Kunstsammlung Jena

Jena Kultur | Städtische Museen Jena, Stadtmuseum & Kunstsammlung Jena | Markt 7
07743 Jena

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Die Bildtitel bei Wolfgang Mattheuer
und ihre offiziellen und inoffiziellen Deutungsräume in der DDR

Vortrag von Annette Müller-Spreitz (Leipzig)
Donnerstag, 13. Juli 2017, 20 Uhr

„Ich möchte nun einmal die Menschen innerlich bewegen, beunruhigen, erregen. Das schließt alle Formen künstlerischer Äußerung ein, die Harmonie, die Feststellung eines Tatbestandes, die Freude, den Aufschrei, den Protest […] Ich fühle mich einer Kunst verpflichtet, die die Welt den Menschen erregend reflektiert, sie erkennbar und ästhetisch erlebbar macht. […]
Den Nerv einer Zeit zu treffen und zu fixieren, jenen neuralgischen Punkt, der Lust und Schmerz auslöst, wenn mir das gelungen sein sollte, so ist das ein Resultat meiner lebenslangen intensiven Auseinandersetzung mit der Welt, den Menschen und den Dingen unseres Lebens. Ich lebe mit meinem Verstand und meinem Gefühl sehr angestrengt und voller Teilnahme in dieser Zeit.“
(Wolfgang Mattheuer, Tagebuchnotiz vom 5. / 6. November 1983, in: Mattheuer, Wolfgang (2002): Aus meiner Zeit. Tagebuchnotizen und andere Aufzeichnungen. Stuttgart, Leipzig: Hohenheim Verlag, S. 93)

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Sonderführung mit dem Kunstsammler Peter Mathar
Wolfgang Mattheuer - Chronist und Aufklärer
Mattheuers Bilddiagnosen und Mementos
Donnerstag, 8. Juni 2017, 19 Uhr

Die Ausstellung versammelt rund 100 Zeichnungen aus der Sammlung Peter Mathar, die in herzlicher Freundschaft und inspirierendem Austausch zwischen Künstler und Sammler gewachsen ist. Peter Mathar lebt im Rheinland und pflegte seit den späten 1980er Jahren einen engen Austausch mit Wolfgang Mattheuer.
Peter Mathar wird nicht nur über seine Sammlung, sondern auch über seine Freundschaft zu Mattheuer und über seine wachsende Begeisterung für dessen Werk sprechen. Diese Annäherung war nicht frei von Irritationen, hatte viel Anekdoten und endete schließlich in einer herzlichen Freundschaft.

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Ausstellung
Wolfgang Mattheuer. Zum 90. Geburtstag
Sammlung Peter Mathar | Zeichnungen

Vernissage: Freitag, 12. Mai 2017, 20 Uhr

Mit dieser Ausstellung möchten wir Wolfgang Mattheuer ehren, der zu den bedeutendsten Künstlern Ostdeutschlands in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg zählt. Die Kunstsammlung Jena besitzt mit einem Gemälde und etwa 30 Grafiken eine kleine Sammlung seiner Werke und ist dem Künstler seit den 1970er-Jahren verbunden. In der Ausstellung konzentrieren wir uns jedoch ausschließlich auf das zeichnerische Werk und zeigen etwa 100 Arbeiten der Sammlung Peter Mathar.

Der am 7. April 1927 in Reichenbach im Vogtland geborene Künstler ist Mitbegründer der "Leipziger Schule" und gehört mit Bernhard Heisig, Willi Sitte und Werner Tübke zu den bedeutenden Malern in der DDR. Der Sohn eines Buchbinders absolviert zunächst eine Lehre als Lithograf und nimmt erste Zeichenstunden. Nach Krieg und sowjetischer Gefangenschaft besucht er von 1946 bis 1947 die Kunstgewerbeschule und anschließend die Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig. Hier erhält Mattheuer seine Ausbildung zum Grafiker und entwickelt neben dem malerischen auch ein eigenständiges grafisches Werk. Bevor er ab 1974 ganz als freischaffender Künstler arbeitet, lehrt er für mehr als zwei Jahrzehnte zunächst als Assistent, ab 1965 als Professor, an seiner einstigen Ausbildungsstätte.

Mattheuer erhält 1973 den Kunstpreis der DDR und drei Jahre später deren Nationalpreis. 1977 ist er gemeinsam mit Bernhard Heisig und Werner Tübke an der documenta 6 in Kassel beteiligt, als es dort um neue realistische Kunst geht und der Sozialistische Realismus aus dem anderen deutschen Staat eine Gastrolle geben darf. Wolfgang Mattheuer, der von Anbeginn in das sich entfaltende Problemgeflecht der DDR hineinwächst, erweitert die Bildsprache des in der DDR politisch eingeforderten Sozialistischen Realismus mit leiser, provokanter Hintergründigkeit. Seine klar gegliederten und durch eine vereinfachte Formensprache gekennzeichneten Bilder vereinen Elemente des deutschen Expressionismus und der Neuen Sachlichkeit mit einer eigenen Formensprache, die sich trotz ihrer Verschlüsselung als kritische Kommentare zur politischen Realität in der DDR lesen lassen.

Früh etabliert sich die Landschaft als wichtiger Teil seines Werks. In den 1970er-Jahren schafft Mattheuer zunehmend sinnbildhafte Landschaften, die oft mit mehrdeutigen symbolischen Figuren besetzt sind. Immer wiederkehrende Themen sind Motive der griechischen Mythologie, wie das Drama des aus seinen Flugträumen gerissenen Ikarus sowie Szenen, in denen die Beengung der Menschen, etwa auf Inseln, thematisiert wird. Oft erst auf den zweiten Blick entschlüsselt sich diese Doppelbödigkeit in seinen Arbeiten und es bleibt dem Betrachter überlassen, welche gesellschaftlichen Zustände er mit einer sinnlosen Sisyphusarbeit gleichsetzt und welche Erkenntnisse er aus verrätselten Allegorien und Gleichnissen ableitet. Ab 1971 beschäftigt sich der Künstler auch mit plastischen Arbeiten. Bedeutend ist vor allem die überlebensgroße Bronze "Der Jahrhundertschritt" von 1984, mit der er eine wenig optimistische Bilanz der gesellschaftlichen Widersprüche des 20. Jahrhunderts zieht.

Mattheuer ist überzeugter Kommunist, er stellt den Sozialismus nicht grundsätzlich in Frage, zeigt aber in seinen Bildern immer wieder kritikwürdige menschliche Verhaltensweisen und gesellschaftliche Zustände auf, die es zu benennen und damit aber auch zu überwinden gilt. Obwohl er sich oft auf einem schmalen Grat geduldeter Zeitkritik bewegt, sieht er sich selbst nicht als politischer Künstler. Bis heute leitet sich die Bedeutung Wolfgang Mattheuers aus der Vielschichtigkeit und Fülle seines Werkes ab. Er schuf ein Werk, welches vielfach geehrt wurde (1993 mit dem Bundesverdienstkreuz und 2004 posthum mit der Ehrenmedaille "Viribus unitis" der Stadt Leipzig) und mit seinen künstlerischen Positionen, dem Wunsch nach Freiheit inmitten gesellschaftlicher Konflikte und nicht zuletzt seinem farb- und formkompositorischen Können bis heute wertvoll und aktuell ist.

Zur Ausstellung erscheint ein Katalog.