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,Der Fotograf', so Berenice Abbott, ,ist das zeitgenössische Wesen par excellence; aus seiner Sicht wird das Heute zum Gestern.' Denn der Fotograf nimmt nicht einfach Vergangenheit auf, sondern er erfindet sie. Und in diesem Entwurf enthalten ist immer auch eine utopische Projektion und eine Ordnung, die eine zukünftige Sichtweise auf die Dinge festlegt. Der Diskurs über Ordnungssysteme in der Kunst wurde vor allem durch Marcel Duchamp irritierend und vielschichtig in Gang gesetzt. Insbesondere Duchamps Boîte-en-valise (1935-1941) kommentiert als Miniaturmuseum in Kofferform die Verwaltung von Kunstgegenständen in griffiger, transportabler Form. Abbott lernte Duchamp kennen, als sie ihre Lehrjahre im Paris der 1920er Jahre bei Man Ray absolvierte. Die Assemblage Boîte à Conserves (ca. 1960, Negative 1916-1950) von Man Ray können wir in der Produzentengalerie zwar nicht zeigen, sie gab jedoch unserer Gruppenausstellung anlässlich der dritten Hamburger Triennale der Photographie das Motto vor. Boîte à Conserves spielt nicht nur auf Man Rays L’Échèquier surréaliste (1934) an, sondern offensichtlich auch auf Duchamps Arbeit.15 Fotografien sind auf Streichholzschachteln geklebt und in drei Reihen von je fünf Bildern in einem Fotopapierkarton angeordnet. Sie zeigen u.a. Gertrude Stein, Meret Oppenheim, Elsa Schiaparelli, Juliet Man Ray, Jacqueline Picasso, Dorothea Tanning, ein Selbstporträt Man Rays sowie einen Mann mit falscher Brust. Verhandelt werden die Themen Fotograf und Frauen, Gender, Identität, Vergänglichkeit, Akt des Sehens und Ordnung des Sichtbaren. Durch derartiges Aufdecken von Zusammenhängen mittels des fotografischen Mediums waren die Surrealisten die ersten, die Fotografie als Mittel von Konzeptkunst entdeckten. Und alle auf sie folgenden Generationen von Künstlern reagieren mehr oder weniger direkt auf Duchamp.

Für die Gruppenausstellung in der Produzentengalerie Hamburg hat die Kuratorin Anna-Catharina Gebbers den Titel Boîte à Conserves gewählt und gemeinsam mit den Künstlern Gisela Bullacher, Beate Gütschow und Bernhard Prinz die beiden Ausstellungsteile konzipiert.

Als Berenice Abbott 1929 nach New York zurückkehrt, beginnt sie die Stadt zu fotografieren: Die im ersten Teil der Gruppenausstellung präsentierte Arbeit ist Bestandteil des Projektes, dass sie 1939 mit dem Bildband Changing New York abschließt. Changing New York dokumentiert ,das unaufhörliche Auswechseln des Neuen [...] unsere papiernen Phantome, unsere Transistorenlandschaft. Ein leichtgewichtiges, tragbares Museum' (Susan Sonntag). Bernhard Prinz variiert mit seinen Skulpturen, Installationen und Fotografien virtuos die Rollen, die Anordnung, Lichtsetzung und Gesten dabei in unserem kulturellen Gedächtnis spielen: Die Kamera, das scheinbar abbildungsrealistische Instrument, lügt immer. Die Erhabenheit, die aus Prinz’ Konstellationen spricht, ist eine gänzlich illusionär hergestellte und eine ironische Maskerade. Die Arbeiten von Gisela Bullacher beleuchten, wie scheinbare Bedeutungen durch syntaktische Zusammenstellungen und Kontexte erzeugt werden: Wie Duchamp oder Broodthaers demonstriert Bullacher welch paradigmatische Vielfalt durch die Minimalisierung des einzelnen Zeichens und die Interaktion mit seinem Ort der Repräsentanz entstehen kann. Stephen Craig belegt mit seinen Fotos wie durch die Wahl des Ausschnittes, trotzdem man den nicht gezeigten Kontext des Bildes mitliest, eine nahezu abstrakte Komposition erscheint: Räumliches wird zweidimensional, Vorgefundenes wirkt arrangiert, Unwichtiges erhält Bedeutung. Die Fotos und die Installation von Dirk Stewen verursachen ein nicht unmittelbar greifbares Begehren. Die manipulative Macht, die in der spezifischen Technik des Fotografischen liegt wird bei Stewen zum magischen Instrument, das Wünschen, Vorstellungen und Utopien eine flüchtige Präsenz verleiht. Manuela Barczewski geht auf Spurensuche im Alltag: Ihre Porträts dokumentieren die durch kulturelle Zuordnungen und Verweissysteme ins rechte Licht gerückte Identität.

Im Gegensatz zu den eher komplexen, konzeptuellen künstlerischen Verfahren im ersten Teil der Ausstellung zeigen im zweiten Teil von ,Boîte à Conserves' die Arbeiten sehr klar, welche Ordnungsthemen sie verhandeln. Beate Gütschow arrangiert architektonische Ensembles und infrastrukturelle Versatzstücke zu streng komponierten fotografischen Tableaux, über denen eine Ahnung von Apokalypse liegt. Gütschow hat die Ideale der Moderne und ihre in die Jahre gekommenen Realisationen fotografiert. Die aus diesen Vorlagen am Computer entstandenen Bilder hinterfragen formal wie inhaltlich die kunstkritische Repräsentation der Moderne in der Kunst. Die Fotosammlungen von Peter Piller sind nicht nur Dokumentationen und Archive, sondern durch ihre Zusammenstellung und Präsentation vor allem eine analytische Inszenierung des Zeitgenössischen: Ein ,Archiv der Gegenwart', das die kollektiven Sichtweisen durch humorvolle Systematisierungen aufdeckt. Florian Slotawa hat demgegenüber sein eigenes Leben inventarisiert: Die in der Produzentengalerie gezeigten Arbeiten gehören zu einer Serie von Fotos, die Slotawa von seinem Hausstand gemacht hat, bevor er diesen zur Gänze an einen Sammler verkaufte. Die Kamera hält die vorgenommene Sortierung des individuellen, nun als Archiv veräußerten Besitzes fest.

kuratiert von/curated by Anna-Catharina Gebbers

Pressetext

only in german

Boîte à Conserves
kuratiert von Anna-Catharina Gebbers

09.04.05 - 13.05.05 TEIL 01
Berenice Abbott, Manuela Barczewski, Gisela Bullacher, Stephen Craig, Bernhard Prinz, Dirk Stewen

19.05.05 - 02.08.05 TEIL 02
Beate Gütschow, Peter Piller, Florian Slotawa