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Valery Koshlyakov, geboren 1962 im tiefen Süden Russlands, überrascht durch ein Übermass an Genialität und Kreativität vereint mit Anspruchslosigkeit seiner Materialien.

Arbeiten in Wellpappe, vom zerrissenen Fragment bis zur monumentalen Architekturskizze, sowie Blitz-Kreationen in braunen oder grellfarbenen Klebstreifen sind zu seinen Markenzeichen geworden.

Durch seine Eigenständigkeit und seine bewusste Absage an den westlichen Erwartungshorizont hat er sich in den letzten Jahren auch international zu einem der vordersten Ränge unter den Gegenwartskünstlern Russlands emporgearbeitet.

Valery Koshlyakov erhielt an der Kunsthochschule in Rostov am Don die auf das klassische akademische Ideal orientierte sowjetische Ausbildung. Der Kreis seiner Rostover Künstlerfreunde, vom rebellischen Geist der Perestrojkazeit getragen, gründete die Gruppe "Kunst und Tod" und wagte bald manches Experiment jenseits der offiziellen Linie, wie etwa die nicht genehmigte (und schnell zwangsgeschlossene) Ausstellung "Himmelblauer und Rosa Salon" in den öffentlichen Toiletten der Stadt.

Ende der 80er zog es die jungen Avantgardisten ins Zentrum des Geschehens nach Moskau. Sehr bald sollte die Gruppe die Moskauer Junge Szene mitprägen und mit der Öffnung nach Westen auch international Anerkennung finden. Seit Anfang der 90er war Valery Koshlyakov zu Stipendien und Ausstellungen vielfach in Europa und Amerika; seit 1999 hat er einen Wohnsitz in Berlin. In diesem Jahr vertritt er Russland auf der Biennale in Sao Paulo.

Für Koshlyakovs Werk sind die "klassischen" Bildthemen seiner Studienzeit, Motive aus dem Weltkulturerbe aller Zeiten, über die Jahre prägend geblieben. Gemäss seiner Überzeugung führt die Architektur unter den bildenden Künsten als einzige wirklich mitten ins gesellschaftliche Leben hinein. So kreist das Koshlyakovsche Werk um Architekturthemen, sei es in monumentalen Bildern, welche die Vedutentradition aufgreifen, sei es in den vom Abbildhaften befreiten Installationen der letzten Jahre, die Innenraum und Umraum aus ungewohnter Perspektive erkunden.

So klassisch oft die Bildvorwürfe, so wenig konventionell sind Koshlyakovs Materialvorlieben, etwa Pappkarton. Nicht als Malgrund, sondern als Wirkungsträger verwendet er die Wellpappe. Es ist ein warmes, nachgiebiges, ein armes Material. Die recycelte Farbigkeit der Pappe ist ursprünglich wie Himmel und Wasser, sie gleicht der Erde, dem Lehm, Stroh, Mist, Sandstein oder vergilbtem Marmor. Die parallele Struktur der Wellpappe, ihre Reisseigenschaften spielen ins Architektonische über, sind zugleich sichtbarer Ausdruck von Vergänglichkeit.

Zu den neueren Entdeckungen des Künstlers zählt das Klebeverfahren mit braunem oder grellbuntem Packband. Das Klebeband selbst macht schon das Bild; der Bildträger tritt völlig zurück oder ist im Idealfall einfach die Wand, der Boden, das Fenster, auf welche das Projekt bezogen ist. Braunes Packband ist nach Koshlyakovs Worten "das Rötel des zeitgenössischen Zeichners", der schnell eine monumentale Skizze hinwirft. Buntes Klebeband wird eingesetzt wie breiter Pinselstrich, durch die Transparenz des Materials Farbmischungen und –intensitäten erzeugend, in der Bildwirkung überraschend realistisch oder expressiv-gestisch. Das Material erfordert schnelles, zielsicheres Arbeiten. Ein "Blitzmaterial", wie der Künstler sagt, in seiner glänzenden Schärfe und Klarheit geeignet, die Brillanz gebauter Architektur einzufangen.

So verschränken sich im Werk Koshlyakovs Raum und Fläche, Alt und Neu, "hohe" Bildthemen und "armes" Material, steinerner Anspruch auf materielle Dauer und kulturelle Bedeutung mit Ephemerem – Widersprüche und Gegensätze, die im Bild zu einer ästhetischen Einheit finden.

Barbara Wittwer

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Valery Koshlyakov
Architektur-Fragmente ... und die hohe Schule der Wellpappe und Klebebänder