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WUNSCH & WIRKLICHKEIT. DER EINFLUSS DER FOTOGRAFIE AUF DAS PORTRÄT
15.10.2017 – 18.02.2018

»Wir wissen alle, dass Kunst nicht Wahrheit ist. Kunst ist eine Lüge, die uns die Wahrheit begreifen lehrt, wenigstens die Wahrheit, die wir als Menschen begreifen können. Der Künstler muss wissen, auf welche Art er die anderen von der Wahrhaftigkeit seiner Lügen überzeugen kann.«
Pablo Picasso

Gut 100 Millionen Fotos – ein Großteil davon Porträts – werden täglich über das soziale Netzwerk Instagram geteilt, um schöne Momente festzuhalten und zu teilen oder um dem Drang nach Aufmerksamkeit und Selbstdarstellung nachzugehen. Dabei besteht das dem Menschen eigene Bedürfnis nach makelloser Selbstdarstellung im Sinne kommerziell verbreiteter Schönheitsideale keineswegs erst seit der Erfindung digitaler Medien. Die Ausstellung widmet sich daher der Frage nach dem Einfluss der Fotografie auf die Entwicklung des künstlerischen Porträts des 19. und 20. Jahrhunderts.

Berühmte Persönlichkeiten, Musen und Modelle oder auch Selbstporträts aus dem vielfältigen und hochkaratigen Sammlungsbestand des Clemens Sels Museums Neuss treffen auf historische Fotografien, welche dieselbe Person präsentieren. Dabei zeigen sich nicht nur Gemeinsamkeiten, sondern vor allem auch die eklatanten Unterschiede beider Medien. Die Handschrift des Malers ist für den Fotografen genauso wenig darstellbar wie das sekundenschnelle Festhalten eines Augenblickes für den Künstler.

Da die Fotografie im Ende 19. Jahrhundert vermehrt die Abbildfunktion von Personen übernommen hatte, welche zuvor nur durch die Anfertigung eines künstlerischen Porträts möglich war, eröffneten sich den Künstlern neue Herausforderungen und Möglichkeiten. Auftragsarbeiten zur Erstellung individueller Porträts unter Berücksichtigung formaler und ästhetischer Kriterien wurden seltener, sodass sich die künstlerische Auseinandersetzung mit dem Modell freier entfalten konnten und mussten.

Auch der akademische Naturalismus hatte den Rückzug angetreten und dergestalt allmählich einer neuen, individuellen Darstellungsweise des Menschen Platz gemacht. Damit entwickelte sich eine abstrakte, expressive Malweise, der es weniger um die Wiedererkennbarkeit der Porträtierten als vielmehr um die freie und subjektive Interpretation des Modells ging. Der Anspruch der Malerei war dabei nicht unbedingt die formale Veränderung oder Verschönerung einer Person, sondern das Abbild der Persönlichkeit mittels neuer künstlerischer Ausdrucksformen.

Die Ausstellung zeigt knapp 100 Porträts. Dazu zählen u.a. das des Kunstsammlers Clemens Sels, der dem Neusser Museum seinen Namen gab, ein Bild der Gabrielle Vallotton aus den Augen ihres Ehemannes Félix Vallotton sowie Fernand Khnopffs Weihrauch – jeweils im direkten Vergleich mit zeitgenössischen Fotografien der Dargestellten.

Das Nebeneinander technisch reproduzierter Menschenbilder und gemalter Porträts offenbart Abstraktionen, Verfremdungen, Transformationen und Interpretationen und zeigt überdies, wie sich einige Künstler die technische Entwicklung der Fotografie zu Nutzen gemacht haben. Beispiele der Sammlung sind unter anderem Franz von Stuck oder Max Slevogt, die sich nicht scheuten, fotografische Umrisse abzupausen und auf ihre Porträtarbeiten zu übertragen.

Die Ausstellung fordert in vielfacher Hinsicht zum Mitmachen auf: Auf Instagram gepostete Selfies (#clemensselsmuseumneuss) werden Teil der Ausstellung und Bildbearbeitungs-Apps lassen unsere Wunschvorstellung zur Realität werden. In Kinderworkshops können auch die Kleinsten ihre kreativen Einfälle umsetzen.

Die Begegnung historischer Fotografien und künstlerischer Porträts erzeugt bemerkenswerte Spannungsmomente und stellt uns bei der Betrachtung immer wieder die Frage: »Was ist Wunsch, was Wirklichkeit?«