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Die Ausstellung "Von Tizian bis Tiepolo.Venezianische Zeichnungen im Städel Museum" ist das Ergebnis einer zweijährigen Bearbeitung des 300 Werke umfassenden Bestandes der venezianischen Zeichnungen des Städel. Mit einer repräsentativen Auswahl von 90 der bedeutendsten Blätter aus diesem Bestand, die nun erstmals der Öffentlichkeit präsentiert werden, bietet sie einen Überblick über die venezianische Zeichenkunst vom 15. bis zum 18. Jahrhundert. Vereint werden Zeichnungen unterschiedlicher Funktionen wie Figurenstudien, Entwürfe für Altar- und Deckengemälde, autonome bildhafte Kompositionen, Porträts, Landschaften und Veduten. Die Konzentration auf Werke des 16. und 18. Jahrhunderts entspricht den Blütezeiten der venezianischen Kunst. Tizian und Tintoretto als Vertreter des 16. Jahrhunderts sind ebenso mit Werken vertreten wie die großen Meister des 18. Jahrhunderts: Giambattista und Giandomenico Tiepolo, Piazzetta, Canaletto, Francesco Guardi und andere mehr. Zudem gilt der Zeichnungsbestand von Gaspare Diziani, eines berühmten, dann vergessenen und in letzter Zeit wiederentdeckten Historienmalers und Zeitgenossen Tiepolos als eine der Entdeckungen dieser Ausstellung.

Der Bestand der venezianischen Zeichnungen im Städel konnte Dank der großzügigen Förderung durch die Frankfurter Gabriele Busch-Hauck Stiftung wissenschaftlich bearbeitet werden.

Anders als die vorhergehenden Ausstellungen von Zeichnungsbeständen der Graphischen Sammlung, die jeweils eine weite länderbezogene Auswahl zeigten – die italienischen Zeichnungen des 15. und 16. Jahrhunderts (1980), die französischen Zeichnungen von 1550 bis 1800 (1986), die niederlän dischen Zeichnungen vom 15. bis 18. Jahrhundert (2000), die deutschen Zeichnungen bis 1550 (2003) und die deutschen Zeichnungen des 18. und frühen 19. Jahrhunderts (2003) – ist hier erstmals der Längsschnitt einer einzigen Kunstlandschaft das Thema. Es ist ein herausragendes Merkmal der Städelschen Sammlung, dass sie anhand der Zeichnungen das Besondere dieser einzigartigen Kunstlandschaft in dieser Breite vor Augen zu führen vermag.

Venedig war stets ein eigenständiges Kunstzentrum, und der besondere Charakter der Lagunenstadt und ihrer Kunst unterscheidet sich deutlich von anderen italienischen Städten wie Florenz oder Rom. Venedigs Kunst erlebte zwei große Blütezeiten: das 16. Jahrhundert mit Künstlern wie Tizian, Tintoretto und Veronese und das 18. Jahrhundert, das glorreiche Settecento veneziano, in dem Maler wie Canaletto, Piazzetta und Tiepolo weltweit Triumphe feierten.

Seit dem 15. Jahrhundert hatte Venedig seine isolierte Lage in der Lagune zunehmend aufgegeben und war zu einer beherrschenden Landmacht geworden. Die Grenzen der Serenissima (den Beinamen erhielt Venedig durch Verkürzung des früheren offiziellen Staatstitels „La Serenissima Repubblica di San Marco“ – Die allerdurchlauchtigste Republik des Heiligen Markus) reichten im Westen bis nach Bergamo, im Norden bis nach Belluno, im Osten bis nach Dalmatien und im Süden bis in die Romagna. Venezianisch meint daher nicht nur die Lagunenstadt selber, sondern schließt auch das Festland, die „Terraferma“, mit ein. Viele Künstler erhielten dort ihre erste Ausbildung und siedelten erst später nach Venedig über – wie z. B. Paolo Veronese (1528–1588) oder Gaspare Diziani (1689–1767), andere waren mehr außerhalb als in Venedig tätig wie Jacopo Bassano (um 1510–1592), der in seinem Heimatort Bassano del Grappa eine große Werkstatt betrieb, oder Giovanni Antonio Pellegrini (1675–1741), der wie Antonio Bellucci (1654–1726) als typischer Wanderkünstler an den verschiedensten Höfen Europas tätig war. Paolo Farinati (1524–1606) dagegen arbeitete gar nicht in der Lagunenstadt, sondern blieb in Verona, wo er einer der gefragtesten Künstler seiner Zeit war. Die Künstler Venedigs stellen somit auf höchstem Niveau einen Querschnitt aller sozialer Möglichkeiten dar: vom Hof- bis zum Wanderkünstler, vom lokal erfolgreichen „Platzhirschen“ bis zum international tätigen Starkünstler und dem die Provinz dominierenden, aber in der „Hauptstadt“ verkannten Genie.

Weit mehr noch als in der Malerei finden in der Kunst der Zeichnung ganz unterschiedliche Funktionen ihren Ausdruck: Schnell hingeworfene Figurenstudien lassen den persönlichen Blick des Künstlers verfolgen; Entwürfe für Altar- und Deckengemälde zeigen, wie um ästhetische Lösungen gerungen wurde; autonome bildhafte Kompositionen belegen, wie Zeichnungen als eigenständige Kunstwerke schon in ihrer Entstehungszeit gesehen und gesammelt wurden; Porträts und Veduten vermitteln schließlich einen lebendigen Blick auf die damalige Wirklichkeit.

So dienten in der Frühzeit Zeichnungen wie Tizians (1485/90(?)–1576) singuläre Federstudie des Hl. Sebastian vielfach der Vorbereitung von Gemälden. Daneben treten aber auch bildmäßige Zeichnungen und eigenständige Studien auf, etwa wenn Tintoretto seinen Schülern vorführt, wie man mit etwas schwarzer und weißer Kreide die Wucht einer Michelangelo-Skulptur wiedergeben kann. Vielfach verzichteten die venezianischen Maler der Renaissance jedoch auf eine detaillierte zeichnerische Vorbereitung und malten direkt auf die Leinwand. Zeichnungen von ihnen sind daher heute selten und kostbar.

Unter den frühen Zeichnungen des 15. und 16. Jahrhunderts besitzt das Städel Museum eine der außerordentlich seltenen eigenhändigen Zeichnungen Tizians. Es handelt sich um eine kleine, aber meisterhafte Federstudie eines heiligen Sebastian, entstanden zur Vorbereitung eines monumentalen Altargemäldes in Brescia. Zusammen mit Werken von Andrea Mantegna, aus dem Umkreis der Bellini, von Jacopo Bassano, Jacopo Tintoretto und Paolo Veronese erschließt sie die Zeit der venezianischen Hochrenaissance. Antikenstudium und Naturbeobachtung finden zu einer neuen, für die Epoche charakteristischen Monumentalität, bei der der Mensch selbstbewusst im Mittelpunkt steht.

Mit einer Gruppe von Zeichnungen des Jacopo Palma il Giovane (um 1548–1628) ist nicht nur der bedeutendste Künstler Venedigs an der Wende zum 17. Jahrhundert vertreten, sondern kann auch der Übergang von der Renaissance zum Barock beispielhaft verfolgt werden. Hier sind auch Ansätze zu einer Autonomisierung der Zeichenkunst zu sehen. Die Zeichnung hört auf, nur ein vorbereitendes Medium zu sein, das dem Gemälde oder der Skulptur vorausgeht, und wird zu einem eigenständigen Kunstwerk in Konkurrenz zu ihren Schwesterkünsten.

Den zweiten, zahlenmäßig am stärksten vertretenen Schwerpunkt der Ausstellung bilden die Zeichnungen des 18. Jahrhunderts. Hier besitzt das Städel Museum fast alles, was Rang und Namen hat. Hervorzuheben sind Giovanni Battista Tiepolo (1696–1770), Giovanni Battista Piazzetta (1682–1754) und Gaspare Diziani (1689–1767). Gelangte Giambattista Tiepolo durch sein Würzburger Hauptwerk, die Ausmalung des Treppenhauses der Residenz, schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Deutschland zu großem Ruhm, so kann der Zeichnungsbestand von Diziani als eine der Entdeckungen dieser Ausstellung gelten. Neben dem Museo Correr in Venedig hat Frankfurt damit die zweitgrößte Sammlung von Werken dieses herausragenden Historienmalers. Nicht zu vergessen sind natürlich auch die zahlreichen zauberhaften Veduten von Canaletto, Francesco Guardi und anderen, deren bildhafter Charme in der Ausstellung eine eigene Würdigung erfährt.

Den krönenden Abschluss der Ausstellung bildet das zugleich jüngste Blatt in der Graphischen Sammlung, das erst in diesem Jahr vom Städelschen Museums-Verein erworben wurde. Es handelt sich um eine der spektakulären Zeichnungen aus dem „Pulcinella-Zyklus“ des Giovanni Domenico Tiepolo (1727–1804), des Sohnes von Giovanni Battista Tiepolo. Mit diesem anscheinend märchenhaften Zyklus, dessen Held eine Figur der Commedia dell’Arte ist, kommentierte Giovanni Domenico geistreich den Epochenumbruch der Zeit um 1800. Das Städel ist das einzige deutsche Museum, das eine Pulcinella-Zeichnung besitzt. Die künstlerische Bedeutung dieser Serie kann ansonsten nur mit der gleichzeitigen Reihe der „Caprichos“ von Francisco Goya verglichen werden.

Kuratorin: Dr. Julia Schewski-Bock

Katalog: „Von Tizian bis Tiepolo. Venezianische Zeichnungen des 15. bis 18. Jahrhunderts aus der Graphischen Sammlung im Städel Museum“, 312 Seiten, 155 Abbildungen, Michael Imhof Verlag, Petersberg.

Pressetext

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Von Tizian bis Tiepolo
Venezianische Zeichnungen im Städel Museum
Graphische Sammlung, Städel Museum
Kuratorin: Julia Schewski-Bock

mit Jacopo Bassano, Canaletto , Gaspare Diziani, Francesco Guardi, Andrea Mantegna, Jacopo Palma il Giovane, Giovanni Pellegrini, Giovanni Battista Piazzetta, Giovanni Battista Tiepolo, Giovanni Domenico Tiepolo, Tintoretto , Tizian , Paolo Veronese ...