press release only in german

Andrea Lauermannowa PAINT AIN`T A LIE

opening reception: 08.08.08 07:00pm performance

Apokalypse war selten bunter. Betritt man die aktuelle Ausstellung Andrea Lauermannowas, erstaunt das für das Künstlerhaus GEDOK unkonventionell Unfertige, dreistes Kolorit und leise Hinweise neben akustischen Visionen.

Wie bereits in Ihrer Reihe "Colour Pieces" legt die Künstlerin auch hier den Fokus auf die Autonomie der Farbe. Malerei und ihre Möglichkeiten, das Bild und sein Status werden hinterfragt. Diesmal gehen die Rauminstallationen jedoch über das Loslösen der Farbe von Oberfläche und Bildträger hinaus. Den unterschiedlichen Aggregatszuständen und Transformationsprozessen des Acryls wird mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Nicht nur das Farbteil, sondern jedes Farbteilchen ist bedeutungsgeladen.

Lauermannowa begegnet der Vanitas des 21. Jahrhunderts, die in medialen Darstellungen von Naturkatastrophe, Terror oder Genmanipulation ihren Ausdruck findet, mit einer Spiritualität des Pops. In einer Welt, die aus den Fugen geraten scheint, die uns täglich mit Fragmentierung konfrontiert, sucht sie nach Elementarem. Die Materialität der Farbe scheint Erklärungen zu bieten. Es gilt PAINT AIN`T A LIE – Farbe liegt nicht, Farbe lügt nicht. Farbe besitzt ein Eigenleben, welches den ewigen Zyklus des Entstehens und Vergehens widerspiegelt. Sieht man im Farbpartikel die Zelle oder gar das Atom und im Farbvolumen den Organismus, geben Stationen der Ausstellung über Augenblicke biologischer Prozesse Auskunft: Farbe ist tropfend, fortwährend trocknend, komprimiert, hängend, zerfallend und imaginär. Der Wechsel von Diffusion und Konzentration bildet die grundlegende Takteinheit.

Eine rhythmische „Kunst der Transformation“, nicht eine starre Kunst der Repräsentation, fordert also die Wahrnehmung des Betrachters heraus. Spannend wirkt vor allem die Diskrepanz zwischen dieser Abstraktion und den profanen Einschüben in Form von internationalen Cornflakes-Packungen des heimischen Müsliherstellers, schrottreife Autoreifen, Plastiktüten des nahe gelegenen Supermarktes und des „konkreten Fensters“ durch das von draußen in die Ausstellungsräumlichkeit geschaut werden darf.

Augenzwinkernd werden die örtlichen Gegebenheiten in das Werk integriert. Lübecker Konsumsymbolik verweist etwa metaphorisch auf Warhols "Last Supper" und damit auf da Vincis "Abendmahl".

Dennoch geht es hier nicht um eine bloße Gegenüberstellung von Hochkultur und Trivialem. In der Oszillation von Mikro- zu Makrokosmos, von Oberflächlichem zu Tiefgründigen, schillern unzählige Interpretationsfacetten. Zwischen der Lebensbejahung eines Wandgekrakels „still a life“, der leuchtenden Intensität von Färbungen, ihrer humorvollen Leichtigkeit, und der Referenz auf den jungen Tod in den Zitaten Michel Majerus’, Jean-Michel Basquiats sowie Piero Manzonis, öffnet sich die Kosmologie der Künstlerin. Von der cartesianischen Erkenntnis der Neurowissenschaften, dass das Bild im Betrachter entsteht, bis hin zu Annahmen der Astrophysik, dass es keine Konstanten gibt, reicht Lauermannowas Palette an Anspielungen auf die Relativität unserer Daseinsvorstellungen. Es verbergen sich beispielsweise Hawkins "The Universe in a Nutshell" – in Auszügen auch als Hörstückversion eingespielt – und Einsteins Relativitätstheorie hinter einer naiven Auffassung von Farbpartikeln als Urkeimzellen oder Sternenstaub.

Die Vielfalt an Realitäts- und Wahrnehmungszuständen, eine Prozesshaftigkeit, die Verfall beinhaltet, und eine nichtlineare Ansicht von Lebensbahnen lässt sich aus der Werkschau herauskristallisieren. Nicht den Erhalt, die Bewahrung des Materiellen, sondern eine Forderung nach Neuerung, nach flirrend freier Loslösung und frischen Gedankenformen verlangt Lauermannowa, denn “life is a short trip“ (Alphaville Forever Young).

J. E. Fischer

only in german

Andrea Lauermannowa
PAINT AIN'T A LIE