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Der Florentiner Licht- und Medienkünstler Patrizio Travagli (*1972) geht den Dingen und Erscheinungen, die wir landläufig als wahrhaftig, objektiv und selbstverständlich erachten, auf die Spur. Ausgestattet mit philosophischem und naturwissenschaftlichem Rüstzeug unternimmt er seine künstlerischen „Gedankenexperimente“, wie er seine konzeptuellen und zugleich sinnlich wahrnehmbaren Projekte bezeichnet. Indem er etwa, wie in der Videoarbeit „Doppelgänger“ (1. Fassung 2007) seine hoch perfektionierte Kamera an unspektakuläre Alltagsgegenstände wie kochende Spaghetti, ein läutendes Mobiltelefon oder ein bekritzeltes Blatt Papier bis zu 500facher Vergrößerung heranzoomen lässt, sodass jede visuelle (und akustische) Identifizierbarkeit der Objekte unmöglich wird. Stattdessen nehmen wir farblich und formal abstrakte Sensationen wahr, neue, sonst ungesehene Bilder von „Wirklichkeit“. Grenzen, Ränder und sonstige markante Elemente verschwimmen, lösen sich auf, geraten in Bewegung, la ssen Raum und Zeit koordinatenfrei fluktuieren.

Dahinter steckt eine Philosophie, die der Frage nach dem Verhältnis zwischen so genannter Objektivität und Subjektivität nachgeht – was wahr und was falsch ist, was subjektiv oder objektiv gegeben, was Wirklichkeit und was deren Konstruktion ist. Sind die Dinge „tatsächlich“ so, wie wir sie wahrnehmen, oder ist deren Erscheinungsform – ihr Sein – nicht vielmehr abhängig von der Position bzw. Perspektive ihrer Betrachter und ihrer Interpretationen? Laut (Heisenbergs) Unschärferelation verhalten sich bewegte (mikrophysikalische) Elemente bei ihrer Beobachtung von außen anders, als sie berechnet wurden. Womit gesagt werden könnte, dass alle „Wirklichkeit“ nicht mehr ist als ein momentanes Resultat von Relationen der Dinge untereinander – ein temporäres Erscheinungsbild, das sich permanent wandelt, und für dessen Sein es weder Anfang noch Ende gibt, sondern ständige Permutation.

„Travagli nimmt Fragestellungen auf, die die Philosophie ebenso beschäftigen wie die Physik. Aber er illustriert diese Fragestellungen nicht, sondern formt sie um, lässt sie zu Bildern werden, zu Bildspielen, zu eindrücklichen Erfahrungen. Eine von diesen Erfahrungen ist die des Sokrates: ‚Ich weiß, dass ich nichts weiß.‘ Beim alten Sokrates war das der Beginn der Erkenntnis. Eva meinte, dafür einen Apfel essen zu müssen. Travagli bietet uns andere Möglichkeiten.“ (www.madonnafust.ch)

Lucas Gehrmann