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In Venedig geboren, war Vedova ein Hauptvertreter des italienischen Informels. 1960 erhielt er den Großen Preis der Biennale Venedig. Durch seine Teilnahme an der documenta Kassel 1955, 1959, 1964 und 1982 wurde er in Deutschland bekannt.

Persönliche Erinnerungen an Emilio Vedova von Dr. Wolfgang Rothe

Emilio Vedova, Jahrgang 1919, gilt heute wohl als der bedeutendste informelle Maler Italiens. Im Unterschied zu anderen ‚Abstrakten’ seiner Generation war er – im wörtlichsten Sinne – ein Action painter, ein Malaktionist in Reinkultur. In seiner Heimatstadt Venedig gab er den Malerfürsten inmitten eines vorwiegend traditionalen Milieus ab. Im Lebenswerk dieses Kunstrevolutionärs erlebte die Barockmalerei der Lagunenstadt einen späten Nachhall, nunmehr in gegenständlicher Darstellung. Frühe Zeichnungen Vedovas, architektonische prospetti, Kirchengewölbe und ähnliches, erweisen ihn insofern als ihren Erben. Eine engere Beziehung zu Deutschland entstand 1964, als er in Berlin ein Atelier bezog und dort das „Absurde Berliner Tagebuch“ schuf, in alle Richtungen ausfahrende großformatige, im Raum freistehende Bildwände, die plurimi di Berlino. Sie entstanden sicherlich unter dem Eindruck der Mauer zwischen West- und Ostberlin. Presenze, immer politisch aufgeladen, war das Generalwort dieser Malerexistenz, eines extrem impulsivem Temperaments. Die Kunsthalle Baden-Baden richtete Vedova im selben Jahr 1964 seine erste repräsentative Schau hierzulande aus. München und Berlin folgten als Ausstellungsstätten. Maria Rothe zeigte ihn 1970 in ihrer Heidelberger Galerie. Hinter dicken Brillengläsern energiesprühende, das Gegenüber anpackende Augen. Der ganze Mann potenza, Zustand permanenter Erregung, Überdrucks, wie kurz vor der Explosion. Ein hyperaktiver Motoriker, dessen Physis auf geringste Reize eruptiv reagierte. Vor Spannung und Nervosität vibrierend, schien er gleichsam unter Strom zu stehen. Als auf unserer Vernissage die Filmvorführtechnik nicht sofort funktionierte, schrie er in höchster Aufregung „Sabotage“ und stürmte durch die Galerie. Venedig: Unter der nüchternen Postadresse D.D. 46 verbarg sich ein Haus am malerischen Dorsoduru unweit der majestätischen Kuppel von Santa Maria della Salute, auf die man im tuckernden Vaporetto zusteuerte. Dort, ausgangs des Canale della Giudecca, lebten die beiden Vedovas in einem geräumigen Gebäude, das auch die Druckwerkstatt des passionierten Graphikers beherbergte. Herrliches Licht über dem Bacino di San Marco zu Linken und der Insel San Giorgio Maggiore gegenüber. Vor der Haustür, wenige Schritte vom Wasser, trennten wir uns eines Tages, nicht ahnend, dass es ein Ciao für immer sein sollte: Der Zweimeterhühne sprang unvermittelt aus dem Stand hoch, die spillerigen Beine an den Leib ziehend, und lachte uns kurz an – eine urkomische Freundschaftsgeste, ein unvergesslicher Moment. In Ibiza besuchten wir sie in ihrem Refugium hoch über dem Hafen. Eine kaum mehr als handtuchbreite Vertikale mehrer Etagen, die man über eine enge Wendeltreppe emporstieg. Das entsprach auf sonderlich Art der aufschießenden Gestalt Emilios, just als wolle sich das schmalbrüstige Bauwerk seinem Eigentümer anpassen, dem baumlangen Bärtigen, der gewohnheitsmäßig dem anderen immer leicht vorgebeugt gegenüberstand. Hypersensitiv wie die Person selbst mit ihrer eruptiven Körpersprache war auch Vedovas Bildgestik, unverändert bis ins Spätwerk. Die wild und unkontrolliert wirkende, aber keineswegs zügellos-anarchisch gestikulierende Arbeitsweise des konvulsivischen Malwüterichs ergab sich aus einer elementaren Leidenschaftlichkeit. Ein in die sanfte Lagune verschlagener Vulkan. Sinnbildhaft tat sich sein Habitus in einer kaum entzifferbaren Handschrift kund, die in einer breiten Filzstiftsignatur auf den Ansichtspostkarten kulminierte, die das Paar von seinen Reisen in alle Weltgegenden an die vielen Freunde schickte. Neben diesem kürzelhaften Signalement fand sich stets der Name seiner Freunde, in feiner, fast mädchenhafter Schönschrift: Annabianca. Die beiden mögen manchem ein Rätsel gewesen sein, gar eine Amour fou: Der Kommunist und die Gräfin, der antifaschistische Widerstandskämpfer, auch nachdem Krieg unverändert linksengagiert, und die vornehm-liebenswürdige, zurückhaltende Aristokratin. Emilio, der Vitalist – einmal Revolutionär, immer Revolutionär – überlebte seine ihn durch ihr bloßes Dasein beruhigende Lebensgefährtin im letzten Jahr nur um wenige Wochen.

Frankfurt/Main, im Mai 2007

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Emilio Vedova
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