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Eröffnung am Samstag, 6. September 2008 / 17 bis 20 Uhr

Künstlergespräch am Sonntag, 7. September 2008 / 12 bis 14 Uhr Finissage am Sonntag, 19. Oktober 2008 / 15 bis 18 Uhr

Die Ausstellung WHERE THE EAST ENDS zeigt, wie sich junge Künstler aus Mittel-, Ost- und Südosteuropa mit den wichtigsten soziopolitischen Änderungen der letzten Dekade auseinandersetzen: Inwiefern führt der besondere soziopolitische Hintergrund zu anderen künstlerischen Positionen als im Westen Europas? Ist die Ost-West-Teilung noch berechtigt und funktioniert sie auf der Ebene künstlerischer Aussagen? Was bedeutet „Osten“ nach dem Umsturz der Ideologie des Kalten Krieges und welche Bedeutungen trägt das Wort in sich? Der Fokus liegt auf den vier Themengebieten Migration und Mobilität, urbane Transformation, Rezeption der kommunistischen Vergangenheit und der Positionierung in der internationalen Kunstwelt.

Kuratiert wird die Ausstellung von sechs StipendiatInnen des Programms „Kulturmanager aus Mittel- und Osteuropa“ der Robert-Bosch-Stiftung: Adela Demetja / Nora Dorogan / Radmila Joksimovi? / Magdalena Lipska / Nadezhda Simakina (Stipendiatin im NKV) / Siarhei Bohdan

Gleich eingangs beleuchtet Vladlena Gromova in der Video-Performance Portrait (2007) die künstlerische Identität. Mit wenigen Mitteln, mit Motiven René Magrittes und Thesen Jean Baudrillards, entsteht auf dem weißen Stoff, hinter dem die Künstlerin versteckt ist, ein Selbstbildnis. Aber kann sich ein Künstler überhaupt selbst darstellen? In wie weit lässt der Mensch sich von der äußeren Welt verführen, kann er sie verinnerlichen, ist der symbolträchtige Apfel tatsächlich ein Genuss? Vladimir Nikoli? und Vera Ve?anski stellen in ihrer Videoarbeit How to Become a Great Artist (2000) die Frage nach der Quelle künstlerischen Erfolgs. Der „große Meister“ lehrt die junge Künstlerin die Eigenschaften „großer“ Künstler und wie man einer werden kann. Sie muss Fertigkeiten trainieren, die auf den ersten Blick sinnlos und bizarr scheinen, muss Kampfsportarten und Zungenbrecher üben, um die wichtigsten Fähigkeiten in der heutigen Kunstwelt zu entwickeln - Selbstbewusstsein und Selbstvermarktung. Und natürlich kann man auch kein großer Künstler werden, ohne Englisch zu sprechen…

Mit künstlerischer Identität spielt auch die aus Belarus stammende Städelschülerin Marina Naprushkina. In der Videoarbeit Patriot I (2007) stellt die Künstlerin einen Patrioten nach, der nachts im Schein einer Schreibtischlampe mit sicheren Schnitten und Handgriffen zwei belarussische Fahnen herstellt. Vor dem zentralen Platz in nassauischer kunstverein wiesbaden wilhelmstraße 15 65185 wiesbaden tel 0611 30 11 36 presse@kunstverein-wiesbaden.de www.kunstverein-wiesbaden.de Minsk, der als Fototapete den Hintergrund der Videoinstallation bildet, zeigt ein Video die Aktion Patriot II (2007): Naprushkina erwarb ein Präsidentenportrait und trug es zu Fuß über alle wichtigen öffentlichen Plätze in Minsk; eine auf den ersten Blick harmlose Aktion, die allerdings mit erheblichen Risiken verbunden ist: Präsidentenbeleidigung steht unter schwerer Strafe.

Die Videoinstallation The Boy with a Magic Horn (2007) von Damir O?ko öffnet das Themengebiet der urbanen Transformation: Kernpunkt der Arbeit ist eines der größten architektonischen Projekte im Kroatien der 90er Jahre - eine mit fast 250.000 m2 geplante Universitätsklinik. Das Bauprojekt ist als Bauruine eines der merkwürdigsten Denkmäler seiner Zeit. O?kos imaginären Figuren machen sich auf die Reise durch das verlassene Baugerüst: Die Charaktere seines Films verwandeln es in eine Geisterarchitektur, gefangen in Raum und Zeit, irgendwo zwischen dem, was war, was ist und was hätte werden sollen.

Urbane Veränderungen thematisiert auch Kamen Stoyanov in seiner Videoinstallation Bingo Topologie (2005). In einem Video ruft eine weibliche Stimme über einen aus dem Boden ragenden Lautsprecher Zahlen aus und macht so den Betrachter auf das Geschehen im zweiten Video aufmerksam, auf dem der Künstler in einem unterirdischen Durchgang neben einem provisorischen Bingo Klub steht und von einem Monitor Zahlen in sein Notizbuch schreibt. Diese Notizen zusammen mit den Videoarbeiten demonstrieren die Verbindung zwischen dem sich schnell ausbreitenden Kapitalismus und einer architektonischen Ordnung, die nicht mehr ausschließlich vom Staat aufgebaut wird. Sie verdeutlichen, wie die alte ideologische Ordnung durch eine neue ersetzt wird, die verspricht zu funktionieren.

Nikolin Bujari zeigt in den Videodokumentationen Parking forbidden (2004) und Zogu I Zi (2005) Missstände auf, die durch das Versagen der Regierung in seiner Stadt Tirana Probleme in der Stadtinfrastruktur hervorgerufen haben. In „Zogu I Zi“ bedeckt Bujari die große Werbetafel, die den Bau der großen, nie verwirklichten Kreuzung in den Vorstädten von Tirana anpreist, mit dem Foto der realen Situation. In „Parking forbidden“ weist der Künstler durch Aktionen, die als direkte Reaktion auf die soziale und politische Situation Albaniens und als Angebot einer urbanen Alternative verstanden werden wollen, auf das Verschwinden der öffentlichen Plätze in seiner Heimatstadt hin.

Mit seinen Styropor-Skulpturen Im Wesentlichen (2006) analysiert Anton Bosnjak den Einfluss des Balkankrieges und die daraus resultierende Zerstörung durch Waffengewalt auf Architektur und Stadtentwicklung. Bilder von bombardierten Gebäuden aus seiner Heimat Bosnien-Herzegowina dienen als Grundlage seiner weißen Skulpturen aus Verpackungsmüll des Konsums.

Mit der Serie One Way Ticket (2004) widmet sich die serbische Fotokünstlerin Milena Zari? der seit 1997 einsetzenden chinesischen Migration nach Serbien. In einem chinesischen Einkaufszentrum und einem chinesischen Markt in Belgrad und Pan?evo fotografiert sie die Migranten in ihrem Arbeitsalltag: Momente der Arbeit, der Ruhe oder des intimen Familienlebens, das hauptsächlich an der Arbeitsstätte stattfindet. In melancholischer Atmosphäre inmitten kitschiger Ware zeigt sie Migranten aus dem Blickwinkel der serbischen Gesellschaft - als eine Gruppe ohne individuelle Charaktere, eine Gruppe, die immer fremd und distanziert bleibt.

In der Gemäldereihe The Guard, The Gurdians, The Guardians II (2006/2007) thematisiert auch Driton Hajredini Migrationserfahrung. Seinen realistisch gemalten Koffern – geöffnet oder verschlossen, mit Büchern gefüllt oder leer - ist mit der Krähe ein Symbol zugeordnet, das für Unbehagen und Ungewissheit steht, Gefühle, die eng mit der Entscheidung zu emigrieren verbunden sind. Driton Hajredini selbst wanderte wegen der politischen Lage aus dem Kosovo aus: Die Koffergemälde thematisieren seinen Versuch in Europa eine neue Heimat zu finden, gleichzeitig aber auch die ewige Sehnsucht wieder in den Kosovo zurückzukehren.

Arbeitsmigration greift auch Wojtek Doroszuk in seinem Videozyklus Reisefieber (2007) auf. In 5 Filmen stellt sich der Künstler in verschiedenen Lebenssituationen als Auswanderer und Gastarbeiter dar. Doroszuk spielt dabei mit seiner eigenen Identität als Osteuropäer und nicht zuletzt als Pole: Die Arbeiten entstanden in Berlin, einer Stadt, die für die turbulente deutsch-polnische Geschichte von besonderer Bedeutung ist; er stellt letztlich die Frage nach der nationalen Identität in einer globalisierten Welt.

Mit der Videoarbeit Eurolines Catering or Homesick Cuisine (2006) thematisiert der in Deutschland lebende Moldauer Pavel Braila auf ironische Weise die Migrationsbewegung aus seinem Land und folgt der Eigenheit, sich traditionelles Essen aus der Heimat schicken zu lassen: Er beauftragt seine Familie, ihm das Buffet für eine Galerieeröffnung mit dem Euroline Bus zuzuschicken. Die vermisste heimatliche Küche wird zur exotischen Garnitur, die Sehnsucht zur Performance.

Für die Fotoserie Botschaft (2008) fotografierte Nicolas Grospierre über ein Jahr lang das verlassene Gebäude der ehemaligen ungarischen Botschaft in Warschau. Die Zeit, die Spuren der Vergangenheit scheinen eingefroren, unberührt, als seien sie in großer Eile verlassen worden. Grospierre analysiert in einem behutsamen Dokumentarstil die modernistische Architektur des Gebäudes und macht sich auf die Suche nach der vergangenen Zeit, bis die Reise durch die verlassenen Räume ins Imaginäre schwenkt: Die eigene Vorstellungskraft ist von dem, was tatsächlich zu sehen ist, nicht mehr zu unterscheiden…

Zbyn?k Baladráns Videoinstallation Constructivist Model Tower (2006) ist eine Anlehnung an Vladimir Tatlins “Constructivist Tower“, eines der größten Symbole der kommunistischen Utopie, das Tatlin für die III. Internationale 1919 entwarf. Tatlins Turm spiegelte Dynamik und Revolution, weist mit seiner Spitze in eine bessere Zukunft, die nie gekommen ist. Baladran baut in seinem Video aus zufällig aufgeschlagenen alten Büchern einen Turm nach, dem auf Grund seiner Instabilität der Umsturz droht.

Mit Communism Never Happened (2006) greift Ciprian Mure?an die Kernfragen der Ausstellung auf. Der Satz, ausgeschnitten aus der Vinylplatte “Cîntarea României”, einer Kulturpropaganda der Ceau?escu Regierung, spricht die Dualismen der kommunistischen Vergangenheit an und versucht, eine Verbindung zwischen privater und kollektiver Geschichte zu knüpfen. Ironisch formuliert Mure?an den Zwiespalt zwischen den nie realisierten Idealen des Sozialismus und dem Wunsch danach, mit den Traumata des Kommunismus abzuschließen. Dennoch bleibt fraglich, ob dies nicht genau der Teil der gemeinsamen Vergangenheit ist, der die mittel-, ost- und südosteuropäische Identität prägt und daher auch im künstlerischen Schaffen nicht zu leugnen ist…