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Jean-Jacques Lebel
“La Chose” de Tinguely, quelques philosophes et “Les Avatars de Vénus”
April 13–September 18, 2022

14. Juli 1960. Später Nachmittag. Jean-Jacques Lebel wirft, mithilfe eines Begleiters und beobachtet von vielleicht 50–60 Personen, eine Skulptur von Jean Tinguely in den Canale della Giudecca in Venedig. Es ist ‹la Chose› de Tinguely, und das Ganze ist Teil eines Happenings, das zuvor im Palazzo Contarini-Corfù seinen Anfang nahm und zu dem die Zuschauer*innen mit einer kleinen Karte eingeladen worden waren: Einladungskarte zum L'enterrement de la Chose de Tinguely, Venedig, 14. Juli 1960
© 2022 Museum Tinguely, Basel

14. Juli 1960. Später Nachmittag. Jean-Jacques Lebel wirft, mithilfe eines Begleiters und beobachtet von vielleicht 50–60 Personen, eine Skulptur von Jean Tinguely in den Canale della Giudecca in Venedig. Es ist ‹la Chose› de Tinguely, und das Ganze ist Teil eines Happenings, das zuvor im Palazzo Contarini-Corfù seinen Anfang nahm und zu dem die Zuschauer*innen mit einer kleinen Karte eingeladen worden waren:

Was später von Alan Kaprow als erstes Happening auf europäischem Boden verzeichnet wird, ist ein rituelles Begräbnis oder Gedenkveranstaltung für Nina Thoeren, eine junge Frau aus Venedig, die kurz zuvor in Los Angeles vergewaltigt und umgebracht worden war. Sie hatte die Stadt verlassen, um in Los Angeles, wo auch ihr Vater lebte, zu studieren. In Venedig war sie Teil einer jungen Kunstszene gewesen und hatte sich unter anderen auch mit Lebel, einem regelmässigen Gast in der Lagunenstadt, befreundet.

Jean-Jacques Lebel war Initiant einer Ausstellung, die er gemeinsam mit Alain Jouffroy und Sergio Rusconi in der Galleria del Canale bei der Accademia organisiert hatte, und die seit dem 18. Juni 1960 lief: Anti-Procès. Bereits einige Monate zuvor hatte in der Pariser Galerie Les Quatre Saisons eine gleichnamige Ausstellung stattgefunden, eine Dritte folgte 1961 in Mailand. Alle drei Ausstellungen richteten sich gegen die imperialistische Politik europäischer Staaten, insbesondere gegen die Politik und den Krieg, den Frankreich in Algerien gegen die Unabhängigkeitsbewegungen führte. Die Künstler*innen protestierten gegen die unsägliche Gewalt, die von französischen Kräften in Algerien ausgeübt wurde. Bereits in Paris war ein Manifest gegen die Gewalt und den Terror veröffentlicht worden. In Venedig – es war die Zeit der Biennale – richtete Anti-Procès die Aufmerksamkeit aber auch auf die Merkantilisierung der Kunst und auf ihre damit verbundene Banalisierung.