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Zheng Bo: Wanwu Council 萬物社
21. Juni bis 23. August 2021
Eröffnungstag: Sommersonnenwende (21. Juni 2021)

„Wir können nicht weiter in der Fantasie leben, dass dieser Planet den Menschen gehört. Wie können sich Kunstinstitutionen in Richtung einer mehr-als-menschlichen Zukunft bewegen?“ — Zheng Bo, 2021

Ökologische Krisen, politische Umwälzungen und globale Gesundheitsnotstände gefährden zunehmend das Leben auf diesem Planeten. Für Zheng Bo resultiert diese Notlage aus dem Trugbild der menschlichen Vorherrschaft auf der Erde. Ein globaler Reparaturprozess erfordert es deshalb, über die menschliche Perspektive hinauszudenken und die Verflechtung aller Lebensformen miteinander zu akzeptieren. Der Gropius Bau freut sich, mit Wanwu Council 萬物社 eine Ausstellung des in Hongkong lebenden Künstlers und Lehrenden anzukündigen, der im Jahr 2020 auch In House: Artist in Residence des Gropius Bau war.

Die Kunst von Zheng Bo, die auch eine Form von ökologischem Aktivismus ist, lädt dazu ein, die Beziehungen zwischen Natur und Kultur, dem Menschlichen und Nicht-Menschlichen, Gleichberechtigung und Ökologie neu zu denken. Durch Filme, partizipatorische Übungen im Freien und tägliche botanische Zeichnungen widmet sich Zheng Bo der Politik aller Lebensformen. Seit Frühling 2020 verbringt er jeden Tag kontemplative Zeit mit Pflanzen – um sie zu zeichnen, ihnen zuzuhören und von der Natur zu lernen. Hauptsächlich in Berlin und Hongkong sind dabei 366 Bleistiftzeichnungen auf Papier entstanden, die in der Ausstellung neben einem neuen Film und unterschiedlichen Workshops versammelt sind.

Die Geschichte von Drawing Life 寫生 (2020–2021), der neuen Serie des Künstlers, beginnt mit der globalen Pandemie und den dadurch abrupt notwendig gewordenen Veränderungen des Reisens, Lebens und individuellen Bewusstseins. Da Zheng Bo in Hongkong lebt und wie viele andere mit Mobilitätsbeschränkungen konfrontiert war, wandte er sich der elementarsten aller künstlerischen Praktiken zu: dem Zeichnen in der Natur, für das nichts als einfache Materialien, Zeit und Beobachtungsgabe erforderlich sind. Er fand in dieser Tätigkeit einen ethischen und philosophischen Imperativ und beschreibt seine Gedanken dazu so: „Heutzutage geht es nicht mehr um unsere Fähigkeit zu zeichnen. Es geht um unsere Bereitschaft zu zeichnen, mit anderem Leben zusammenzusitzen und es zu zeichnen.“ Obwohl es für ihn oft möglich war, sich in der Natur aufzuhalten, gab es Zeiten, in denen er angesichts der obligatorischen Quarantäne im Innenraum verweilen musste und 14 Tage lang denselben Farn zeichnete. Die daraus resultierende kontemplative Serie Drawing Life 寫生 reagiert auf die aktuellen globalen Bedingungen und ist ein Grundpfeiler der Ausstellung.

Stephanie Rosenthal, Direktorin des Gropius Bau, sagt über die Ausstellung: „Es ist mir eine große Freude, Zheng Bo wieder in Berlin zu begrüßen. Während seines Aufenthalts 2020 hat er uns mit seiner künstlerischen Forschung und Praxis herausgefordert, mehr-als-menschliche Perspektiven einzunehmen und insbesondere das politische Leben der Pflanzen zu betrachten – als Lebensformen, die Gemeinschaften bilden, zusammenarbeiten und Entscheidungen treffen. Im Rahmen von Wanwu Council 萬物社 soll ein gemeinsames Manifest entstehen, das skizziert, wie der Gropius Bau eine nachhaltige Zukunft voller Artenvielfalt anstreben kann – ein Dokument, das für Organisationen auf dem ganzen Planeten ein nützliches Werkzeug sein wird.“

Der Titel der Ausstellung, Wanwu Council 萬物社, leitet sich vom daoistischen Begriff wanwu ab, der sich als „zehntausend Dinge“ oder „Vielzahl von Ereignissen“, aber auch als „mehr-als-menschlich“ übersetzen lässt und so für die unendlichen Möglichkeiten des Lebens in all seinen Formen steht. Zentraler Bestandteil der Ausstellung ist Zheng Bos Organisation des „Wanwu Council“, einer Gruppe von Künstlerinnen, Wissenschaftlerinnen und Aktivist*innen, die sich im August 2021 in Berlin treffen wird. Jedes Mitglied des Rates wird eine andere Lebensform oder Materie vertreten: Licht, Wasser, Jahreszeiten, Erde, Mikroben, Unkraut, Platanen, Bienen, Füchse, Gemeinschaften, Geschichten und Geister. Das Ziel des Rates ist es, gemeinsam ein Manifest für eine wanwu-Zukunft zu schreiben.

Außerdem wird in Wanwu Council 萬物社 ein neuer Film präsentiert, welcher der zentralen Frage nachgeht, die Zheng Bo auch während seiner Residency gestellt hat: „Wie praktizieren Pflanzen Politik?“ Protagonist des ca. halbstündigen Films mit dem Titel The Political Life of Plants 植物的政治生活 (2021) ist ein alter Buchenwald im brandenburgischen Grumsin, der zum UNESCO-Weltnaturerbe gehört. Der Film, dessen Produktion von der Schering Stiftung unterstützt wurde, zeigt den Künstler auch im Gespräch mit den Berliner und Potsdamer Wissenschaftler*innen Matthias Rillig und Roosa Laitinen, mit denen er darüber diskutiert, wie Pflanzen auf molekularer Ebene Politik betreiben.

Während seines Aufenthalts realisierte Zheng Bo unter dem Titel Botanical Comrades 植物同志 Veranstaltungen zu Beginn eines jeden neuen Halbmonats im ostasiatischen Lunisolarkalender, der das Jahr nach landwirtschaftlichen und astronomischen Ereignissen in 24 Perioden unterteilt. Diese Strukturierung der Zeit soll „dem Menschen helfen, den Wechsel der Jahreszeiten zu spüren“. Auf diesen prototypischen Veranstaltungen, zu denen auch Lese-Spaziergänge und das Zeichnen von Gräsern gehören, basieren Zheng Bos Ecosensibility Exercises 生態感悟練習 (2021). Während der gesamten Ausstellung lädt Zheng Bo jeden Nachmittag zu Übungen ein, die auf einer neuen temporären Plattform im „Gropius Hain“, der Gemeinschaft von Platanen westlich des Gebäudes, stattfinden. Die Anleitungen für die Ecosensibility Exercises 生態感悟練習 werden auch digital verfügbar sein und können jederzeit praktiziert werden. Verbindendes Element dieser Aktivitäten ist der Vorschlag des Künstlers, durch die Überwindung der Fiktion der menschlichen Vorherrschaft die Koexistenz aller voneinander abhängigen Lebensformen auf der Erde wiederherstellen zu können.

Wanwu Council 萬物社 beruft sich häufig auf die Intuition des Lunisolarkalenders, die besagt, dass alle Lebensformen und die Natur ihren eigenen Rhythmen folgen – eine Erkenntnis, die der Gropius Bau in sein Programm einfließen lässt. Der zeitliche Rahmen dieser Ausstellung erstreckt sich von der Sommersonnenwende 夏至 bis zum 14. Halbmonat des Lunisolarkalenders, dem Ende der Hitze处暑.

Wanwu Council 萬物社 wurde kuratiert von Stephanie Rosenthal mit Clare Molloy.