16. Dec 2017

Gregor Jansen, Leiter der Kunsthalle Düsseldorf, beantwortet Fragen zur Ausstellung „Akademie [Arbeitstitel]“ (Kunsthalle Düsseldorf, 21.10.2017 – 7.2.2018)

Die Fragen stellte Lothar Frangenberg.

Diese Ausstellung ist eine von mehreren Jubiläumspräsentationen zum 50-jährigen Bestehen der Kunsthalle im jetzigen Gebäude. Es wurden Studentinnen und Professorinnen dreier Kunsthochschulen eingeladen, die Ausstellungsräume in einem wöchentlichen Wechsel zu bespielen. Der den Begriff „Akademie“ begleitende Zusatz „Arbeitstitel“ verweist auf den experimentellen Charakter der Veranstaltung. Gleichzeitig tritt in Begleittexten neben der „Akademie“ das „Archiv“ als weiterer prägender Bezugspunkt nach vorne.

L. Frangenberg: Wo sind die entscheidenden Schnittstellen zwischen diesen Begriffen und der Ausstellung als offener Versuchsanordnung? Es geht doch sicher nicht um institutionelle Traditionen und Rückblicke!

G. Jansen: Wo kommen wir her und wo stehen wir heute? Das sind die entscheidenden Fragen, da im Jubiläumsjahr verschiedene Aspekte wie der Wert der Institutionen und ihrer Identitäten (das Verhältnis von Sammlung, Wechselausstellungen, Kunstmarkt und Vermittlung hat sich doch seit 1967 stark verändert), das Kollaborative in den 1970er-Jahren im Polke-Umfeld und momentan die Situation der Akademien als den Produktionsorten der Kunst im Fokus standen und gerade stehen. Dass die realen Akademien als Kunstschulen und die Ausstellung „Akademie“ kein abgeschlossener Prozess sind, sondern ein offener und experimenteller, macht der Titel deutlich. Zudem haben wir nach Verknüpfungen mit unserer Haus- und Ausstellungsgeschichte gesucht und dazu angeregt, sich z.B. mit unserem Archiv oder der legendären „between“-Reihe (1969-73) zu beschäftigen. Im Februar 1969 entstand mit „between“ eine Ausstellungsreihe, deren Kerngedanke es war, die Umbauphasen zwischen Wechselausstellungen für experimentelle Kurzausstellungen zu nutzen. Die Anregung gab der englische, in Düsseldorf lebende Künstler Tony Morgan, der nach Ausstellungsgelegenheiten für zeitgenössische Künstler suchte, und wesentlich war auch der Protest der Gruppe „Politisch Soziale Realität“ (PSR), die eine größere öffentliche Mitbestimmung am Programm der Kunsthalle forderte.

L.F.: Was hat Sie gereizt, Studierende einzuladen statt die etablierten Kunstszenen vor Ort? Was trauen Sie ihnen zu? Fehlen ihnen nicht die künstlerische Erfahrung und die Zuspitzung auf eine eigene Position?

G.J.: Ein Ausganspunkt waren das Fehlen einer Einmischung und Auseinandersetzung der Studierenden in Bezug auf das Institutionelle, wie es eben 1969 im lautstarken Protest beispielsweise gegen die MINIMAL ART der Akademiestudenten um Tony Morgan geschah. Das war damals schon anders, z.B. das politische Bewusstsein oder der erweiterte Kunstbegriff, die ewigen Diskussionen und Einmischungen. Ich traue den Studierenden immer noch jede Menge zu, einen wachen Geist und Interesse am Ungewöhnlichen, z.B. am Aufbrechen von Normen. Wir waren neugierig auf die Ergebnisse ihrer Untersuchungen in Bezug auf die Kunsthalle und der Fragen nach Erinnerung, Gedächtnis und Archiv. Was bedeutet das schwerwiegende Erbe der Heroen wie Beuys, Broodthaers, Byars, Paik oder Lüpertz, mit dem man sich gerade hier in Düsseldorf, aber auch im Rheinland allgemein konfrontiert sieht? Welche Anhaltspunkte und Reibeflächen stoßen heute noch auf Interesse?

L.F.: Was unterscheidet diese Ausstellung prinzipiell von anderen und welche Überlegungen führten zu diesem transitorischen Konzept des permanenten Wechsels?

G.J.: Diese Ausstellung ist nicht festgelegt oder konsumierbar, sie ist ein offener und immer neu gestalteter Prozess von Setzungen, Interventionen und Zusammenstellungen mit performativen Elementen oder Unterbrechungen wie Tanz bei Ben J. Riepe (Inszenierung „Carne Vale!“) oder Musik beim „Approximation Festival“, letztlich ein großes Gefüge als eine wandelbare Konstruktion von vielen Präsentationen/Darbietungen in einer Ausstellung. Geschuldet ist diese Überlegung dem Prinzip der Akademie als Lernort, als Schule und Experimentierfeld. Wenn man dem Wechsel und der Suche nach Positionen beiwohnen kann, ist das eine einmalige Chance, eine Herausforderung, die jenseits des klassischen Ausstellungsformats zum Nachdenken über das „offene Kunstwerk“ und daraus folgernd das „offene Denken“ einlädt. Wenn Sie nicht wissen, was passiert, sind Sie auf unsicherem Terrain und müssen sich auf besondere Situationen einlassen, wir wie auch die Besucher*innen. Das hat uns gereizt.

L.F.: Hat das Team der Kunsthalle das kuratorische Grundgerüst in seinem Mix aus permanenten und wechselnden künstlerischen Arbeiten alleine entwickelt und die beteiligten Künstler*innen füllen es im wöchentlichen Rhythmus mit Beiträgen, oder waren sie von Anfang an auch an der Entwicklung des Konzeptes beteiligt?

G.J.: Die kuratorische Grundidee wurde von uns formuliert. Sie eröffnet wie gesagt ein freies Denken jenseits aller Gattungen und Genres, alles sollte erst einmal möglich und einpassbar sein. Ideen wurden gebündelt, und neben der direkten Ansprache an Lehrende und Studierende kamen auch Künstler*innen (oder Choreografinnen, Musiker\innen) auf uns direkt zu, und wir haben diese nach Möglichkeit in das Gesamtprogramm als ein prozessuales „Performing Archive“ integriert. Man steht ja länger mit Einzelnen im Gespräch und versucht Raum für Möglichkeiten zu bieten, was im Rahmen dieser Ausstellung als offene Form durchaus zum Konzept gehört, als auch täglich in den realen Akademien in Münster, Düsseldorf und Köln stattfindet.

L.F.: Ist die Ausstellung ein Probelauf für eine Kunsthalle als prinzipiell offenere Ausstellungsbühne: Feste Ausstellungsstrukturen lösen sich auf und wandeln sich in Richtung eines in Bewegung befindlichen Veranstaltungs- und Debattenraums mit „transmedialem“ Charakter?

G.J.: Sicher nicht, denn es bringt alle Beteiligten, vor allem das Team der Kunsthalle, an die Grenze des Machbaren, da die offene Form und die permanenten Umbauten/Wechsel mit den über 100 Beteiligten erheblichen Mehraufwand bedeuten. Aber wir möchten Inhalte aus dem Prozess und auch aus der Dynamik heraus für die Zukunft erhalten, das ist der offene „Diskursraum Kunsthalle“, mit dem wir leer eröffnet haben und im Februar 2018 auch wieder schließen werden. Weitergedacht wird dies aber auch mit der kommenden, vierten und letzten Ausstellung im Jubiläumsjahr: „Welcome to the Jungle!“*

L.F.: Die Ausstellung läuft seit Oktober 2017. Können Sie eine Zwischenbilanz hinsichtlich Ihrer Erwartungen ziehen? Inwieweit sind sie schon erfüllt worden?*

G.J.: Es ist bislang unglaublich gut zu beobachten, wie die Künstlerinnen und Klassen sich in das Thema „Kunsthalle“ und ihre Geschichte eingearbeitet und letztlich wunderbare Ideen entwickelt und für die Ausstellung umgesetzt haben. Und wie immer wieder (beinah wöchentlich) neue Energie und eine lebendige Atmosphäre in das Haus einziehen und sich nach außen tragen. Insoweit sind die Erwartungen sehr erfüllt. Leider aber ist es für das Publikum meist schwierig, sich in den Prozess hineinzudenken; hier überwiegt das Konsumieren „einer“ Ausstellung, die wie ein Produkt eine eindeutige Beschreibung verlangt. Dabei ist der vor Ort im Ausstellungsraum entstehende Katalog als Dokumentation der Geschehnisse eine wichtige Basis für die Besucherinnen – so wird nachvollziehbar, was bereits passiert ist.

L.F.: Zeigen diese Schwierigkeiten nicht einen Bruch an zwischen dem, was die Kurator*innen oder die beteiligten Künstler*innen an Wissens- und Erfahrungsvorsprung mitbringen, gegenüber dem eher unvorbereiteten Publikum, das nur einen Ausschnitt oder im besten Falle mehrere ausschnitthafte Szenarien der Gesamtpräsentation erlebt? Kommt dieses Vorhaben nicht etwas introspektiv daher: Nur die unmittelbar Beteiligten erleben Konzept und Umsetzung in Gänze; die Besucher*innen bleiben Betrachter*innen am Rande?

G.J.: Dem kann ich nicht zustimmen, da wir jede Setzung, die Wechsel und Veränderungen ja kuratorisch betreuen und abstimmen, so dass ästhetische Erfahrungen zu jeder Zeit in unserem Sinne machbar sind. Ob diese wiederum die Besucher*innen befriedigen, ist schwer abzuschätzen. Uns erreichen jedenfalls beiderseits negative wie überaus positive Reaktionen, die meist das Unfertige, Experimentelle, das freie und offene Denken als Anspruch und Haltung durchaus positiv bewerten. Man ist eingeladen, öfter zu kommen und eigene Vergleiche anzustellen. Die Besucherinnen kommen ins Gespräch mit den Beteiligten oder unseren „Art Talkern“, Vermittlerinnen, die bei der Vielzahl an Aktionen auch fast täglich vor Ort sind und den Dialog mit den Besuchenden suchen; hinzu kommen wöchentliche Führungen der Kurator*innen.

L.F.: Noch einmal nachgefragt: Als Besucher*in erlebt man einen Zwiespalt: Wie kann man die Ausstellung als bewegtes Szenario erfassen, wenn man nur Einzelaspekte des gerade Gegenwärtigen überblicken kann? Sehen sich die Besucher*innen mit einer Ausstellung konfrontiert, die ihnen ein anderes Verhalten abverlangt?

G.J. Ja, das sind der Wunsch und möglicherweise auch die Krux. Anhand der Reaktionen lässt sich aber schnell feststellen, wie auch der Kulturbetrieb als industrielle Kreativwirtschaft weniger das anspruchsvolle Mit-Denken seiner Zielgruppen bestimmt oder zu kritischem Denken an offenen Prozessen anleitet. Wenn uns das wieder gelingt, dass Künstlerinnen (an den Akademien) und auch die Besucherinnen, letztlich alle Beteiligten, wieder in einen Diskurs geraten, der auch Kunsträume wie die Kunsthalle Düsseldorf als Resonanzraum einer offenen Gesellschaft versteht, ist viel erreicht. Dann ist das „unüberschaubar Gegenwärtige“, von dem Sie und andere gerne sprechen, eher eine Möglichkeit und keine Überforderung.

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links:

Akademie [Arbeitstitel], Kunsthalle Düsseldorf in kunstaspekte

Akademie [Arbeitstitel], KIT in kunstaspekte

blog-Beiträge zur Ausstellung „Akademie [Arbeitstitel]“ in der Kunsthalle Düsseldorf, im monopol