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„Die Wolke ist dem märchenhaften Blick nicht nur Burg oder Eisgebirge, sie ist auch eine Insel im Himmelsmeer oder ein Schiff, und der blaue Himmel, worin sie segelt, spiegelt den Ozean.“ Ernst Bloch

Der Stoff, aus dem die Wolken sind, hat viel mit dem der Träume gemein. Durch ihre Schwerelosigkeit und Unbeständigkeit haben Wolken die Phantasie unzähliger Künstler angeregt. Die Ausstellung in der Alten Nationalgalerie, die in enger Kooperation mit dem Bucerius Kunstforum in Hamburg entstanden ist, spürt diesem überaus reichen und spannenden Thema nach. Im Barock durchdringen Wolkenbilder die Architektur und heben Götter und Heilige in den Himmel. Die Apotheose, die Überwindung des irdischen Lebens und die Aufnahme in den transzendenten Raum, gehört zu den Leitthemen des Barock. Die Wolken visualisieren den entfernten Himmel und verleihen diesem abstrakten Thema Anschaulichkeit, indem sie den Figuren als Sitz dienen. Zugleich wird zu dieser Zeit auch das malerische Potential in den Wolken entdeckt, die unendlichen Möglichkeiten der Farbe werden in Skizzen erprobt und in riesigen Deckenbildern ausgeführt. Der Kunsthistoriker Heinrich Wölfflin benennt dieses Interesse: „Sobald die Linie als Grenzsetzung entwertet ist, beginnen die malerischen Möglichkeiten. Dann ist es, als ob es in allen Winkeln lebendig würde von einer geheimnisvollen Bewegung.“

Jacob van Ruisdael, Ein Walddorf hinter Dünen, o. J.
Die niederländische Landschaftsmalerei eines Jacob van Ruisdael etwa verschiebt im 17. Jahrhundert den Akzent: Die Maler trennen sich von den religiösen Szenen und die Naturlandschaft nimmt die Hauptrolle ein. Die Horizontlinie wird jedoch ganz niedrig angesetzt, von der Landschaft ist nur noch ein schmaler Streifen zu sehen, stattdessen nimmt der Himmel etwa zwei Drittel des Bildes ein. Der Wolkenhimmel verweist so auf den unendlichen Raum. Dabei werden die Wolkenerscheinungen in vielfältigen Variationen vorgeführt und zeigen unterschiedlichste Wettererscheinungen. In der Folge wächst die Sensibilität der Künstler gegenüber den Erscheinungen der Natur. Um 1800 versuchen Künstler wie Pierre-Henri Valenciennes die Lichtstimmungen der flüchtig vorbeiziehenden Wolken einzufangen. Rom ist zu dieser Zeit internationaler Treffpunkt für Künstler. Aber nicht nur antike Stätten werden studiert, sondern gerade auch die Landschaft. Das helle Licht und die leuchtenden Farben bringen die Künstler dazu, in die freie Natur zu gehen und sich ihrem Studium in Skizzen zu widmen. Indem sie den Himmel mit seinen vielfältigen Wolkenformationen in den Blick nehmen, lösen sie sich von den Konventionen, die die etablierte Akademiemalerei noch vorgibt: „Der reine oder bewölkte Himmel ist in gewisser Weise die Stimmgabel der Natur für die Farbe, und über diese Farbe bestimmt er den Grundton eines Bildes“, so Valenciennes in einer Abhandlung über Landschaftsmalerei. Er empfiehlt darin den angehenden Malern, sich in der Beobachtung der sich kontinuierlich verändernden Lichtbedingungen zu üben. In Italien finden sich somit die Vorläufer einer Plein-Air-Malerei, der Malerei unter freiem Himmel. In einer Zeit der exakten Wissenschaften erlangen die Wolken ein zunehmendes naturwissenschaftliches Interesse, und es entstehen Klassifikationssysteme für Wolken, die auch heute noch in der Meteorologie eine große Rolle spielen. Der Apotheker Luke Howard stellt sich im Jahr 1802 in seinem berühmten Vortrag über die „Modifikationen der Wolken“ dem Problem, die Wolkenformationen zu systematisieren. Er benennt erstmals drei Wolkentypen, Cirrus, Cumulus und Stratus und deren Mischformen. Sein daraufhin veröffentlichtes Buch hat eine immense Wirkung hervorgerufen.

John Constable, London mit St. Paul, von Hampstead Heath aus gesehen, um 1827-1830
Vor allem der englische Maler John Constable verschreibt sich ganz einer „Naturgeschichte des Himmels“. Mit besonderer Intensität und Systematik betreibt er Wolkenstudien. Gleichsam als meteorologischen Beleg kennzeichnet er seine Skizzen mit Ort, Datum und Uhrzeit auf der Rückseite. Durch die Serialität der Skizzen nimmt er eine naturwissenschaftliche Methodik auf: „Malerei sollte verstanden werden als eine Wissenschaft und sollte verfolgt werden als eine Untersuchung der Gesetze der Natur“. Der Funke springt schnell auf den Kontinent über, und auch dort studieren die Maler ausgiebig die Wolken. Johann Wolfgang Goethe ist von Howards Forschungen so beeindruckt, dass er ihm sogar ein Gedicht widmet, in dem er den ewigen Kreislauf der Wolken bis hin zum Regen beschreibt. Immer wieder hat Goethe selbst Wolkenskizzen angefertigt, aber er beauftragt auch Künstler damit, die Wolken nach den von Howard gefundenen Kriterien zu zeichnen und zu malen.

Caspar David Friedrich, Zwei Männer am Meer bei Mondaufgang, um 1817 Caspar David Friedrich lehnt diesen Auftrag auf der Stelle ab, „die leichten freien Wolken sklavisch in eine Ordnung zu drängen“. Eine derartige Herangehensweise erscheint ihm zu banal, für ihn ist das Wolkenstudium eine Art „Gottesdienst“ und der Himmel Symbol für das Transzendente. Er sucht die metaphysische Dimension hinter den Erscheinungsformen und unterwirft sie einer ästhetischen Ordnung.

William Turner, Strand von Calais, Niedrigwasser. Französische Poissards beim Einsammeln von Ködern, 1830
William Turner dagegen interessiert sich vielmehr für die dynamischen Eigenschaften der Wolken, deren Veränderung, Bewegung und Auflösung. Turners entmaterialisierte Landschaften sind Ausdruck seiner Wolkenfaszination. In kleinen Skizzen werden die Wolken zu reinen Licht- und Farbimpressionen. Die bannende Umrisslinie entfällt, um die Bewegung ins Bild zu bringen. Vor allem die Technik des Aquarellierens eignet sich, um die fließende Bewegungsform der Wolken darzustellen. Erst im Auge des Betrachters vervollständigt sich das Bild. Turners Darstellungen visualisieren gleichsam die durch die Naturwissenschaft entdeckten dynamischen Prinzipien der Naturprozesse. Sowohl in der Wissenschaft als auch in der Kunst geht es in dieser Zeit darum, wie man eine Form findet für etwas, das sich durch Formlosigkeit auszeichnet. Die Bilder zeigen nun auch reine Himmelsdarstellungen ohne jegliche Landschaftsangabe. Sie sind durch ihre Ausschnitthaftigkeit gekennzeichnet, die beinahe den fotografischen Blick antizipiert. Wenn Landschaft und Architektur überhaupt noch dargestellt werden, sind sie, wie bei Johan Christian Dahl etwa, ganz eng an den Bildrand gerückt – in ihrer Kleinheit stehen sie in einem extremen Kontrast zur Unendlichkeit des Himmels. Die menschlichen Rückenfiguren in Friedrichs und Dahls Bildern sind nur noch winzige Staffage, um die Größe des Himmels sichtbar zu machen. Der Himmel spielt die Hauptrolle in allen diesen Bildern. Der romantische Maler Carl Blechen geht so weit, dass nur noch ein Wolkenstrich zu sehen ist. Beinahe abstrakt wird die Flüchtigkeit der Wolken in Szene gesetzt und die Skizzen bannen in ihrer Serialität jeweils nur einen Moment. In den kleinen Formaten, die häufig auch panoramatisch breit gelagert sind, und der Formlosigkeit des Motivs finden die Künstler eine Möglichkeit, den strengen Vorgaben der Akademien zu entkommen. Die Wolkenmalerei erfasst bald die Maler von Skandinavien bis Frankreich – sie wird regelrecht zur Mode.

Piet Mondrian, Leuchtturm in Westkapelle mit Wolken, 1908-09 Gerade das Abstraktionspotential der Wolkenphänomene wird später in der Klassischen Moderne von Künstlern wie Emil Nolde und August Strindberg, Ferdinand Hodler und Piet Mondrian genutzt. Blieben die Wolkenbilder bis dato kleinen Formaten verhaftet, erhalten sie nun in großen Formaten ihre Nobilitierung. August Strindberg und Emil Nolde führen mit dick aufgetragener Farbe und grobem Pinselstrich expressive „Seelenlandschaften“ vor, um die belebte und „chaotische Struktur“ der Natur zu zeigen. Ein Pendant dazu bildet die symbolistische Abstraktion Piet Mondrians und Ferdinand Hodlers. Hodler entwickelt auf der Suche nach „wesentlichen Strukturen“ eine „Physiognomie der Landschaft“, woraus er einen „Formenrhythmus“ ableitet, der auf Reihung, Parallelismus und Symmetrie gründet. Wie Mondrians frühe Bilder gründet die Idee auf einer theosophischen Philosophie.

Die Ausstellung in der Alten Nationalgalerie führt diese vielfältigen Aspekte im Spannungsfeld zwischen Naturwissenschaft und Kunst vor Augen.

Pressetext

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Wolkenbilder. Die Entdeckung des Himmels
Eine Ausstellung in der Alten Nationalgalerie

mit Werken von William Turner, John Constable, Caspar David Friedrich, Camille Corot, Jacob van Ruisdael, Jan van Goyen, Ferdinand Hodler, Emil Nolde, Piet Mondrian, u.a.

Kooperation: Bucerius Kunst Forum, Hamburg

Stationen:
Bucerius Kunst Forum, Hamburg
Alte Nationalgalerie in Berlin
Aargauer Kunsthaus Aarau