Ein Beitrag von Lothar Fragenberg zur Ausstellung:

„WADE GUYTON ZWEI DEKADEN MCMXCIX–MMXIX“
Museum Ludwig Köln
16.11.2019 – 01.03.2020

Die letzten Wochen der Ausstellung des 1972 geborenen, US-amerikanischen Künstlers Wade Guyton im Kölner Museum Ludwig laufen an. Noch gibt es die Chance, sein vor Ort retrospektiv und opulent ausgebreitetes Werk zu erleben. Guyton hat unterschiedliche Präsentationsszenarien eingerichtet. Zu seinen großformatigen, digitalisierten Malereien, oft in dicht gehängten Bildreihen arrangiert, gesellt sich Skulpturales und Installatives. Neben Tischvitrinen mit eher achtlos drapierten, von ihm überdruckten Ausrissen aus Zeitschriften, Katalogen oder Büchern, laden Sofas aus seinem Atelier und Stuhlgruppen zum Verweilen ein: eine Abfolge unterschiedlicher Ausstellungsdisplays im steten Wechsel zwischen Beiläufigkeit und Prägnanz.

In Zeiten, in denen viele malerische Versuche austauschbar erscheinen, ohne kreative Neuerungen daherkommen und sich mit dem Status einer exklusiven und dekorativen Flachware zufriedengeben, ist es spannend zu verfolgen, welche Strategien der Bildherstellung Wade Guyton entwickelt. Guytons Umgang mit einem heute noch geschätzten Designklassiker, einem Stuhl von Marcel Breuer, sei als Beispiel genannt. Er wird als Designobjekt demontiert und entwertet. Sein Metallgestell wird aufgebogen und reckt sich im Ausstellungsraum in einer vertraut anmutenden, skulpturalen Geste nach oben. Als dem Alltagsgebrauch entzogenes, inszeniertes Kunstwerk wird das metallene Rohr wieder mit Wert und Bedeutung aufgeladen. Und es wird weiteren Transformationen als Motiv auf großen Bildformaten ausgesetzt. Dort kommt das für Guyton typische Druckverfahren zur Geltung. Die am Rechner bearbeitete Bildvorlage wird gerastert von Druckmaschinen auf Leinwand übertragen. Ein mühsames Unterfangen. Aber so entstehen malerische Spuren und Effekte ohne die Handschrift des Künstlers. Sie ist der Maschine übereignet. Sie spuckt im Dauerstress Farben an der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit und über sie hinaus aus. Gequälte, stotternde und tröpfelnde Druckpatronen erzeugen unaufhörlich malerische Reize auf der schweren, durch den Drucker wandernden Leinwand: Malerei aus methodisch erzeugten Fehlstellen der überstrapazierten Malmaschinen. Dabei ist der prinzipielle Bildaufbau vorgegeben. Die maximale Druckbreite erzeugt zueinander versetzte Bildteile. Attraktive, ästhetisch reizvolle Cuts mit Verschiebungen und Wiederholungen sind die Folge. Die technischen Zwänge werden künstlerisch verfügbar gemacht. Der Künstler trifft am Ende zwischen all den Stapeln von bedruckten Leinwänden seine Auswahl zur Adelung des Ausdrucks als Kunstwerk.

Guyton als Kind des 20. Jahrhunderts und Künstler im Übergang zum 21. Jahrhundert setzt sich anfangs kreativ mit der US-amerikanischen Kunstmoderne ab den 1950er und 1960er Jahren auseinander. Deren schnell wechselnde Nachkriegsavantgarden kommentiert er künstlerisch u.a. mit Bildkonstrukten, die als Bilddrucke von einer abstrahierenden Flächigkeit oder Zeichenhaftigkeit geprägt sind. Sie entwickeln trotz aller bewusst gewählten technischen Unzulänglichkeiten eine zuspitzende Präzision. Dagegen tauchen in den letzten Jahren ganz andere Bildmotive auf. Guyton benutzt selbst fotografierte Atelieransichten. Fast beiläufige Blicke aus dem Fenster, auf seine Mitarbeiter, den Holzboden, den Wust von Arbeiten im Atelier, auf Essensreste oder Zeitungsausschnitte: all das wird als bildwürdig empfunden und per Druck ins Großformat übertragen. Mit der Erweiterung des Bildreservoirs von der zeichenhaften Abstraktion bis hin zum abbildenden Alltagsausschnitt entstehen hybride Bildreihen mit vielfältigen Verweisen und Bedeutungswechseln. Ein unaufhörliches Spielen mit Fragen nach kunstgeschichtlichen Bezügen, der eigenen Autorenschaft, der Kunstwürdigkeit von Alltagsphänomenen oder dem Status von Kunstwerken.

Über die Länge des Ausstellungsparcours erscheint der sich wiederholende, künstlerische Verwertungsprozess, den Guyton vorführt, als Ganzes oft interessanter als das Einzelwerk. Mit dem Motivwechsel ins Konkret-Abbildhafte kommt eine Form der malerischen Selbstbespiegelung zum Tragen, die schnell etwas Patina anzusetzen scheint. Hier tritt das systematische Konzept der technisch geprägten Bildherstellung zurück und wird durch andere Layer überlagert. Die Bilder werden narrativer, aussagelastiger. Malerische Momente machen sich über das Bildkonzept hinaus auf sublime Art breit. Sie unterstützen die Narration. Mit dem gealterten Holzboden als Bildmotiv schrumpfen Guytons radikalisierte Fragen zur Bildherstellung Richtung Schönfarbigkeit. Die ursprüngliche Präzision der Übertragungsprozesse erscheint in abgemilderter Form. Beim Gang durch die üppige Ausstellung nimmt die Radikalität ab und die Ästhetisierung zu. In einem der bequemen Sofas ausruhend kommt der Gedanke auf: Vielleicht ist sie als vorläufige Retrospektive auch zu groß geraten.