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Frankfurt am Main, 19. Dezember 2012. In einer umfassenden Sonderausstellung widmet sich das Frankfurter Städel Museum vom 20. Februar bis 26. Mai 2013 dem Klassizismus und dessen Impulsen für die Romantik. Die in Zusammenarbeit mit der Liebieghaus Skulpturensammlung entstandene Ausstellung „Schönheit und Revolution“ versammelt rund 100 Werke aus der Zeit von 1770 bis 1820, darunter Arbeiten von Anton Raphael Mengs, Thomas Banks, Antonio Canova, Jacques-Louis David, Bertel Thorvaldsen, Johann Gottfried Schadow und Jean-August-Dominique Ingres. Die große Überblicksausstellung zum Klassizismus gewährt erstmals in Deutschland einen umfassenden Einblick in die Vielfalt der unterschiedlichen und zuweilen sogar widersprüchlichen Facetten dieses Stils und zeigt die Verbindungen und Impulse zur Kunst der Romantik auf.

Anhand von bedeutenden Skulpturen, Gemälden und Grafiken aus internationalen Sammlungen veranschaulicht die Ausstellung den bestimmenden Einfluss der Antike auf die Künstler jener Zeit. Im Ringen um eine gesellschaftlich relevante Kunst richtete sich der Blick sowohl auf die Ästhetik der griechischen und römischen Kunst als auch auf deren durch Historie und Mythologie vermittelte Tugenden und Moral. Auf welch unterschiedliche Weise der Betrachter dabei angesprochen werden kann, wird in der Ausstellung offenbar. So stehen einander in Frankfurt u. a. erstmals zwei berühmte Marmorskulpturen der griechischen Göttin Hebe in Varianten von Antonio Canova (1796, Staatliche Eremitage, St. Petersburg) und Bertel Thorvaldsen (entworfen 1806, Thorvaldsens Museum, Kopenhagen) gegenüber. Seit ihrer Entstehungszeit wurden die beiden Meisterwerke zwar fortwährend miteinander verglichen und bewertet, jedoch noch nie gemeinsam ausgestellt.

Die Ausstellung wird vom Kulturfonds Frankfurt RheinMain im Rahmen des Projekts „Impuls Romantik“, von der Hessischen Kulturstiftung und der Stadt Frankfurt am Main gefördert.

Die große Frühjahrsausstellung des Städel Museums gibt einen breit gefächerten Überblick über die Epoche des Klassizismus und demonstriert anhand von innovativen Arbeiten Gavin Hamiltons und Johann Heinrich Füsslis über zentrale Werke Antonio Canovas und Jacques-Louis Davids bis hin zu Meisterwerken des „romantischen Klassizismus“ von Bertel Thorvaldsen die unerwartete Lebendigkeit der oftmals als statisch angesehenen Epoche.

Die verschiedenen Aspekte des Klassizismus werden in der Ausstellung entlang dreier gedanklicher Achsen herausgearbeitet. Zum einen konzentriert sich die Auswahl der zahlreichen Leihgaben bis auf wenige Ausnahmen auf die Kunstproduktion in der Stadt Rom, die um 1800 für Künstler, Literaten und Theoretiker aus ganz Europa zum zentralen Ort des Studiums der Antike sowie zum Mittelpunkt des Kunstgeschehens wurde. Zum anderen fokussiert die Ausstellung auf Darstellungen antiker historischer und mythologischer Szenen. Auf der Suche nach einem Vorbild für sittlich gutes Handeln entdeckten die Künstler im antiken Mythos das Menschliche und verstanden ihn als Dichtung ohne religiösen Kontext. Mit dem Gemälde Schwur der Horatier von Jacques-Louis David – in der Schau ist eine Ölskizze des Werks aus der Sammlung des Louvre, Paris, zu sehen – blieb beispielsweise eine zeitlos gültige Moral weiterhin Thema, jedoch bezog sich das Werk auch auf aktuelle politische Ereignisse. Die Schau führt damit beispielhaft vor Augen, wie Motive der Gegenwart zunehmend Einzug in die künstlerische Thematik des Klassizismus hielten. In einem dritten Kapitel der Ausstellung wird der damit verknüpften Frage nachgegangen, auf welche Weise Gefühle und Leidenschaft im Klassizismus dargestellt wurden. Künstler wie Canova oder David formulierten in ihren Werken Emotionen und Pathos auf eine für die Zeitgenossen neue Art, die sich vor allem in der Körpersprache der Figuren ausdrückte. Anders als im Barock stand nicht mehr die Affektdarstellung im Vordergrund, sondern verinnerlichte Gefühle, in die der Betrachter einzutauchen vermochte. Die Künstler distanzierten sich damit ebenfalls deutlich vom Pathos der Antike; so wurde beispielsweise im Fall der Skulptur Theseus und Minotaurus von Canova (1783, Museo e Gipsoteca Antonio Canova, Possagno) vor allem das Moment des Nachsinnens nach dem Sieg und damit das moralische Bewusstsein des Helden zum Thema.

Die groß angelegte Sonderausstellung, die sich über das gesamte Ausstellungshaus des Städel erstreckt, beginnt im Erdgeschoss mit der imposanten Gegenüberstellung der beiden berühmten Darstellungen der Göttin Hebe von Antonio Canova (1800–1805) und Bertel Thorvaldsen (1815–1823). Von Canovas auf einer Wolke heraneilenden, in eine Handlung eingebundenen Mundschenkin hin zu Thorvaldsens introvertierter Sinnenden wird so gleich zu Beginn die ganze stilistische Bandbreite der Kunst des Klassizismus greifbar. Daran anknüpfend lässt die große Halle im Erdgeschoss die stürmische Entwicklung des Klassizismus in den Jahren bis ca. 1790 eindrücklich sichtbar werden. Am Beginn steht eine Auswahl von Antikenreproduktionen aus Gips und Bronze aus dem späten 18. und frühen 19. Jahrhundert, an denen der besonders durch den Archäologen und Kunstschriftsteller Johann Joachim Winckelmann (1717–1768) betonte Kanon antiker Kunst sichtbar wird. Jene berühmten Antiken bezogen in Rom weilende Künstler anfänglich noch so direkt wie möglich in ihre Werke ein. Der Rückgriff auf die Antike beinhaltete damals oft eine Kritik an zeitgenössischen Herrschaftsformen, vor allem an den höfischen und kirchlichen Formensprachen des Barock. Anton Raphael Mengs ging mit seiner Annäherung an die Antike so weit, dass er mit seinem Fresko Jupiter und Ganymed (1758–1759, Galleria Nazionale d’Arte Antica, Palazzo Barberini, Rom) Winckelmann derart täuschen konnte, dass er das Werk in einer seiner Schriften als Original der Antike aufnahm.

In der darauf folgenden Sektion sind die rebellischen Werke einer Gruppe von Künstlern zu sehen, die sich ebenfalls in Rom aufhielten und dem Winckelmann’schen Credo der „edlen Einfalt und stillen Größe“ nicht folgen wollten – sich aber dennoch intensiv mit den antiken Vorlagen beschäftigten. Ihr Ziel war es, den Betrachter durch die Dramatisierung der Darstellung zu bannen; dabei nahmen sie auch Überzeichnung und Verzerrung in Kauf. Der Engländer Thomas Banks (1735–1805) gehört mit seinem Fallenden Titan (1786, Royal Academy of Arts, London) dieser Gruppe ebenso an wie der Schweizer Johann Heinrich Füssli (1741–1825) mit dem aus dem Kunsthaus Zürich stammenden Werk Achill opfert sein Haar am Scheiterhaufen des Patroklos (1800–1805).

Zu einer starken Beruhigung der Motive führten anschließend die gezeigten Arbeiten Antonio Canovas (1757–1822) sowie Jacques-Louis Davids (1748–1825) und seiner Schüler. Deren Werke zeugen ebenso von formaler Strenge wie bewusst pointierter Dramaturgie. Sowohl der Bildhauer Canova als auch der Maler David erarbeiteten sich die antiken Themen und Haltungen mit völlig neuen bildnerischen und ikonografischen Mitteln, welche darauf folgende Künstlergenerationen in ganz Europa prägen sollten.

Im zweiten Stockwerk des Ausstellungshauses wird erfahrbar, wie die neue Ikonografie sich auch durch die Bezugnahme auf die politische Gegenwart, besonders natürlich auf die Französische Revolution, entwickelte. Als ersten Märtyrer der Revolution verewigte Jacque-Louis David zum Beispiel den toten Marat, der in der Ausstellung in einer Version von David und seiner Werkstatt (Musée national des châteaux de Versailles et de Trianon, Versailles) sowie von Joseph Roques (1793, Musée des Augustins, Toulouse) zu sehen ist.

Das auch auf formaler Ebene beeindruckende revolutionäre Potenzial der jungen Kunst zeigt im Folgeraum: Überraschend abstrahierend sind die raffiniert vereinfachten Szenen, die beispielsweise der Bildhauer John Flaxman (1755–1826) in Zeichnungen und Stichen zur Anschauung bringt. Ihre Reduktion auf die Kontur sollte in ganz Europa für Furore sorgen.

Der darauf folgende Raum thematisiert den langsamen wie tiefgreifenden Wandel in der Auseinandersetzung mit der Antike, der sich in den Jahren um 1800 vollzog. Immer deutlicher wurde die Unerreichbarkeit des antiken Ideals wahrgenommen. Für die Kunst folgte daraus eine zunehmende Loslösung von deren Normen, dem Betrachter wiederum wurden größere Interpretationsspielräume zugestanden. Auch die Verinnerlichung der Protagonisten hielt verstärkt Einzug ins Bildgeschehen. Entsprechend werden Spitzenwerke wie Bertel Thorvaldsens Ganymed (1819–1821, Thorvaldsens Museum, Kopenhagen) heute als „romantischer Klassizismus“ bezeichnet.

Im abschließenden Raum der Ausstellung wird die Mannigfaltigkeit der Tendenzen, die sich in den ersten Jahrzehnten nach 1800 aus dem Klassizismus heraus entwickelten, immer deutlicher sichtbar. Bei aller Diskrepanz der künstlerischen Entscheidungen fanden sie sich in der Suche nach neuen Wegen aus dem Klassizismus vereint. Die Vorstellung der Antike wird zunehmend distanziert betrachtet, eigenwillig transformiert und von immer mehr Künstlern des 19. Jahrhunderts weitgehend ignoriert. Insgesamt präsentiert die Ausstellung den Klassizismus als unvermutet vielfältige und lebendige Stilepoche, deren unbedingter Wunsch nach Erneuerung und Verbesserung durch den Rückbezug auf die Antike zum Nährboden für die Romantik wurde.

SCHÖNHEIT UND REVOLUTION. KLASSIZISMUS 1770–1820 Kuratoren: Dr. Eva Mongi-Vollmer (Städel Museum), Dr. Maraike Bückling (Liebieghaus Skulpturensammlung) Ausstellungsarchitektur: Michiko Bach, Daniel Dolder

Katalog: Zur Ausstellung erscheint im Hirmer Verlag ein umfangreicher von Dr. Maraike Bückling und Dr. Eva Mongi-Vollmer herausgegebener Katalog mit Beiträgen von Sergej Androsov, David Bindman, Maraike Bückling, Werner Busch, Christian M. Geyer, Alexander Kaczmarczyk, Thomas Kirchner, Eva Mongi-Vollmer, Johannes Myssok und Marjorie Trusted, deutsch, ca. 360 Seiten.