konzept und Auswahl an die räumlichen Möglichkeiten im Kunstraum Innsbruck angepasst. Grundsätzlich haben die Kurator_innen Severin Dünser und Luisa Ziaja mit diesem Projekt versucht, die Anliegen und Haltungen verschiedener Protagonistinnen und Protagonisten in ein Verhältnis zu ihren Ausdrucksformen zu bringen – auch wenn es unmöglich ist, das junge Kunstschaffen in Wien in seiner gesamten Bandbreite innerhalb einer Ausstellung abzubilden.

Der Titel Über das Neue wurde ganz im Bewusstsein der Problematiken gewählt, die Begriffe wie „neu“, „jung“ und „lokal“ mit sich bringen, weil sich in diesen auch die Problematiken des Formats selbst spiegeln. Das „Neue“ in der Kunst ist ein vielfach aufgeladener Begriff. Paradigmatisch steht es in der Moderne für das Streben der künstlerischen Avantgarden, das jeweils Vorhergehende abzuschütteln, zu überwinden und zukunftsvisionär nicht nur eine neue Kunst, sondern auch einen neuen Menschen, ja eine neue Welt zu entwerfen. Pluralität, Polyphonie und Multiperspektivität sind demgegenüber zu Schlüsselbegriffen einer postmodernen Ästhetik geworden, die von der Entgrenzung zwischen Gattungen, Medien, Hoch- und Populärkultur, Kunst und Alltag geprägt ist. In einem Zusammenspiel von Überstimulierung (durch digitale Medien, hyperzirkulierende Bilder und Inhalte) und Erschöpfung (durch permanentes Recycling kultureller Ausdrucksformen) ist heute die Idee des Neuen gänzlich aus dem zeitgenössischen Denken verschwunden. Das Gegenwärtige ist solcherart mit Vergangenem durchtränkt, dass Unterscheidungen erodieren. Ebenso verschüttet scheint das Wissen darum zu sein, dass all das nicht neu ist und dass nicht nur das Neue tatsächlich einmal möglich war, sondern auch eine andere Realität denkbar. Im Begriff des Neuen treffen also verschiedene Diskurse und Denkschulen aufeinander, die als Rahmenbedingungen gegenwärtigen künstlerischen Schaffens verstanden werden können. Gleichzeitig weckt dieser Begriff in seiner alltagssprachlichen Dimension bei den Rezipientinnen und Rezipienten jeweils individuelle Erwartungshaltungen, die vermutlich unerfüllt bleiben werden. Diese Diskrepanz und den daraus resultierenden Diskussionsbedarf versuchen die Kurator_innen, mit dem Titel, der Boris Groys direkt zitiert, zu adressieren.

Auf der Suche nach dem „Neuen“ in den Ateliers der jüngeren Wiener Kunstschaffenden sind Tendenzen deutlich geworden: So sind handwerkliche Fertigkeiten und das Beherrschen traditioneller Techniken für viele der ausgestellten Künstlerinnen und Künstler zentral, oftmals im Verbund mit einer großen Lust am Experimentieren mit Materialien und ihren spezifischen Eigenschaften. Marc-Alexandre Dumoulin etwa schafft in einer altmeisterlichen malerischen Perfektion luzide Gemälde, während sich Edin Zenun mit Öl, Ton und Pigment malereiimmanenten Fragen zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion widmet. Wenn Angelika Loderer Maulwurfgänge in Skulpturen verwandelt, experimentiert sie mit Mitteln der klassischen Metallgussproduktion. Sasha Auerbakh hingegen folgt weniger den spezifischen Eigenschaften ihrer Materialien, als dass sie sich in obsessiver Arbeit über diese hinwegsetzt. Cäcilia Brown spielt mit widersprüchlichen Konnotationen des Flüchtigen und des Beständigen, wenn sie Pappkartons, die als prekäre Behausungen für die Nacht dienen, in Beton abgießt. Und auch in Birke Gorms vasenartiger Sandskulptur werden Ästhetiken des Haptisch-Kunsthandwerklichen betont. Die Bedingungen der Digitalität und die immer lückenlosere Eingebundenheit in verschiedene Mediendispositive werden vermittelt oder unvermittelt in zahlreichen Arbeiten reflektiert. So widmet sich etwa Maureen Kaegi in minutiösen zeichnerischen, also analogen Prozessen Wahrnehmungsphänomenen des digitalen Rauschens, die sie mit kontemplativer Vertiefung kontert. Lukas Posch hingegen beschäftigen die invasiven Erregungseffekte des Digitalen auf Körper und Psyche des Individuums, denen er mit den Mitteln der Malerei begegnet. Und Nana Mandl arbeitet entlang der Bruchlinien der Visualität der Gegenwart, wenn sie die Inflation digitaler Bildproduktion und -zirkulation mit ihrer Materialcollage in den analogen Raum rückkoppelt.

Das Internet bietet Freiheiten und endlose Entfaltungs-, Informations-, Unterhaltungs- und Konsummöglichkeiten. Die Makellosigkeit des Digitalen hat eine große Anziehungskraft, auch wenn man weiß, dass Algorithmen unser Nutzungsverhalten friktionsfrei zu gestalten versuchen, und ahnt, dass man Manipulationsversuchen ausgesetzt ist. Selbst bei verantwortungsbewusstem Umgang verführen die Angebote des Internets dazu, große Teile der Freizeit mit ihnen zu verbringen. Das bringt auch eine Entkörperlichung mit sich, eine Entfremdung von der eigenen Physis. Gegenläufig zu dieser Entwicklung scheint die Körperlichkeit bei mehreren der ausgestellten Künstlerinnen und Künstler ein wichtiges Thema zu sein. Bei Lucia Elena Průša etwa geht es um subjektive Zeitwahrnehmung, die durch Abläufe im Körper getriggert wird. Für Barbara Kapusta ist der Körper als Verbindungsglied relevant, in dem Innen und Außen zusammenlaufen. Cäcilia Brown stellt ihn und seine Bedürfnisse in ein Verhältnis zum öffentlichen Raum, während Marina Sula interessiert, wie über architektonische Strukturen Haltung und Verhalten korrigiert werden. Auch bei Anna-Sophie Berger ist physische Anwesenheit ein Faktor im Kontext ihrer eigenen Mobilität zwischen verschiedenen geografischen Lebensmittelpunkten. Daraus resultiert ein Moment der Zerrissenheit im Konstruieren der eigenen Identität zwischen Kosmopolitismus und Verwurzelung – und damit die Frage nach Zugehörigkeit, die auch weitere Künstlerinnen und Künstler in der Ausstellung beschäftigt. Johannes Gierlinger etwa adressiert historische und aktuelle politische Radikalisierungen im Kontext nationaler Identitätsentwürfe. Matthias Noggler hingegen beschreibt Zugehörigkeit als gruppendynamischen Prozess, der Mechanismen von Inklusion und Exklusion unterliegt und Formen der Subjektivierung mit sich bringt. Rosa Rendls Fotografien kreisen um Identität und deren Vermittlung beziehungsweise um die Konstruktion von Authentizität, während Melanie Ebenhoch die Wechselwirkung zwischen der Rezeption von Kunstwerken und der Annahme von Projektionen auf die Figur der Künstlerin dahinter zum Ausgangspunkt für Überlegungen zur Malerei als Medium der Repräsentation macht. Auch bei Philipp Timischl, der auf Herkunft und Sexualität als Faktoren fokussiert, die die soziale Zugehörigkeit beeinflussen, mündet die Frage nach der Identitätskonstruktion im Nachdenken über deren Repräsentation beziehungsweise Emanzipation durch Formen der Selbstdarstellung.

Das Ausbilden von Zugehörigkeiten geht Hand in Hand mit Prozessen der Individualisierung. Das bildet sich in der Ausstellung nicht nur auf der Metaebene der Konstruktionsbedingungen von Identität ab. Es wird auch in Bestrebungen deutlich, der eigenen Identität in ihrer Individualität abseits von Ansprüchen auf Allgemeingültigkeit und Objektivität künstlerisch Ausdruck zu verleihen. Im Unterschied zu individuellen Mythologien im Szeemann’schen Sinn fehlen dafür zwar das Archetypische und die Obsessivität, aber Tendenzen zum Rückzug ins Private und Subjektive zeichnen sich bei mehreren der ausgestellten Künstlerinnen und Künstler ab. Vom Wunsch nach Authentizität getragen werden Emotionen und Empathie zum Inhalt von Werken, die das individuelle Befinden ins Zentrum stellen. Das ist in den Musikvideos von Lonely Boys ebenso zu spüren wie in den inneren Landschaften, die Marc-Alexandre Dumoulin vor uns ausbreitet. Auch wenn Lucia Elena Průša Zeit als subjektive Empfindung darstellt oder Philipp Timischl persönliche Gefühlszustände zu einer retrospektiven Introspektive versammelt, werden innere Zustände zum Ausdruck von Weltanschauungen, die das große Ganze im Existenziellen mitmeinen. 

Kurator_innen: Severin Dünser und Luisa Ziaja