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3. Juli bis 28. August 2021
Eröffnung: 03. Juli 2021, von 11 bis 19 Uhr

Xianwei Zhu – In a Landscape

Zur Eröffnung der Ausstellung Xianwei Zhu In a Landscape laden wir Sie und Ihre Freunde am Samstag, 3. Juli 2021, von 11 bis 19 Uhr sowie am Sonntag, 4. Juli 2021, von 11 bis 17 Uhr sehr herzlich in die Stuttgarter Galerie ein.
Im Rahmen der Eröffnung entsteht ein Video, das auf Instagram, Facebook und Youtube zu sehen sein wird.
Der Künstler wird anwesend sein.

Fließende Berge

... wie schön aus heiterer Ferne
Glänzt einem das herrliche Bild
Der Landschaft ...
(Friedrich Hölderlin, Der Spaziergang)

Er ist gern mit dem Tuschkasten unterwegs, hat das Donautal zeichnend erwandert und den Hohentwiel als Motiv ins Visier genommen – oder war es doch ein Fluss und ein Berg in China? Oder Erinnerung? Das Schaffen von Xian- wei Zhu ist ein Prozess der Selbstverortung. Geboren in Qingdao, China, beschwört der Maler, der sein Kunststudium sowohl in seinem Heimatland als auch in Stuttgart absolviert hat, die klassischen Zeiten herauf, um seine beiden verbindlichen Kulturräume zu erkunden und abzusichern. Es geht um Heimat in einer globalisierten Realität. Xianwei Zhu hat sich dem Gefühl des allseits Unbe- hausten zunächst figurativ entzogen. Von einem teils witzigen, teils skurrilen Kindchenmotiv aus, das dem Staunen über eine fremde Welt Ausdruck verlieh, gerieten die Protagonisten zunehmend erwachsener, wenn auch weniger hero- isch als satirisch, sei es im Kostüm eines Kaisers oder eines einsamen Wanderers über dem Nebelmeer. Von dort war der Schritt nicht weit zur Landschaftsmalerei, die das Werk Xianweis mittlerweile prägt. Was angesichts der postromantischen Spurensuche und Beschäftigung mit der Zen-Philosophie als Weltflucht gedeutet werden könnte, ist in Wahrheit der komplexe Versuch, in die Wesensstruktur des unerschütterlichen ostasiatischen Denkens und der vielberufenen romantischen Seele zugleich vorzudringen. Dass er beides vereint, ist die Stärke seiner Malerei, die eben nicht rückwärtsgewandt ist, sondern mit den verinnerlichten Bildern früherer Epochen eine nachmoderne Perspektive einnimmt. Dem asiatischen Betrachter kommen traditionelle Naturbilder in den Sinn, der mitteleuropäische Betrachter denkt an Caspar David Friedrich – beides ist räumlich wie zeitlich weit auseinander. Das spielt aber kaum eine Rolle, verinnerlicht man, dass es bei aller Erkennbarkeit um die Aneignung eines geistigen Raums geht. Ein Aphorismus Friedrichs ist berühmt geworden für das romantische Selbstverständnis: »Der Maler soll nicht bloß malen, was er vor sich sieht, sondern auch was er in sich sieht. Sieht er aber nichts in sich, so unterlasse er auch zu malen, was er vor sich sieht.« Was sich ihm allerdings im Kopf auftat, war schon imposant, um nicht zu sagen: erhaben. Dem Erzromantiker konnte die Diskussion Kants und Schillers kaum entgangen sein, wenn er selbst vom »Gefühl für das Erhabene in der Natur« schreibt: »Aber das Schönste und das Höchste und das Ergreifendste darzustel- len, wäre doch wohl die Aufgabe eines wahren Malers.« Ausdrücklich hat er dabei weder »himmelhohe Berge« noch »endlose Abgründe« vor Augen. Wegen des dem Maler abverlangten introvertierten Blicks reizt ihn gerade das Un-Sicht- bare. »Wenn eine Gegend sich im Nebel hüllt, erscheint sie größer, erhabener und erhöht die Einbildungskraft und spannt die Erwartung: gleich einem verschleier- ten Mädchen. Auge und Phantasie fühlen sich im allgemeinen mehr von der duf- tigen Ferne angezogen als von dem, (was) so nah und klar vor Augen liegt.«

Xianwei Zhu bewegt sich völlig frei im Nirgendwo zwischen Schwäbischer Alb und Hsiao-Hsing, gerade aus der Warte Asiens ist ihm die sinnerfüllte Leere ver- traut. Georg Wilhelm Friedrich Hegel, ein Zeitgenosse Caspar David Friedrichs, hat sich damit beschäftigt und eine Art negative Theologie im besten Sinne ent- wickelt, die der Romantiker letztlich auch hat, lässt er seinen Gott doch nur in und durch die inwändig gefühlte Natur in Erscheinung treten. Hegel deutet die Philo- sophie Ostasiens als »Religion des Insichseins«. Über Hegel, Schopenhauer und Heidegger haben sich die buddhistischen Werte der Leere, des Niemand und des Nichts in unsere westliche Gegenwart eingenistet. Xianwei Zhu wird in der Lektü- re heimisch, weiß freilich, dass es ein Gedankenspiel bleibt. Malerisch führt er die romantisch empfundene, aber substanzlose Landschaft vor. Die flüchtigen Pinsel- spuren deuten nur an, erinnern an die »Acht Ansichten von Hsiao-Hsing« des Zen-Malers Yü Chien: Berg und Fluss, Himmel und Erde gehen ineinander über, werden eins. Nach der Lehre des japanischen Gelehrten Dôgen gerät alles ins Fließen – sinnlicher wohl als das westliche ›panta rhei‹ (»Alles fließt«): Seine blau- en Berge »wandern«, es ist die Rede vom »fließenden Berg«. Man muss sich die Malerei Xianwei Zhus unter einem solchen, eben nicht nur metaphorischen, sondern gelebten Bild Dôgens vorstellen: »Die Berge schweben über den Wolken und wandern durch den Himmel. Die Gipfel des Wassers sind die Berge; das Wandern der Berge, aufwärts und abwärts, geschieht ständig auf dem Wasser.« Die Gemäl- de entwickeln sich, oftmals in Leserichtung, der Blick strömt auf kulminierende Höhenzüge zu oder von Baumgruppen in die Weite usw. Es geht jedoch darum, sich frei von Zuordnungen zu machen, den Berg zum Fluss werden zu lassen und letztlich zur Weisheit. Xianwei Zhu erinnert an das »wang ji«, das Vergessen, dank dem man überhaupt erst dahin gelangt, wo man hin will: »In a Landscape«. Dieser Ausstellungstitel ist einem Musikstück von John Cage aus dem Jahr 1948 entlehnt, das wahlweise für Harfe oder Klavier gedacht war. Wie beiläufig sollte die Musik »den Geist nüchtern und ruhig machen, um ihn so für göttliche Einflüs- se empfänglich zu machen«. Martin Heidegger beleuchtete eine Zen-Anekdote:

Ein Zen-Novize sieht vor sich Berge und Wasser; in einer inneren Schau zweifelt er als fortgeschrittener Schüler daran, dass Berge Berge und Seen Seen sind; erst als Erleuchteter sieht er wieder Berge und Gewässer.

Xianwei Zhu hat die Dichtung des zen-buddhistischen Tang-Dichters und Ein- siedlers Han-Shan vor den Bildern der deutschen Romantik hinterfragt, und er hat diese mit der ostasiatischen Tuschemalerei konfrontiert. »Die Leute fragen nach dem Hanshan-Weg – / Hanshan? Kein Pfad führt euch dorthin! / Hier schmilzt das Eis auch spät im Sommer nicht, / Im Nebel steigt die Sonne blass wie der Mond...«. Darüber hinaus strebte er danach, sowohl die asiatische Denkwelt wie den romantischen Geist durch die Brille Martin Heideggers zu sehen bzw. neu zu erfinden. Das Ergebnis macht sich im Werk des Pendlers zwischen den Welten bemerkbar, die das nachhaltig Fremde im gegenwärtigen Heimatempfinden genauso thematisieren, wie sie das Utopische einer konkreten Verheimatung her- ausstreichen. In seinem jüngsten Werk sucht Xianwei Zhu einen bildlichen Aus- druck für die absolute Sprache Friedrich Hölderlins, der seine schwäbische Heimat derart hellenisierte, dass der Leser sich in einer erträumten Ferne wiederfindet. In dem Gedicht »Der Spaziergang« – es ist mehr ein Wandern – schreibt er: »Ihr Wälder schön an der Seite, / Am grünen Abhang gemalt, / Wo ich umher mich leite, / Durch süße Ruhe bezahlt / Für jeden Stachel im Herzen, / Wenn dunkel mir ist der Sinn, / Denn Kunst und Sinnen hat Schmerzen / Gekostet von Anbeginn. / Ihr lieblichen Bilder im Tale, / Zum Beispiel Gärten und Baum, / Und dann der Steg der schmale, / Der Bach zu sehen kaum, / Wie schön aus heiterer Ferne / Glänzt einem das herrliche Bild / Der Landschaft, die ich gerne / Besuch' in Witterung

mild. / Die Gottheit freundlich geleitet / Uns erstlich mit Blau, / Hernach mit Wolken bereitet, / Gebildet wölbig und grau, / Mit sengenden Blitzen und Rollen / Des Donners, mit Reiz des Gefilds, / Mit Schönheit, die gequollen / Vom Quell ursprünglichen Bilds.« Hölderlin vermittelt ein modernes Naturgefühl, welches das Innerste des Ichs nach außen kehrt und die Zerrissenheit seiner/unsrer Zeit vor Augen führt. Xianwei Zhu versucht jedoch Hölderlins Lyrik mit dem eigenen Kos- mos zu vergegenwärtigen. Die teilweise winzigen, fast entschwindenden Figuren gleichen Boten aus der Vergangenheit, zeugen aber auch von der existenziellen Nichtigkeit im Ganzen der bedrohten Natur. Die romantisch-pantheistische Welt und das Nichts des Zen verklären sich zur Einheit einer »gemalten Philosophie«, wie Peter O. Chotjewitz über das Werk des chinesisch-deutschen Malers schrieb. Zeit- und raumlos macht sich Xianwei Zhu auf die Suche nach sich selbst und nach seiner zuweilen doppelt irrlichternden Welt, um sich der Leere letztlich mit einer Gelassenheit, ja Heiterkeit zu nähern.

Günter Baumann