press release only in german

2. Juli – 6. November 2022
Pressevorbesichtigung: Donnerstag, 30. Juni 2022, 11 Uhr
Eröffnung: Freitag, 1.7.2022, 19 Uhr
Zur Eröffnung sprechen:
Frank Peter Ullrich, Bürgermeister der Stadt Düren
Anja Dorn, Direktorin LHM

Vera Molnar. Unterbrechungen – Lücken

“The Enlightenment was […] not about consensus, it was not about systematic unity, and it was not about the deployment of instrumental reason: what was developed in the Enlightenment was a modern idea of truth defined by error, a modern idea of knowledge defined by failure, conflict, and risk, but also hope.”
David Bates

„Unterschätze nicht den Wind des Ozeans.“
Vera Molnar

Vera Molnar ist nicht nur eine der ersten Künstler*innen, die bereits in den 1960er Jahren Großcomputer für ihre künstlerischen Arbeiten einsetzte. Vielmehr entwickelte sie, aufbauend auf einem Vokabular der Moderne, Formen der abstrakten Malerei, die durch das Spiel mit dem Zufall, mit Abweichungen und Unterbrechungen in geometrischen Ordnungssystemen geprägt sind. Ihre Ausstellung im LHM konzentriert sich auf einzelne Werkgruppen und Motive: ihre frühen konstruktivistischen Gouachen, die Strukturen aus Quadraten und Vierecken, die Serie „U“ die „Interruptions“ (Unterbrechungen), Arbeiten, die sich mit Schrift auseinandersetzten, wie die „Hommage à Dürer“ oder die „Lettres de ma mère“. Sie bearbeitet diese Motive über Jahrzehnte mit variierenden Fragestellungen und Medien. „Vera Molnar. Unterbrechungen – Lücken“ spiegelt diesen bunten Kosmos der Künstlerin durch frühe Gouachen, in denen sie bereits mittels Würfeln per Zufall mit Farb- und Formvariationen arbeitet, Collagen aus farbigen Folien, Malerei, Computerdrucken, flirrenden Bildschirmbildern, einer Fadeninstallation und einer neuen Lichtinstallation in einem Schwarzlichtraum. Es werden auch drei Tapisserien zu sehen sein. Die Arbeit mit der Webmaschine, die als einer der ersten Apparate die menschliche Hand in der Herstellung ersetzte, entspricht Vera Molnars künstlerischem Interesse an dem Verhältnis von Mensch und Maschine.
Ausgangspunkt der Ausstellung „Vera Molnar. Unterbrechungen – Lücken“ sind zwei Arbeiten der Künstlerin aus der Hubertus Schoeller Stiftung am Leopold-Hoesch-Museum.

Vera Molnar wurde 1924 in Budapest geboren. 1947 ging sie, nach dem Studium an der Kunstakademie, gemeinsam mit ihrem Mann François Molnar nach Paris, wo sie heute noch lebt und arbeitet. Hier lernte sie Künstler*innen wie Sonia Delaunay, Georges Vantongerloo und auch François Morellet kennen, mit dem sie sich befreundete. Gemeinsam mit François Molnar, der eine wissenschaftliche Karriere einschlägt und später Leiter des Centre de Recherche Expérimentale et Informatique des Arts Visuels der Universität Paris wird, arbeitete sie gemeinsam an wissenschaftlich-künstlerischen Experimenten im Bereich der visuellen Wahrnehmung und auch mit Möglichkeiten einer systematischen und maschinellen Produktion von Kunst. Gemeinsam mit Jean-Pierre Yvaral, Francois Morellet, Julio Le Parc und anderen Künstlern gründeten die Molnars 1960 das Centre de Recherche d'Art Visuel, Paris, aus dem später die Groupe de Recherche d'Art Visuel (GRAV) hervorging. Allerdings verließen die Molnars die Gruppe nach kurzer Zeit wieder, weil sie sich nicht für künstlerische Aktionen im öffentlichen Raum interessierten, sondern sich eine gemeinsame Arbeit an ergebnisoffenen, wissenschaftlichen Experimenten erhofft hatten.

Die Molnars lernten Max Bill an der HfG Ulm kennen, wo auch der Philosoph und Autor Max Bense und der Physiker, Philosoph und Akustiker Abraham Moles lehrten. Max Benses und Abraham Moles’ Überlegungen zur „Informationsästhetik“ wurden zu wichtigen Grundlagen der ästhetischen und wissenschaftlichen Überlegungen des Paares sowie für die künstlerischen Experimente, die Vera Molnar ab 1968 am Großcomputer durchführte. Zunächst hatten diese Apparate keine Displays, auf denen man das Ergebnis seiner mit Lochkarten entwickelten Programme sehen konnte. Diese konnte man erst Stunden später im Ausdruck sehen. Erst in den frühen 1970er Jahren hatte sie Zugriff auf einen IBM2250, der auch einen Monitor hatte. In den 1980er Jahren schafften sich die Molnars dann einen PC und einen eigenen Plotter an. Ein Fokus der Ausstellung im Leopold-Hoesch-Museum liegt auf Vera Molnars Computerarbeiten. Unter anderem werden drei seltene, bis zu drei Meter lange Compu-terdrucke aus den 1980er Jahren gezeigt, zu deren Nonchalance auch die bis in die 1980er Jahren üblichen Lochleisten am Rand beitragen.

Wie andere Pioniere der Computerkunst, beispielsweise Frieder Nake und Georg Nees, die an der TU Stuttgart direkt mit Max Bense zusammenarbeiteten, nutzte Vera Molnar für ihre Experimente mit dem Computer Zufallsparameter, mit denen sie Abweichungen und damit visuelle Komplexität in redundanten, geometrischen Systemen erzeugte. In ihren Arbeiten spielte die Künstlerin aber nicht nur mit den Variablen des Programms, sondern integrierte die ästhetischen Qualitäten der Fehler, die der Computer selbst produzierte. So führte der Versuch, mit dem Computer Flächen zu zeichnen, dazu, dass der Drucker, der für die Abbildung filigraner Buchstaben gemacht war, mit verschwenderisch viel Tinte schwarze Blöcke malte. Durch die Bewegung der Tintendrüse bildeten sich rhythmisierende dunkle Ränder. Die Räume zwischen den Blöcken traten umso klarer hervor. Die Arbeit mit dem Zufall spielt aber auch für ihre Collagen und Malerei eine Rolle. Gerne erzählt Vera Molnar selbst davon, wie ihr der Wind in der Normandie einmal die Anordnung einer Struktur aus Quadraten während einer kurzen Kaffeepause durcheinanderbrachte und sie diesen natürlichen Eingriff für die Arbeit einfach übernahm.

Die Arbeit mit solcherlei Dysfunktionen und impliziten Negationen zeichnet Vera Molnars Kunst aus. Wie die Künstler*innen der Konkreten Kunst stellt sie sich mit ihrem Werk gegen die Bedeutsamkeit der Hand des Künstlers, gegen Expressivität und Symbolismus. Die Struktur der energischen Handschrift ihrer Mutter rekonstruiert sie mit dem Rechner. Allerdings wird, wie die Kunsthistorikerin Aline Guillermet jüngst erläuterte, die schreibende Hand der Mutter in dem Computerdruck gerade durch ihre Abwesenheit präsent. Unterbrechungen und Lücken bestimmen also nicht nur Vera Molnars Kompositionen, sondern stellen auch Bezüge zum Außen, beispielsweise zum menschlichen Körper her. Der Gebrauch des Computers stellt eine Versachlichung und den Versuch einer Demokratisierung des Zugangs zur künstlerischen Produktion dar.

Dennoch spielt in Molnars Arbeiten der Bezug zur Geschichte der Malerei stets eine Rolle, sowohl in direkten Zitaten konstruktivistischer Künstler*innen, wie Sonia Delaunay oder Mondrian, als auch in Hommagen an Künstler wie Albrecht Dürer, Paul Cézanne oder Paul Klee. Die Geschichte der Malerei ist aber auch die Grundlage, auf der sich die Computerzeichnungen behaupten: in der Art und Weise, wie Molnar auf das Quadrat als Ikone der abstrakten Malerei zurückgreift, in der Art, wie sie die Materialität der Malerei, den Ausdruck des Expressionismus negiert, die autoritären Ordnungssysteme der Konkreten Kunst mittels zufälliger Abweichungen dynamisiert, aber auch die Perfektion der Computerleistung infrage stellt, indem sie die Bedeutung von Fehlern, Lücken und Abwesenheiten herausstellt.

Die Ausstellung wird großzügig gefördert von der Kunststiftung NRW.