Ein Beitrag zur Werkgruppe der „Schauspieler" in der Ausstellung „lsa Genzken - Hier und Jetzt" im K21 der Kunstsammlung NRW (08.05. – 05.09.2021)

Es ist immer noch herausfordernd, sie nach einiger Zeit wiederzusehen, diese merkwürdigen Gäste, die sich in den musealen Räumen zwischen anderen Arbeiten der Künstlerin Platz schaffen. Vertraut wird man mit ihnen nicht, mit all diesen von Genzken be-, ja misshandelten Schaufensterpuppen in ihren erstarrten Posen. Sind sie Avatare, Substitute, Zerrbilder oder gar kostümierte Fetischist*innen? Die seit 2012 entstehenden Figuren und Gruppen geben keine eindeutige Antwort, verbleiben in einem fluktuierenden Raum komplexer Überlagerungen und Verweise.

Genzken konfrontiert uns mit bis ins Bizarre gewendeten Ebenbildern, deren geschlechtliche Identität offenbleibt. Subtil geht die Künstlerin nicht vor, gibt sich wenig fürsorglich. Sie greift mehr als beherzt ein, setzt die Puppen ihren oft roh, ja gewalttätig anmutenden Eingriffen aus. Sie unterwirft sie ständigen Ent- und Verhüllungen im scheinbar lieblosen und willkürlichen Einsatz von Freizeit-, Schutz- und Arbeitsbekleidungen oder schrillfarbigen Dekomaterialien. Die Figuren werden Fehlmontagen ausgesetzt, sehen sich mit Verbänden, Verklebungen und Besprühungen traktiert.

Diese Geschöpfe bilden meist Gruppen, in touristischen Aktivitäten oder Ritualen verharrend. Auch ein Obdachlosenlager nebst merkwürdiger „Zombie-Polizei" fehlt nicht. Ein Trupp von Kindern mit Schutzhelmen und Rettungswesten gerät bei näherer Betrachtung zu vernachlässigten und wohlstandsverwahrlosten Gestalten. Bei diesem eingefrorenen Treiben gehen Erholung, Freizeit, und Kommunikation nahtlos in Missbrauch, Überwachung und Überlebenskämpfe über.

Die Künstlerin bindet ihre „Schauspieler" in narrative Szenarien ein, die wie stillgestellte Filmsets daherkommen. In diese speist sie sich autobiografisch ein. Sie greift beim Arrangement der Puppen auf eigene Garderoben oder persönliche Accessoires zurück. Genzken tritt über ihre „Schauspieler" mit auf, bringt sich unmittelbar, nicht nur als Schöpferin, vor Ort ins Spiel. Auch wir werden als Besucher*innen Figuren im Geschehen, werden im Bewegen zwischen den Wechselbalgen und der Konfrontation mit ihnen Teil des Parcours. Genzken führt ihre Arbeit vor, sie inszeniert sich und setzt uns vor Ort in Szene: eine dreifache, unauflösbare Überlagerung. Die Betrachter*innen sind geradezu unfreiwillig einbezogen, spiegeln sich als „Tourist*innen“ in den ritualisierten, aber austauschbaren Vorführungen des Kleidens, Entkleidens und eines schamlosen Präsentierens wider: Sind wir nicht längst alle unter unseren „Verkleidungen" darstellende Klone?

Genzkens Figuren sind natürlich keine Ready-mades. Dafür sind sie zu sehr manipuliert, verfremdet und bis zur Überdosierung emotional aufgeladen. Sie stehen als Anthropomorphes simulierende Skulpturen im musealen Raum, spielen gekonnt mit den Übergängen zum Performativen oder „schauspielern" zwischen den Grenzen von Subjekt und Objekt. Die Schwelle zwischen Künstlerin, Besucher*in und Kunstobjekt werden uneindeutiger. Performatives, Skulpturales, und Malerisches münden in sich erweiternden Transformationen bis zur Grenze von Massenproduktion und Banalisierung. Die „Schauspieler“ führen Trash und Wohlstandsverwahrlosung vor, während sie gleichzeitig ihrer Veredelung als Kunstobjekte offenbar gleichgültig entgegensehen: Entwertung, Aufwertung und Kapitalisierung, auch das ist ein Teil des Schauspiels.

Genzkens mögliche Faszination an einer überbordenden, spektakulären Warenwelt wird massiv überlagert von ihren exzessiven, künstlerischen Attacken. Die ausufernden Manipulationen, denen sie ihre Puppen aussetzt, lassen sich als deutliche Kritik am heutigen Konsumterror lesen. Kein Zweifel: Isa Genzken betreibt auch inhaltlich keine Montage, sondern eine Demontage. Sie entwirft keine neuen, fiktionalen Identitäten, selbst wenn das aktuell angesagte Posthumane mit anklingt.

Wir schauen unserer eigenen, zunehmenden Verlotterung präzise ins teilnahmslose („Schauspieler“) Auge.