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Claudia Reinhardt zeigt ihre zehnteiligen Foto-Serie "Killing Me Softly", in welcher sie sich mit Schriftstellerinnen und Künstlerinnen, die sich selbst töteten. (Diane Arbus, Ingeborg Bachmann, Karin Boye, Adelheid Duvanel, Clara Immerwahr, Sarah Kane, Pierre Molinier, Sylvia Plath, Anne Sexton, Unica Zürn) beschäftigt. In ihren fotografischen Inszenierungen imaginiert Reinhardt den letzten Moment, "wie es hätte sein können", und setzt sich selbst als Model in diese Szenerie. Prosatexte, Essays und Lyrik zeitgenössischer Autorinnen unterstützen und kommentieren Reinhardts Arbeit, die in einem Katalog zur Ausstellung erscheinen.

Todesarten - Killing Me Softly Sarah Kane tötete sich mit 27 Jahren zu einem Zeitpunkt, wo sie weltbekannt war und ihre Stücke von namhaften Regisseuren inszeniert wurden. Sie schluckte eine Überdosis Tabletten. Ihr Magen wurde ausgepumpt, sie ging nach Hause, nahm die Schnürsenkel aus ihren Schuhen und hängte sich daran in der Toilette auf. So berichtet es Edward Bond, ein Lehrer und Vorbild von Sarah Kane. Sarah Kane sagte ihr ginge es nicht um Gewalt sondern um Liebe und beschreibt in ihren Stücken Menschen, die eiskalt sind. Kanes Inszenierungen wurden zu Skandalen, wegen den expliziten Darstellungen von psychischer und physischer Gewalt. Kritiker warfen ihr vor sie sei "eine Anstifterin eines ekelerregenden Schlachtfelds". Sarah Kane: "Wer sagt, gewisse Dinge könnten nicht dargestellt werden, sagt, daß man über diese Dinge nicht sprechen kann. Er leugnet ihre Existenz." In einem Interview beschreibt sie sich selbst als Romantikerin. "Um Gewalt ist es mir nie gegangen, sondern immer darum, wie sehr diese Menschen lieben". Ein letztes Zitat aus "Phaedras Love" Kanes zweites Stück: Phaidra: Hast du jemals gemeint, gemeint, dir würde das Herz brechen? Dir gewünscht, du könntest deine Brust aufschlitzen es herausreißen damit der Schmerz aufhört?

Unica Zürn, 1916 in Berlin geboren wurde 54 Jahre alt. Sie schrieb nach ihrer Ehe, aus der zwei Kinder hervor gingen, Kurzgeschichten, entwickelte Anagramme und zeichnete Piktogramme. Sie galt als schizophren und verbrachte mehrere Jahre ihres Lebens n in psychiatrischen Anstalten. Das Sorgerecht für ihre beiden Kinder wurde ihr entzogen, weil sie finanziell nicht in der Lage war für sie zu sorgen. Mit 37 geht sie nach Paris. Sie wollte fremd sein in einem Irgendwo. Wollte die Sprache nicht kennen, keinem Menschen begegnen, den sie kannte. Sie geht zu Hans Bellmer, den sie bei seiner Vernissage in Berlin kennen lernte und der 1938 nach Paris emigrierte. Hans Bellmer, Mitglied der Surrealisten um Andre Breton, Marcel Duchamp, Man Ray und Max Ernst, in deren Kreis Zürn nie aufgenommen wurde, macht sie mit dem Schreiben von Anagrammen bekannt. Von nun an wird sie Anagramme schreiben und übertrifft bald den Meister. Unica und Hans Bellmer leben zusammen. Er arbeitet an seinen Puppen, die ohne Arme und Beine sind. Der simulierte weibliche Körper als Chiffre männlichen Begehrens. Die Puppe wird ihr immer ähnlicher. Bellmer beginnt Unica zu fotografieren. Nackt, gefesselt und mit gespreizten Beinen. Unica Zürn erlebt noch drei Abtreibungen. Die Geburt ihres zweiten Kindes hinterließen Verletzungen in ihrem Unterleib, die nie ganz verheilten. Nach der zweiten Abtreibung, die Bellmer selbst vorzunehmen versucht, flüchtet sie wieder nach Berlin. Sie möchte bleiben geht aber doch zu Bellmer zurück. Sie lernt Henri Michaux kennen und erkennt in ihm den "Mann in Jasmin", der Inbegriff eines männlichen Ideals, das ohne physische Alltäglichkeit existiert. Sie muss wieder in eine Anstalt. 1961 - 63 bleibt sie, mit einer kleinen Unterbrechung, drei Jahre in der Klinik. Im Wachsaal, den sie mit vielen anderen Frauen teilt, geht Tag und Nacht das Licht nicht mehr aus. Sie nimmt Flaschenscherben mit in ihr Bett. Michaux besucht sie dort zieht sich aber wieder zurück als er befürchtet der Verursacher ihres Wahnsinns zu sein. Sie denkt wieder an Selbstmord. 1965 mit 49 Jahren hat sie ihre erste große Einzelausstellung in Deutschland. Mit den Kurzgeschichten begingt sie 1960 - nach und während klinischen Aufenthalten. Irgendwann hörte Unica Zürn auf, auf den Mann in Jasmin zu warten. Sie ging in die Wohnung von Hans Bellmer und sprang aus dem Fenster.

Diane Arbus heiratet den Mann, den sie seit ihrem 14. Lebensjahr kennt. Sie stammt aus einem großbürgerlichen, jüdischen Elternhaus der Zwanziger Jahre und lebt in der Zeit der spießigen Fünfziger, der experimentellen Sechziger und den Siebziger. Mit achtzehn haut sie von zu Hause ab um zu heiraten. Sie bleiben ein halbes Leben zusammen, haben zwei Kinder und arbeiten zusammen als Modefotografen. Sie hasst die Stilisierung von Frauenkörpern als Projektionsfläche . Nach der Scheidung beginnt sie mit ihrer eigenen fotografischen Arbeit. Sie macht sich auf in die Unterwelt, fotografiert Freaks, Geisteskranke, Randgruppen. Nie proklamiert Diane Arbus den Platz der Fotografin, der besseren Fotografin, der innovativeren Künstlerin für sich. Schon gar nicht im Angesicht der fotografierenden Männer in ihrem Leben, wie zum Beispiel ihrem Ehemann Allen Arbus, Richard Avedon, Marvin Israel oder Robert Frank. Da hält sie sich ganz flach. Ihren Zorn, ihre Wut und Enttäuschung macht sie nicht öffentlich. Von den resultierenden, weiblich legitimen Depressionen lässt sie ihre Bekannten nichts wissen. Wo sie sich das Recht auf die gesprochene Verlautbarung gerne nehmen lässt, nimmt sie sich ganz selbstverständlich das Recht auf das Eindringen in die Privatsphäre ihrer Objekte. Diese Kluft zwischen sozialem Anspruch und der Nichteinhaltung sozialer Regeln scheint sich durch Arbus Leben zu graben. Aber wie es dazu kam, dass sie diese Entscheidung traf sich das Leben zu nehmen, kann nur spekuliert werden.

Clara Immerwahr erschoss sich mit der Dienstwaffe ihres Mannes am Morgen des 2. Mai 1915, nachdem sie offenbar die Nacht hindurch Abschiedsbriefe geschrieben hatte. Ihr damals zwölfjähriger Sohn hörte den Schuss und fand sie anschließend im Garten. Nur wenige Stunden zuvor war in ihrem Haus die Beförderung ihres Ehemanns, Fritz Haber, gefeiert worden. Fritz Haber war entscheidend an der Entwicklung von Giftgas beteiligt gewesen und soeben vom ersten "erfolgreichen" Test an der Westfront des 1.Weltkriegs zurückgekehrt . Clara Haber, geb. Immerwahr, war mit seiner Beteiligung in keiner Weise einverstanden gewesen und hatte dies seit langem privat und auch öffentlich im Beisein von Militärs bekundet. Eine der wenigen Anzeigen, in denen Clara Immerwahrs Tod bekannt gegeben wurde, lautet: "Die Gründe zur Tat der unglücklichen Frau sind unbekannt" . Die Verwandtschaft schwieg über die Motive ihres Selbstmordes und behauptete eine depressive Veranlagung. Spuren, die Clara Immerwahrs Tod aus ihrer eigenen Perspektive erklären, sind nicht vorhanden. Die Abschiedsbriefe sind verschwunden, wer sie verschwinden hat lassen liegt nahe. Clara Immerwahrs Name ist heute bekannt, weil sie wieder entdeckt wurde als eine der ersten Frauen, die in Deutschland studiert und promoviert haben. Wissenschaftlich arbeiten konnte sie allerdings nie. Fritz Haber hingegen wurde 1918 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet. Er wurde zu einem der bekanntesten und umstrittensten deutschen Wissenschaftler. In Clara Immerwahrs Selbstmord drücken sich Verzweiflung, Trotz und Protest gegen das Handeln ihres Ehemann aus, das von ihr als Perversion wissenschaftlichen Forschens und Denkens verurteilt wurde. Ihr Selbstmord ist eine individuell begründete Handlung und gleichzeitig ein Zeichen. In der Inszenierung von Clara Immerwahrs Tod findet sich die Stärke ihres Lebens wieder. Nach Clara Immerwahr ist inzwischen der Preis der "Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges" benannt und das "Clara Immerwahr Mentoring Projekt" unterstützt Frauen in der Chemie. Die Villa in Dahlem, in deren Garten sie sich das Leben nahm, liegt nur wenige Schritte vom Institut für physikalisch-chemische Grundlagenforschung der Freien Universität Berlin entfernt, das seit 1953 Fritz-Haber Institut heißt.

Ingeborg Bachmann starb im Alter von 47 Jahren in Rom. Ob es Selbstmord war oder ein tragischer Unfall, ist bis heute nicht endgültig geklärt. Ich habe Ingeborg Bachmann in meine Serie mit aufgenommen weil sie unter dem Titel "Killing Me Softly" genau passt. Ein Selbstmord auf Raten vielleicht. Es ist bekannt, dass Bachmann trank und Tablettensüchtig war. Sie schlief in ihren Bett ein, betäubt durch Tabletten und Alkohol. Die Zigarette in ihrer Hand löste den Brand aus . Sie verschmorte regelrecht in ihrem Bett. Man brachte sie noch ins Krankenhaus wo sie dann nach drei Tagen an ihren Verbrennungen starb. Es gibt eine Anekdote über Fassbinder, dass er in allen Hotelbetten, die Wäsche überprüfte und darauf bestand nicht in Kunstfasern zu schlafen um somit einen Tod, wie der Bachmanns, zu vermeiden. Es gibt zahlreiche Legenden um ihre Person. Sie war die schöne, intelligente Frau, die erfolgreiche Schriftstellerin mit zahlreichen Liebesaffären und Literaturpreisen. Reich Ranicki bezeichnete sie als frigide und wollte dadurch ihr schriftstellerisches Talent begründet wissen wie auch eine Erklärung parat haben für ihre Liebesaffären. So auf die Art, die Frau, die nie befriedigt werden kann und so von einem Mann zum anderen wandert in der Erwartung der großen Erfüllung, die sie dann aus mangelnder Hingabe nicht erhält, den Drogen verfällt und gute Literatur schreibt. Bachmann war die schöne, zurückhaltende , Intellektuelle. Man sagt ihr auch nach, dass sie dieses Image und ihr Aussehen für ihre Karriere nutzte. Fest steht, dass sie eine Schriftstellerin war, deren Gedichte, Erzählungen und Romane richtungweisend wurden auch wenn man erst versuchte, sie zu verharmlosen und als "unpolitische, schöne Literatur" einordnete. "Malina" den ersten Roman aus dem Todesartenzyklus, schrieb sie zwei Jahre vor ihrem Tod. Mit dieser Arbeit gelang es Bachmann spezifisch weibliche Wahrnehmungsweisen und Erfahrungen zu thematisieren. Sie gilt heute zweifellos als eine der wichtigsten Autorin der Nachkriegsepoche.

Sylvia Plath vergaste sich 1963 im Alter von 31 Jahren indem sie ihren Kopf in den Gasherd steckte. Ihre beiden Kinder schliefen nebenan, sie sorgte dafür, dass das Gas nicht in ihre Zimmer drang und hinterließ eine Notiz für das Kindermädchen. Sylvia Plath wurde und wird verehrt als eine, emanzipierte, kluge, kreative und starke Frau. Das scheint, wenn man sich ihre Biografie ansieht, nicht ganz hinzuhauen. Sie war zwar klug aber nicht emanzipiert. Kannte das Wort Emanzipation wahrscheinlich gar nicht. Unfruchtbarkeit kannte sie. Ziemlich genau. Und sie hasste diesen Zustand. Unfruchtbar bedeutete: keine Ideen haben. Nicht schreiben können. Gehemmt sein. Verdammt zum ewigen Außenseiter. Gesellschaftlich nicht mithalten können. Kein Geld zu haben. Von sozial "wichtigen" Menschen nicht anerkannt zu werden. Wichtige Menschen waren meist männlich, intellektuell, etabliert, öffentlich. Sie verachtete dagegen Frauen, die sich in diesem Sinne "männlich" verhielten. Das Schreiben. Sie begann sehr früh damit, das Tagebuch begleitete sie ihr Leben lang. Mit 19 folgte der erste Literaturpreis für eine veröffentlichte Kurzgeschichte. Das Tagbuch bleibt ihr der wichtigste Vertraute. Ted Hughes, ihr Ehemann, lebt das Leben des erfolgreichen Schriftstellers mit der Hilfe seiner Frau, die ihm nicht nur die Manuskripte abtippt. Bald verläßt er sie für eine andere. Erst der Tod berechtigte sie dazu, ihren Platz einzunehmen. Am Tisch der Götter. IHRER Götter. Heldin sein. Ganz groß. Einer ihrer überdimensionierten Träume. Versteckt zwischen banalen Tagebuchzeilen und heimlichen Versen. Kurzgeschichten für amerikanische Frauenzeitschriften. Im einzigen Roman "Die Glasglocke", der einen Monat vor ihrem Tod erschien. Unter Pseudonym. Und den sie nur noch als Flop wahrnahm. Der vielleicht einfach nur zwanzig Jahre zu früh geschrieben wurde. Damals wollte niemand diese auf eine Art selbst-therapeutische Geschichte ihres ersten, erfolglosen Selbstmordversuchs lesen. Erst der erfolgreiche Selbstmord macht ihre Geschichte lesenswert. Was wäre passiert, hätte sie sich nicht umgebracht. Sich nicht einfach erschöpft dem Gas hingegeben. Wäre sie unbekannt geblieben? Unerkannt? Drei Monate vor ihrem Tod schrieb sie täglich um fünf Uhr morgens die besten Gedichte ihres Lebens. Allein. Zwangsweise allein. Alleingelassen. Es war der härteste Winter seit Jahren. Die Heizung war ausgefallen, viele Wasserleitungen eingefroren. Die Kinder schliefen. Und Sylvia schrieb. Schrieb sich die Wut aus dem Leib. Den Schmerz in heiße Zeilen verpackt. Viele Zeichen deuten daraufhin, dass sie gerettet werden wollte.

Anne Sexton beendete ihr Leben 1974. Da war sie schon nicht mehr die junge Autorin sondern schon 46 und was hätte sie im Alter gemacht, sie, die das Schreiben als Lebensrettung verstand und sich dann doch tötete als sie erfolgreich war damit. Auch sie war Tabletten und Aalkohlsüchtig. Hausfrau, Mutter, Schriftstellerin. Aus gutem, wohlhabenden Familienhaus in den Golden Twenties in Amerika. Sie brennt mit 19 durch und heiratet. Nervenzusammenbrüche, mehrere Selbstmordversuche. Scheidung. Durch ihren Psychiater kommt sie zum schreiben. Sie wird erfolgreich damit. Es bleibt aber die Todessehnsucht. Sie lernt Silvia Plath bei einem Literaturseminar kennen. Sie beneidet ihren Tod und schreibt ein Gedicht für "Silvia". Sie wird es ihr nach machen aber erst elf Jahre später. Wenn Alkohol, Tabletten und Nervenklinken sie völlig entleert haben alles erlebt ist, nichts mehr wirkt um glücklich zu sein. Sie ist eine besondere Schriftstellerin gewesen. Ihre Texte sind Gedichte in ganz eigener Sache und Sprache. Eine Poesie, die authentisch ist und deshalb einzigartig. Erstaunlich und beachtlich, dass sie es damit zu Ruhm brachte. Es war die Zeit in der man sich für Literatur von Frauen interessierte. Die Zeit der Frauenbewegung. Anne Sexton ist hierfür das exzentrische Exemplar mit ihrer markanten, rauchigen Stimme, elegant und stolz. Sie nahm den Pelzmantel ihrer Mutter aus dem Schrank, zog ihn an, die Wodkaflasche in der Hand, ging sie in die Garage, setzte sich in ihren Luxuswagen und lies den Motor laufen.

Karin Boye hat sich durch den dunklen, wilden Teil des verschneiten Waldes durchgearbeitet. Sie hat sich einen lichten Platz auf einer Anhöhe gesucht mit Blick auf die ganze Stadt und das Tal. Ein Kind kam des Weges und wollte ihr Blumen bringen. Drei kalte Tage vergingen bis man sie hier zusammengekauert fand. Neben ihr eine leere Dose Schlaftabletten. Wer war Karin Boye? Durch meine Arbeit in Norwegen, wo ich an der Kunstakademie unterrichte, entdeckte ich Karin Boye, von der mir meine Studentinnen mit glänzenden Augen erzählten. Im Ausland gänzlich unbekannt, rümpfen die einheimischen Literaturkritiker die Nase. Karin Boye - das ist doch etwas für pubertierende Mädchen. Das klingt interessant für mich. Leider gibt es ihre Gedichte nur in schlechter Übersetzung und sie wirken im deutschen platt und sentimental. Auf schwedisch wirbeln sie Bilder und Gefühle auf. Diese Bilder erinnern an Träume - es geht um Sinken, umhüllt Werden, Verschwinden, überspült Werden. Um Todessehnsucht, aber auch um das Bejahen des Unbewussten. Karin Boye schrieb aber nicht nur Gedichte, sondern auch politische Essays und später schreibt sie zwei hervorragende Romane. 1940, neun Jahre vor dem erscheinen des Romans "1984" von George Orwell erscheint ihr größtes und wichtigstes Werk: Kallocain. Hintergrund dieses düsteren Science-Fiction- Romans ist das Nazideutschland. Mit "Kallocain" leistet sie, wie sie es selber nennt, "ihre geistige Wehrpflicht". Es ist sehr verwunderlich, dass ihr Roman unbeachtet bleibt und George Orwell mit seiner Version des totalitären Staats so erfolgreich wird. Immer wieder wird Karin Boye von starken Depressionen befallen. In Berlin lernt sie die zwölf Jahre jüngere, jüdische Margot Hanel kennen. Sie werden ein Paar. Zu dieser Zeit galt Homosexualität als Krankheit und es ist anzunehmen, dass Karin Boye, die sich sehr intensiv mit Freud beschäftigte, unter Schuldgefühlen leiden musste. Sie holt sie zu sich nach Schweden und rettet sie somit vor den Nazis. Die Monate vor ihrem Tod verbringt sie bei Anita Nathorst - einer ihrer engsten Freundinnen - die schwer krebskrank ist. Karin entdeckt nach 20 Jahren Freundschaft, dass sie Anita liebt. An einen Freund schreibt sie: "Ist es nicht schrecklich seine ganze verdammte Pubertät noch im hohen Alter zu spüren? Dass nicht einmal diese Zeiten und der Untergang der westlichen Welt einen daran hindern, wie ein Kartenhaus zusammenzustürzen und wie Zunder zu brennen -und dann, wenn man endlich das erreicht, was 20 Jahre latent in einem geruht hat, liegt die betreffende Person krebskrank im sterben und ist ausreichend mit Radium bestrahlt, um keinen Funken Geschlecht mehr übrig zu haben." Kurz nach Karin Boye nimmt sich Margot Hanel das Leben. Einige Monate später stirbt Anita Nathorst an ihrem Krebs. Eine Dreieckstragödie wie sie im Buche steht. Banal, platt, sentimental. Zugleich anrührend, schmerzlich und schockierend. Und doch nur ein Puzzlestück einer Erklärung, eines Lebens, eines Todes. Vielleicht ein Auslöser. Als Karin Boye am 23.April 1941 in den Wald wandert, ist es bereits ihr 7. Selbstmordversuch. Auch bei diesem geglückten Mal gibt es Zeichen, die darauf verweisen, dass sie nicht so viel dagegen gehabt hätte gefunden zu werden.

Pierre Molinier ist der einzige männliche Künstler, den ich in meine Serie mit aufgenommen habe. Ich liebe seine Fotos, in denen er sich selbst als Frau verkleidet, inszenierte. Er erschoss sich im Alter von 74 Jahren ganz stilvoll, wie er immer war, in Maske und Kostüm vor dem Spiegel. Er hinterließ einen Abschiedsbrief der da lautete: Ich gehe, ihr langweilt mich alle zu Tode. Pierre Molinier war Maler und Fotograf. Seine Selbstinszenierungen, in schwarz /weiß Fotografien und raffinierten Vergrößerungstechniken und Collagen ausgearbeitet, werden heute in exklusiven Erotik und S&M Magazinen publiziert. Für ihn selbst ging es bei diesen Arbeiten nur um sein eigenes, privates Vergnügen. Es erregte ihn, sich so vor der Kamera zu zeigen und er machte ein Fest aus diesen Session, die er in seinem Studio in Bordeaux bis in die 70 ziger Jahren, zelebrierte. Die Surrealisten entdeckten ihn und Breton machte ihn zum Mitglied der Surrealisten in Paris. An den ideologischen Auseinandersetzungen dieser Gruppe zeigte er jedoch wenig Interesse. 1965 kommt es dann zum Eklat mit Breton bei einer Ausstellung in Paris. Moriniere zeigt ein Bild mit einer gekreuzigten Frau in Ekstase. Das ist zuviel für den armen Breton, er nennt es obszön und blasphemisch, antichristlich. Damit kann Molinier leben und er macht weiter mit seinen erotischen Ergüssen. Er bastelte Dildos aus Seide, die er sich genüsslich in den Anus einführt, er erfindet weibliche Masken mit starrem Lächeln, die er vor sein alterndes Gesicht klebt. Tod begreift er nunmehr als freiwillige Handlung. Er ist dem Leben überdrüssig geworden, seine Lüste immer erschwerlicher, bald müsste er sich einer Prostataoperation unterziehen. Das selbstgezimmerte Holzkreuz ist schon längst im Garten aufgestellt. Der süße, wollüstige Tod kann kommen, unnütz ihn zu beweinen.

Adelheid Duvanel, Schweizerische Schriftstellerin 1936 - 1996 Die meisten ihrer Bücher sind vergriffen. Sie erfror in einer kalten Sommernacht. Eine Ausnahmenacht, sagten die Meteorologen. Man fand sie im Wald, Medikamente im Blut. Auch sie gehörte zu den Menschenscheuen, den Depressiven, den Dünnhäutigen. Auch sie verbrachte einige Jahre ihres Lebens in psychiatrischen Anstalten in die sie freiwillig ging wenn sie kein Geld mehr hatte zum Leben. Mehrere Selbstmordversuche auch in ihrer Biografie. Sie bekam den Baseler Literaturpreis, gab niemals Interviews. Sie wünschte keinerlei Nachforschungen über ihr Privatleben. Was ich weiß ist, dass sie ein Kind hatte, das Drogenabhängig und HIV- infiziert war. Ihr Ehemann brachte sich nach der Scheidung um. Vergewaltigungen - auch das gab es in ihrem Leben. Duvanels Selbstmord, im Alter von 60 Jahren, ist keine Tragöde sondern eine Entscheidung. Ihr Leben vorher vielleicht, das vergessen danach mit Sicherheit. Deshalb gehört sie in meine Arbeit, in die Reihe der Künstlerinnen, denen ich einen Tribut zolle, deren Arbeit mich inspiriert und deren Leben mich interessiert. Pressetext

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Claudia Reinhardt - Todesarten, Killing Me Softly