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Die Ausstellung

Ballonskulpturen aus Vinyl füllen die Mittelhalle und bilden ein Arrangement von zeltartigen Höhlen. Zwei sind begehbar, bei einer anderen kann man peepshowartig nur von außen durch kleine Gucklöcher sehen. Die kleineren Ballonskulpturen wirken wie ein Echo der größeren. Dunkelviolettes Licht scheint auf die schwarzen Dots auf pinkfarbenem Grund. Ein Video zeigt die Künstlerin beim Verzehr von Blumen. Eine Produktion von Kusama Studio in Zusammenarbeit mit Franck Gautherot und Seung-duk Kim, Le Consortium in Dijon und Chris Dercon, Haus der Kunst.

Biografie und künstlerisches Vokabular

Yayoi Kusama, geb. 1929 in Nagano, Japan, arbeitete während des Krieges in einer Fabrik, die Fallschirme herstellt. 1957 ging Kusama in die Vereinigten Staaten. In den späten 60er-Jahren veranstaltete sie in New York zahlreiche Happenings: Bodypainting-Festivals, Modeschauen und Antikriegs-Demonstrationen. Donald Judd und Joseph Cornell waren ihre Weggefährten. 1973 kehrte sie nach Japan zurück, wo sie nicht nur ausstellt, sondern auch mehrere Romane und Anthologien veröffentlicht. Seit 1974 ist ihr ständiger, freiwillig gewählter Wohnort ein psychiatrisches Krankenhaus in Tokio; von dort geht sie täglich in ihr Atelier.

Yayoi Kusama begann im Alter von ungefähr zehn Jahren zu malen. Farbige Punkte - die so genannten Polka Dots - und Netze waren von Anfang an ihre Motive. Kusama schuf zunächst fantastische Gemälde in Wasserfarben, Pastell und Öl. Bald nach ihrer Ankunft in New York entstanden fünf fast monochrome Ölbilder: weiße Netzstrukturen auf weißem Grund. Statt sich wie Muster ab einem definierbaren Punkt zu wiederholen, dehnen sich die von Kusama geschaffenen Strukturen ohne Anfang, Ende oder Zentrum aus wie Netze. Obwohl sie keiner gängigen Regel von Ordnung oder Symmetrie gehorchen, vermitteln sie dennoch eine gewisse Ausgewogenheit. Die Künstlerin selbst hat diese Strukturen immer wieder mit den Begriffen "Unendlichkeit" und "Nichts" in Verbindung gebracht. Bald bedecken ihre Netze nicht nur Leinwände, sondern ganze Räume. Phallusförmige Ausstülpungen wachsen aus dem Boden und aus allen möglichen Gegenständen: prall gefüllte Stoffsäcke, die ihrerseits mit Polka Dots übersät sind. Dieser Formensprache ist Kusama ihr Leben lang treu geblieben.

Bei Kusamas Bodypaintings verliert der mit Punkten Bemalte seinen Status eines Erwachsenen; er driftet in einen un- oder vorgeschlechtlichen Zustand der Unschuld und Anonymität. Kusama nimmt dem Individuum durch die Bemalung mit Punkten seine Unverwechselbarkeit; "Auslöschung" nennt sie diesen Prozess. In einem ganz im Geist der 60er-Jahre formulierten Aufruf heißt es: "Verbrennt die Wall Street. Wall-Street-Männer müssen Farmer und Fischer werden ... Löscht die Wall-Street-Männer aus durch Polka Dots auf ihren nackten Leibern." Wo Individualität ausgelöscht ist, wird Verschmelzung mit dem Universum möglich. "Unsere Erde ist nur ein Polka Dot unter vielen Millionen. Wenn Kusama deinen Körper mit Punkten bemalt, wirst du Teil der Einheit des Universums", verspricht die Künstlerin in einer Pressemitteilung von 1968.

Die von Kusama betriebene Selbstauslöschung durch Polka Dots kann auch als eine spezifisch japanische Spielart des Freitods verstanden werden: freiwilliges Ausscheiden aus dem Leben im rechten Augenblick hat in Japan kulturhistorische Bedeutung und gilt als heldenhafte Tat. Man stirbt auf dem Höhepunkt der Begeisterung, vergisst sich in einer Totalität ohne Widersprüche und geht in einer kollektiven Seele auf.

"Von klein auf habe ich die runde Form von Punkten geliebt. Jahrzehnte lang haben meine Punkte, zusammen mit Netzmustern, verschiedene Arten von Gemälden, Skulpturen, Aktionen und Installationen hervorgebracht. Sie haben sich ganz frei bewegt im Himmel der Formen und Gestalten. Punkte haben mir bewiesen, dass ich lebe. Im Universum verbreiten sie stetig wachsende Liebe und erheben meine Seele zur Höhe des Himmels. Diese geheimnisvolle Punkt-Besessenheit. Selbst in meinen Träumen sind Punkte, und die Kunst spielt ihnen einen Streich; die Kunst, die ich so sehr liebe." (Yayoi Kusama 2006)

Rezeption

Man hat Yayoi Kusama für mehrere Kunstströmungen vereinnahmen wollen. Ihr Frühwerk, die monochromen Arbeiten, wurde mit der Minimal Art in Verbindung gebracht; ihre farbenfroheren Arbeiten sah man als Wegbereiter für die Pop Art. Kontinuierlich wird Kusamas Werk eng mit der geistig-seelischen Verfassung der Künstlerin parallel geschaltet: mit roher Pasta beklebte Objekte wurden als Kommentar zu Essstörungen gelesen, die gepunkteten Endlosstrukturen als Bild gewordener Ausdruck der Halluzinationen gedeutet, von denen Kusama seit ihrer Kindheit heimgesucht wird.

In den 60er-Jahren warfen die Medien der Künstlerin Scharlatanerie vor, weil deren Happenings oft eine Mischung aus Körperbemalung, Nackttanz und orgiastischem Durcheinander waren. Ein Vokabular - etwa das begriffliche Instrumentarium der Gender Studies -, mit dem die Kunst der Yayoi Kusama adäquat hätte beschrieben werden können, stand noch nicht zur Verfügung. Dass die zahlreichen öffentlichen Aktionen, in denen die Künstlerin mit den eigenen Ressourcen schonungslos umgegangen war, zu ihrem seelischen Zusammenbruch Anfang der 70er-Jahre geführt haben dürften, wurde meist übergangen. Denn vor dem körperlich-seelischen Einsatz, den ein Performancekünstler leistet, fehlte die Achtung.

Die Kopplung von biografischem Hintergrund bzw. psychischer Befindlichkeit und Werk scheint seit 1974, als Kusama ein psychiatrisches Krankenhaus als ständigen Wohnort wählte, legitimiert. Es ist aber durchaus denkbar, dass Kusama mit ihren zahlreichen Hinweisen auf den psychischen Gehalt ihrer Arbeiten voller Absicht falsche Fährten legt. Vielleicht sind ihre Arbeiten weniger von Obsession, Phallus und Traumata geprägt, als man gemeinhin annimmt; vielleicht geht es ihr vor allem auch um die Freude am Spiel, um die offensichtliche Lust an Wülsten, Punkten und Spiegeln - und darum, auf die Vorurteilsstruktur der Kunstkritik aufmerksam zu machen und sie in die Falle ihrer eigenen Gesetze zu locken.

In den 90er-Jahren kommt die späte Anerkennung. 1993 gestaltet Yayoi Kusama als einzige japanische Künstlerin den japanischen Pavillon auf der Biennale in Venedig. Für die beste Galerieausstellung 1995/96 und 1996/97 gewinnt sie den Preis der International Association of Art Critics. 1998 zeigt das Los Angeles County Museum of Art eine große Retrospektive; sie reist weiter ins Museum of Modern Art in New York. 2006 wird Yayoi Kusama mit dem Praemium Imperiale ausgezeichnet.