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Die erste Einzelausstellung des in Paris und Dublin lebenden Künstlers Vittorio Santoro in den Räumen der Galerie Campagne Première umfasst Installationen und Papierarbeiten. Vittorio Santoro spielt in seinen Arbeiten auf Bücher, Filme, Kunstwerke sowie historische und gesellschaftliche Ereignisse an, um Bezüge herzustellen, die labyrinthisch in sein Werk führen und sich letztlich in ihnen auflösen. Diese erzählerischen Bruchstücke und Objekte sind Ausgangspunkt von Santoros eigenen narrativen Entwürfen. Im Kern kreisen seine Arbeiten um Fragen der Kommunikation von Inhalten, nach Rezeption und Interpretation.

Der Titel der Ausstellung verweist lose auf Samuel Becketts Theaterstück „Warten auf Godot“ (1952), indem er auf den ersten von zwei aufeinanderfolgenden Tagen der Handlung eingeht. Die inhaltliche Struktur des ersten Tags bzw. Akts spiegelt sich im zweiten Akt in einer Weise, die charakteristisch für die aktuelle Ausstellung ist, in der Verbindungen sowohl zu Quellen außerhalb als auch innerhalb der Werke hergestellt werden.

Die Arbeiten "Notes I, January - March 2011" und "Notes II, April - July 2011", bestehen aus zwei mittelgroßen Blättern: Santoro notierte darauf in den Monaten vor der Ausstellung Skizzen, Kritzeleien und To-Do-Listen. Sie dienen entweder der Vorbereitung einer Arbeit oder sind einfache Spuren des Alltags. Einige von ihnen stehen in Verbindung mit bereits umgesetzten Arbeiten, während andere Hinweise auf Elemente kommender Werke sind. Notizen wie diese werden üblicherweise nicht als Kunstwerk präsentiert, hier stehen sie für die Entmystifizierung des Künstlers und machen Querverbindungen zwischen den Arbeiten der Ausstellung sichtbar.

Die mixed-media Installation "F. Dostoyevsky: C. and P., pages 67 (Penguin Popular Classics), divided vertically", 2007/2011, basiert auf einem Schlüsselwerk des russischen Autors. Die genaue Abschrift einer einzelnen Seite, vertikal durchtrennt, hängt Rücken an Rücken an einer Wand, daneben jeweils die Hälfte einer alten Tür. Ein Teil der Abschrift ist verbrannt, der andere unberührt. Der Text beschreibt den Moment eines bevorstehenden, letztendlich aber gescheiterten Zusammentreffens zweier Personen an einer Tür (aus Sicht des Künstlers ein Wendepunkt des Romans). Getragen vom Gefühl des Aufschubs - ob als fiktionales Mittel oder körperliche Aktion - , deutet das Werk eine Verbindung zwischen unsichtbarer Symmetrie und sichtbarer Asymmetrie an.

Für seine ,time-based text works‘ wählt Santoro jeweils einen bestimmten Satz, den er über einen Zeitraum von sechs Monaten täglich auf ein Blatt Papier schreibt. Die Arbeit "Les vingt-quatre heures, April - September 2010, folded to trace a pre-established itinerary on a September afternoon," die den Titel der Ausstellung liefert, nimmt Bezug auf die Orte, an denen sich Samuel Beckett in Paris aufhielt. Santoro hat diese Plätze an einem Nachmittag besucht, den Weg aufgezeichnet und das Blatt, auf welchem er über Monate einen mit einer Schablone vorgezeichneten Satz wiederholt hat, entsprechend gefaltet.

Bei anderen Werken wird das Materialspektrum erweitert. In "Good-bye Darkness IV, Elephants Don‘t Play Chess", 2010, gibt das Flimmern zweier Glühlampen, die in verschiedener Stärke und Länge leuchten, jeweils einen in einen Rhythmus verwandelten Satz wieder, der in seinen Wiederholungen und Variationen dem Verlauf und Aufbau von J.S. Bachs polyphonen Arbeiten folgt. Einer der beiden umgewandelten Sätze lautet: „It is unfair to claim that an elephant has no intelligence worth of studying.“1 Der andere Satz umfasst Schlagzeilen von drei bestimmten Tagen des Sommers 2010. Das Zusammenspiel der flackernden Lampen basiert auf einer ähnlichen Dualität wie ein anderes Element des Werkes, eine Jalousie, welche die industrielle Produktion mit dem häuslichen Bereich verbindet.

Ein weiteres Beispiel für die Art und Weise, wie Santoro anscheinend unzusammenhängende Elemente miteinander verknüpft, ist die Arbeit "How Could ‘Godot‘ End? (Date Painting Neutron Star)", 2011. Sie verbindet die Abbildung eines kürzlich entdeckten verglühten Sterns, dessen Licht uns nach seinem Erlöschen auch weiterhin erreicht, mit einem alten Kalenderblatt, das das Datum vom 4. Januar 1966 trägt - dem Tag von On Kawaras erstem ,Date Painting‘. Beide Elemente bergen in sich die Messung von Zeit, in der eine Aktion zu einem Wendepunkt kommen kann, wie die Frage im Titel andeutet.

Das letzte Werk "The World Was Full of Objects and Events and Sounds That Are Known to be Real...", 2011, eine Sammlung von etwa zwanzig Collagen (Zeitungsbilder auf Papier), die auf Holz montiert hinter einer Plexiglasscheibe zu sehen sind, ist charakteristisch für Santoros Arbeit, die - auch wenn sie heterogene Anspielungen beinhaltet - ihren Ursprung in alltäglichen Beobachtungen und Begegnungen findet.

Vittorio Santoro, geboren 1962 in Zürich, lebt in Paris. Zur Zeit ist er mit einem Stipendium des Irish Museum of Modern Art in Dublin.

Kommende bzw. aktuelle Einzel- und Gruppenausstellungen: Aujourd‘hui, Demain / Today, Yesterday, Fondation Ricard, Paris (2012); Que tout le monde vive comme si personne »ne savait« : some script works, Rosascape, Paris (2011); The Unbearable Lightness of Being, Yvon Lambert, New York (2011); Man Leaving Harbour on a Ship (in a Room), La BF15, Espace d‘art contemporain, Lyon (2010); Press Art - Sammlung Annette und Peter Nobel, Kunstmuseum St. Gallen und Museum der Moderne, Salzburg (2010); La chambre de Marlow, Galerie Xippas, Paris (2009); Stiftung Identity, CAC, Vilnius und Kunsthaus Zürich (2008); Three Attempts to Avoid the Inevitable, Les Complices, Zürich (2008); The Truth About Your Own Tolerance for Cruelty, Cortex Athletico, Bordeaux (2007); Learn to Read, Tate Modern, London (2006).

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Vittorio Santoro
Les vingt-quatre heures