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Nach dem Besuch der École Supérieure d’Arts Graphiques in Paris beginnt der 1963 geborene Vincent Michéa 1986 mit der Malerei. Von 1988–1991 arbeitet er als Assistent des bekannten polnischen Plakatkünstlers Roman Cieslewicz, anschließend geht er nach Afrika und gründet im Senegal das Graphikstudio '100 % Dakar'. 1996 kehrt er nach Frankreich zurück, wo er heute abwechselnd in Paris und Lot im Südwesten Frankreichs lebt. Bis Anfang November waren einige seiner Arbeiten im Rahmen der Ausstellung 'Black Paris', die sich mit der Geschichte und Ikonographie des schwarzen Paris beschäftigt, im Museum der Weltkulturen in Frankfurt/M. zu sehen.

Lange Jahre hat sich Michéa mit dem Genre des Selbstporträts auseinander gesetzt, um Ende 2002 eine völlig neue Werkgruppe mit dem Titel 'Belle Époque' zu beginnen, bei der er die Plattencover seiner umfangreichen Sammlung aus 50 Jahren afrikanischer U-Musik kopiert, um sich von den bisherigen Themen und Malweisen abzulösen. Die aktuelle Ausstellung besteht aus zwölf Kleinformaten (63 x 63 cm, Acryl und Öl auf Papier, montiert auf Holz) aus der Zeit von 2003–2005 und vier großen Arbeiten aus der 2006 begonnenen Porträtserie in Acryl auf Leinwand mit den Maßen 130 x 130 cm.

Aus dem immensen Fundus seiner Vinyl-Kollektion, dem Resultat zehnjähriger Sammelleidenschaft, hat er genau jene Exemplare ausgewählt, deren Motive ihm als repräsentative Beispiele für die durch die Musikindustrie entwickelte Ikonographie auffielen und deren Musik bzw. Interpreten zu seinen auserkorenen Favoriten zählen. Somit schafft er mit seinen Umsetzungen der gedruckten Massenprodukte in gemalte Originale einerseits eine Inversion ihrer Herkunft, andererseits eine verspätete Würdigung der meist anonymen beteiligten Graphiker und schließlich auch eine bildnerische Hommage an eine konstitutive, aber bisher im Kontext der etablierten Kritik ignorierten Facette der in jüngster Zeit (wieder-)entdeckten afrikanischen Kultur: die populäre Musik dieses Kontinents in ihren verschiedenen Ausprägungen wie Marimba, Mambo, Jazz, Samba, Rumba, Cha-Cha, Blues etc., topographisch gesehen in den westlichen Gebieten Afrikas und dem Kongo beheimatet.

Nachdem Michéa seine Vorlage photographiert hat, erfolgt die digitale Bearbeitung von Typographie, Raster etc. und anschließend das Bedrucken der Leinwand mit den Umrissen der Abbildung. Danach beginnt der eigentliche Malprozess. Der Künstler hat seine Motive sehr getreu, hingebungsvoll und distanziert zugleich wiedergegeben, er behält alle Details

bei und manipuliert die Quelle kaum, verleugnet nicht die Tatsache des Gemaltseins. Kleine Unregelmäßigkeiten und Asymmetrien bezeugen dies. Auf der anderen Seite legt er den Fokus auf typische Eigenschaften des maschinellen Druckprozesses wie etwa die Zerlegung in Rasterpunkte. Hier erweist er sich als Neo-Pop-Artist, der Fragmente der Gebrauchsgraphik auswählt, um anschließend den Sprung von 'low' zu 'high' zu vollziehen.

Angesichts von Michéas Arbeiten lassen sich die Quellen in verschiedene Kategorien einteilen: Eine Gruppe bilden jene kreisförmigen Etiketten, die im Zentraum der LPs angebracht sind und einen eher spröden, dokumentarischen Charakter haben, teilweise den graphischen Stil der 50er Jahre widerspiegelnd (№ 57) – hier hat der Künstler außerdem den Abrieb der Platte durch das Papier hindurch in illusionistischer Trompe l’œil-Manier nachempfunden (№ 54, № 55, № 56); als zweite Gruppe existieren die poppigen, sehr bunten und ornamentalen Entwürfe, eindeutig den 60er und 70er Jahren verpflichtet, oft mit einem Konterfei der Protagonisten versehen (№ 28). Bei №. 12 und 13 sind formale und photographische Elemente ineinander komponiert, der Betrachter erahnt durch die abgebildeten Autotypen sowie den Stil der Kleidung das jeweilige Zeitkolorit. Den Übergang zur im letzten Jahr begonnen Serie der Porträts berühmter afrikanischer Chanteusen (und Chanteurs) bildet № 19 mit ihrem beeindruckenden Profil von Liziba Lilumi Ongando, dessen Schlichtheit die Bildwirkung nur steigert.

Während das Konvolut der kleinformatigen Plattencover-Arbeiten noch eine Art (subjektives) Destillat der allgemeinen afrikanischen U-Musikgeschichte nach 1945 darstellt, wird die Aussage bei den 130 x 130 cm großen Porträts individueller und auch künstlerisch präziser – eine zugleich emotional aufgeladene und dokumentarische Hommage an die charismatischen Interpreten, die jenseits des afrikanischen Kontinents kaum bekannt sein dürften bzw. nur Liebhabern geläufig sind. Von der bildfüllenden Präsenz der Gesichter lenken weder Schrift noch Farben oder eigenwillige Dessins ab: deutlich die Dimensionen der Plattenhüllen hinter sich lassend, farblich reduziert auf Schwarz und einen einzigen weiteren bunten Grundton und aufgrund der extremen Rasterung auf ihren photographischen, bereits vollendeten Ursprung verweisend, präsentieren sich diese Werke als souveräne und abstrakte, in Auflösung begriffene Würfe. Die überlebensgroßen Gesichter von M’Pongo Love und Aminata Fall, glamouröse Diven, vibrierend vor Energie, verkörpern darüber hinaus auch ein ganz anderes weibliches Schönheitsideal als das uns vertraute europäische Vorbild.

Vincent Michéa arbeitet mit seinem Œuvre gegen das Verschwinden kultureller Fakten an und schafft der afrikanischen Pop- und Jazzmusik vergangener Dekaden posthum einen Ort des Erscheinens und ein Archiv, das zugleich verborgener Klangspeicher und die Blaupause seiner eigenen Persönlichkeit ist. Auf diese Weise kehrt sich seine Abwendung vom Selbstporträt über Umwege in eine Zuwendung um.

Gabriele Wurzel

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Vincent Michea
Belle Epoque c'est demain