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Wenn man jemanden in Sofia, der Hauptstadt Bulgariens, nach seinen Vorstellungen von der Zukunft befragt, so fällt die Antwort in der Regel pessimistisch aus. Trotz oder gerade wegen des bevorstehenden Beitritts zur Europäischen Union herrscht offenbar der Eindruck von Perspektivlosigkeit, was sicherlich für einige postsozialistische Länder Osteuropas zutrifft. Beide künstlerischen Positionen der dritten Ausstellung in der Reihe WAS WÄRE WENN beziehen sich auf Sofia, auf den politischen und gesellschaftlichen Wandel und wie dieser wahrgenommen bzw. interpretiert werden kann. Die Perspektive des Berliner Künstlerduos Hörner/Antlfinger ist dabei die des Besuchers von außerhalb, während der Sofioter Künstler Ivan Moudov den alltäglichen Wahnsinn seiner Stadt in subversiven, komischen und selbstironischen Aktionen thematisiert.

Hörner/Antfinger´s aktuelles Projekt Sofia Time Travel Experiment, speaking with the unconscious social mind entstand im Rahmen eines deutsch/bulgarischen Austauschprojekts das vom Goethe Institut Sofia und dem Arbeitsring Ausland für kulturelle Aufgaben e.V. initiiert wurde. Ausgangspunkt sind die teilweise stillgelegten Verkehrsüberwachungstürme der Polizei, welche den Künstlern als architektonische Überbleibsel der sozialistischen Epoche im Stadtraum besonders prägnant erschienen. Ihre ursprüngliche Funktionsweise umkehrend, dienen sie den Künstlern als Aussichtstürme in die Zukunft – von der Beobachtung zur Imagination einer möglichen, zukünftigen Stadt. Ungewöhnlich ist die Methode: Um ein freieres Assoziieren zu ermöglichen, führten Hörner/Antlfinger im September 2005 mehrere Trance-Sitzungen mit einer Gruppe von bulgarischen und deutschen Teilnehmer/innen durch. Dabei arbeiteten die Künstler zusammen mit Jenia und Roumen Georgiev, den Leitern des Milton H. Erickson Instituts Sofia. Erickson, Konstruktivist und Begründer der modernen Hypnotherapie, nutzte mentale Zeitreisen, um Bilder aus der Vergangenheit wach zu rufen und neue Sichtweisen zu suggerieren um schließlich Visionen eines möglichen Selbst in der Zukunft zu entwickeln. Während der Trance-Sitzungen in Sofia unternahm die Gruppe mentale Reisen in die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Stadt, Tonaufnahmen und Zeichnungen dokumentieren die dabei entstandenen inneren Bilder. In der Ausstellung wird eine Auswahl dieses Materials erstmals gezeigt. Dafür haben Hörner/Antfinger eine spezifische Ausstellungsarchitektur entworfen.

Ivan Moudov´s Aktionen im Stadtraum drehen sich ebenfalls um die Beziehung zwischen VerkehrsteilnehmerInnen, Verkehr und Verkehrsregeln. Der Künstler nutzt bestimmte Situationen als Setting für seine Interventionen, wobei er alltägliche urbane Bewegungen ins Leere laufen läßt. Verkehr wird in Moudov´s Versuchsanordnungen zur Metapher von Gesellschaft als solcher. So hat er zum Beispiel in der Uniform eines bulgarischen Verkehrspolizisten eigenmächtig den Verkehr geregelt – was in Graz ebensogut funktionierte wie in Cetinje oder Thessaloniki. Das in der Ausstellung gezeigte Video One Hour Priority dokumentiert die einstündige Autofahrt des Künstlers auf einem vielbefahrenen Kreisverkehr im Zentrum Sofias. Die Autos im Kreisverkehr haben Vorfahrt, alle ankommenden Fahrzeuge müssen warten. Moudov nutzt hier die Verkehrsregeln, um eine Stunde lang "zur rechten Zeit am rechten Ort" zu sein.

mit freundlicher Unterstützung des Hauptstadtkulturfonds

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