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Eröffnung: 2.8.07, ab 18 Uhr Am 13. August 2007 zum Jahrestag des Mauerbaus in Anwesenheit der Künstlerin von 14 bis 19 Uhr geöffnet.

Welches Gewicht hat die Meinung eines Einzelnen? Welche Aussagekraft hat ein Dokument? Welchen Einfluss hat die Form eines Dokuments, die Art und Weise, wie es präsentiert wird, auf seinen Inhalt?

Als Untersuchungen zum Stellenwert des Dokumentarischen lassen sich die Arbeiten der Berliner Künstlerin Ulrike Kuschel begreifen. Im ehemaligen Grenzwachturm im Schlesischen Busch hat sie eine zweiteilige Arbeit realisiert, die mit den Eckdaten 13. August 1961 und dem 20. März 2007 einen Bogen spannt, der die Geschichte der Berliner Mauer umfasst. Während man aus dem zweiten Obergeschoss hinaus auf den Park schaut, der früher Grenzstreifen war, füllen Stimmen den leeren Beobachtungsraum. Es sind Reaktionen auf den Mauerbau, Meinungen nicht genannter Bürger, welche die Berliner SED-Bezirksleitungen im August/September 1961 mit dem Ziel sammeln ließ, die Stimmung unter der Bevölkerung einschätzen und entsprechende Maßnahmen ergreifen zu können. Aus den schriftlich fixierten Äußerungen der „Situationsberichte aus den Stadtbezirken“ traf Ulrike Kuschel eine Auswahl und ließ die kurzen Sätze neu einsprechen. Solchermaßen zweifach vermittelt, erreichen sie nun das Ohr des Besuchers im Wachturm.

„Warum macht ihr keine Wahlen? Die Wahlen werden zeigen, was die Bevölkerung denkt.“ „Lieber Känguruhfleisch essen als bolschewistisch werden.“ „Wie kommen die Kollegen aus den Randgebieten nach Hause?“ – Dialekt, Umgangssprache und kontextbezogene Rede blieben in der Transkription erhalten. Sie verleihen den Aussagen einen authentischen Ausdruck, während der stimmliche Klang ihnen aktuelle Präsenz verschafft. Die sechsminütige Audioinstallation „Jetzt wird es noch schöner – August 1961“ wird zum Filter, der die Wahrnehmung des Wachturms und seiner Umgebung beeinflusst.

Nüchtern-museal werden im Zwischengeschoss sechs vergrößerte Zeitungsseiten vom 20. März 2007 präsentiert. Am Tag zuvor hatte das Berliner Kammergericht die einstweilige Verfügung des Berliner Landgerichts gegen die Verbreitung des Buches „Deutsche Gerechtigkeit“ aufgehoben, in dem sich der Autor Roman Grafe kritisch mit den unzureichenden Prozessen gegen DDR-Mauerschützen und die dafür politisch Verantwortlichen auseinandersetzt. Das Verbot war Folge einer Klage eines ehemaligen Politoffiziers, der im Grenzregiment 33 tätig war und damit auch im Grenzabschnitt Schlesischer Busch. Im Spiegel der sechs Zeitungen, die Ulrike Kuschel zur Installation „20. (19.) März 2007, Deutsche Gerechtigkeit“ versammelt hat, erscheint das Ereignis aus mehreren Perspektiven mit unterschiedlichen Wichtungen. Die Entscheidung, nicht nur die Artikel, sondern die vollständigen Zeitungsseiten zu präsentieren, führt dazu, das beschriebene Ereignis nicht nur als Einzelmeldung, sondern auch im Kontext der tagespolitischen Berichterstattung wahrzunehmen.

Welchen Einfluss hat die Form eines Dokuments, die Art und Weise, wie es präsentiert wird, auf seinen Inhalt? Die Ausstellung „Diese Mauer“ ist der Versuch, den Wachturm als Bestandteil der Berliner Mauer, erbaut aus politischen Gründen mit einschneidenden Folgen für die Bevölkerung der DDR, erneut ins Bewusstsein zu rücken. Ulrike Kuschel wählt dazu eine historisch-politische Ausstellungen imitierende Form, verlässt jedoch gleichzeitig deren engen Rahmen und ermöglicht eine subjektiv vermittelte Perspektive auf die dargestellten Ereignisse.

LETZTE ÜBERPRÜFUNG ist ein Projekt des Kunstfabrik am Flutgraben e.V. unter Leitung von Svenja Moor. Mit freundlicher Unterstützung des Bezirksamtes Treptow-Köpenick, Kulturamt und der Stiftung Kunstfonds.

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Ulrike Kuschel: Diese Mauer
Eine Ausstellung im Rahmen der Reihe Letzte Überprüfung im Grenzwachturm
Schlesischer Busch