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Pleiades
08.05.2022 -05.06.2022
Eröffnung am 07.05.2022

Das, was war, und das, was kommt

Thomas Zitzwitz widmet seine Ausstellung den Plejaden. Die Plejaden sind ein Sternbild, deren Verschwinden den Frühling ankündigt und das passt gut zum Datum der Ausstellung, wenn die Tage endlich wieder länger und heller werden und der Winter sich zurückzieht. Die Plejaden sind Sterne, die mehr Licht versprechen.

Dieses Licht spielt in den hier versammelten Arbeiten – 14 Aquarelle und 7 Spray-Bilder – eine besondere Rolle, denn sie alle leuchten. Das zeigt sich vielleicht besonders in den Aquarellen mit ihren strahlenden Farben. Sie sind wie Blumen, die sich der Sonne öffnen, ihre Knospen ausbreiten und erblühen. Zitzwitz hat sie indes im Winter gemalt, im ersten Lockdown Anfang 2020, als in einem fahlen Licht das Leben begann schamlos dahinzugleiten und allzu oft viel zu schnell verblühte. Es sind sonnenhelle Winterblumen, fleurs d’hiver, und dass er sie jetzt zeigt, kann auch als Versprechen verstanden werden, dass der lange Winter nun vorbei ist. Spring is coming.

Dieser orphische Zug verbindet die Aquarelle mit den Spray-Bildern und ihren labyrinthischen Verwandlungen der Farben, Volumen und Texturen, die – wie die Verläufe der mal transparenten und mal opaken Pigmente in den Aquarellen – ein Spiel sinnlicher Reize induzieren und eine luzide Oberfläche aufspannen, die Tiefe verspricht, aber undurchdringlich ist – ein Wetterleuchten aus den ätherischen Regionen des Himmels und das heißt auch aus der Zukunft.

Zukunft, das ist auch das Motto unter dem sich die mythologischen Namensgeberinnen des Sternbildes mit der Kunst verbinden. Denn die Plejaden sind dem Mythos zufolge die Nymphen Alkyone, Asterope, Elektra, Kelaino, Maia, Merope und Taygete, Töchter des Atlas und der Pleione, von der sich auch ihr Name ableitet. Sie paarten sich mit Göttern und Helden. Orion stellte ihnen nach und Zeus rettete sie, indem er sie an den Himmel stellte, von wo sie seither nicht nur den Frühling künden, sondern auch die schiffbare Zeit auf den Gewässern und mithin den Seeleuten verraten, ab wann sie ihre Segel setzen können, um zu neuen Fahrten aufzubrechen.

Dabei ist die Art und Weise, wie wir ein Sternbild sehen, eng verwandt mit der Art und Weise, wie wir Kunst verstehen oder mehr noch, wie wir überhaupt etwas verstehen. Etwas zu verstehen ist etwas ganz anderes, als etwas als etwas zu erkennen oder zu identifizieren. Wenn wir etwas als etwas identifizieren, behaupten wir, es sei dieses oder jenes. Damit erheben wir jedoch einen Anspruch, den wir gar nicht einlösen können, denn wenn ich sage, „Das ist eine Pfeife“, erkenne ich das in Rede stehende gar nicht, ich ordne es nur in eine bestimmte Kategorie ein. Der Philosoph Theodor W. Adorno formuliert das so: „Das Identitätsdenken sagt, worunter etwas fällt, wovon es ein Exemplar ist oder Repräsentant, was es also nicht selbst ist. Identitätsdenken entfernt sich von der Identität seines Gegenstandes um so weiter, je rücksichtsloser es ihm auf den Leib rückt.“ Jedes Urteil über ein Einzelnes, das dieses als etwas identifiziert, verfehlt also dieses Einzelne. Es stellt eine Behauptung auf, die es aufgrund seiner Struktur gar nicht einlösen kann.

Das Problem ist freilich: Verstehen vollzieht sich in der Regel in Sätzen und unsere Sprache ist immer identifizierend. Wir können gar nicht anders als so zu sprechen und zu schreiben. Ein Ausweg kann es sein, das, worum es geht, nicht zu identifizieren, sondern mit unserer Sprache zu umstellen – sei es im Essay oder im Gespräch. Denn beide Formen zielen nicht darauf ab, das, was in Rede steht, in eine systematische Einheit zu bringen. Sie lassen die Sache, um die es geht, unabgeschlossen. Ein gewisser Rest bleibt übrig, ein Bereich der Unschärfe, der aus dem Nebeneinander unterschiedlicher Aussagen entsteht, die nicht vollständig zueinander passen oder ineinander gefügt sind wie die Glieder eines Argumentes, sondern die die Sache, um die es ihnen geht, eher umkreisen als einordnen. Walter Benjamin hat diese Umstellungen der Sache mit Worten als Konstellationen bezeichnet und dabei an Sternbilder wie die Plejaden gedacht. Denn wenn wir ein Sternbild am Himmel entdecken, verbindet das Auge bestimmte Sterne miteinander zu einem Bild, das sich erst in dieser Zusammenstellung ergibt und auch nur für den, der es sieht. Auch das Verstehen, das sich in den sprachlichen Konstellationen ergibt, ist an die gebunden, die es vollziehen. Das zeigt sich in mündlichen Konstellationen noch deutlicher als in geschriebenen, denn das Gespräch „schließt“, wie der Philosoph Hans-Georg Gadamer schreibt, „den Vorblick auf den anderen mit ein, mit dem er Voraussetzungen teilt und auf dessen Verständnis er zählt. Der andere nimmt das Gesagte, wie es gemeint ist, d.h. er versteht dadurch, daß er das Gesagte ergänzt und konkretisiert und nichts in seinem abstrakten Sinngehalt wörtlich nimmt“. „Was beim lebendigen Sprechen herauskommt“, so Gadamer weiter, „ist nicht eine bloße Fixierung von intendiertem Sinn, sondern ein sich beständig wandelnder Versuch oder besser, eine sich ständig wiederholende Versuchung, sich auf etwas und sich mit jemanden einzulassen. Das heißt aber sich auszusetzen“.

Wenn wir uns diese philosophischen Versuche über das Verstehen im Zusammenhang mit Zitzwitz’ Bildern vor Augen führen, merken wir schnell, dass die Philosophie hier versucht, einen Nachteil der Sprache gegenüber dem Bild auszugleichen, denn Bilder wie seine artikulieren ihren Sinn nie anders denn in Konstellationen, die sich für jedes Auge anders darstellen und sie haben ihn gerade in jenem Überschuss oder in jener Unschärfe, welche das konstellative Sprechen allererst herstellen oder offenlegen muss. Eben das führen Zitzwitz’ mäandernde Farbflächen und fließende Übergänge vor: eine Konstellation von Farben, Flächen und Formen, die für jeden individuellen Blick einen je individuellen Sinn aufscheinen lässt, der sich der sprachlichen Exekution jedoch in eine Unschärfe entzieht. Die Kunstphilosophen nannten diese Unschärfe früher eine schöne Unordnung (beau desordre), und taten so, als wäre das Schöne bloß eine Frage des Geschmacks (je ne sais quoi), die sich nicht beantworten ließ, eben weil sie nicht auf den Begriff oder in ein System gebracht werden konnte. Die klügeren Köpfe unter ihnen ahnten jedoch, dass vielleicht nur ihre Kategorien falsch und Wahrnehmungen zu grob waren, um die Sache zu erfassen. So findet der Philosoph Gottfried Wilhelm Leibniz die Grundlage der schönen Unordnung in einer besonderen „Finesse“, mit der kleine und (fast) unbemerkbare Wahrnehmungen („petites ou insensibles perceptions“) zusammenspielen. Er schreibt: „Diese kleinen Perzeptionen sind demnach von größerer Wirksamkeit, als man denkt. Sie sind es, die jenes Ich-weiß-nicht-was bilden, jene Geschmäcke, jene Bilder der sinnlichen Qualitäten, klar in der Anhäufung, aber verworren in den Bestandteilen, jene Eindrücke, welche die umliegenden Körper auf uns machen und die das Unendliche einschließen; jene Verbindungen, die jedes Wesen mit der ganzen übrigen Welt hat. Man kann sogar sagen, dass infolge dieser kleinen Perzeptionen die Gegenwart von der Zukunft durchdrungen und mit der Vergangenheit beladen ist“. Leibniz’ Hinweis macht noch einmal deutlicher, was in Zitzwitz’ Bildern konstelliert: Es sind nicht nur einzelne Lichtpunkte am Himmel (wie im Sternbild), sondern eine schöne Unordnung von Farben und Verläufen, Formen und Kontrasten, Metamorphosen von Nuancen und Details. Eine Apotheose der Kleinigkeiten durch Zusammenstellung. Eben das tun wir indes auch, wenn wir ein Sternbild am Himmel sehen. Sieben kleine Lichtpunkte geben ein Bild und dieses Bild erzählt eine unendliche Geschichte, über das, was war, und das, was kommt.
Björn Vedder