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Der Ausstellungstitel verrät bereits, dass die in Japan aufgewachsene Motoko Dobashi stets ein starkes Augenmerk auf den Ort, die jeweils spezifische Situation hat.

“Sea breeze“ ist der Name einer After Sun Lotion, die in Japan sehr bekannt ist. Bei vielen Japanern weckt ihr markanter Duft starke Assoziationen an Sonne und Meer, wie auch Erinnerungen an Episoden der eigenen Biographie.

Hamburg dagegen ist ein weißer Fleck auf der Karte der Künstlerin in dem Sinne, dass sie bisher noch nie dort war. Nichtsdestoweniger hat sie eine Vorstellung von der Stadt, gespeist aus kursierenden Medienbildern, Nachrichten, Informationen und Erzählungen. Der tatsächlich faktische Gehalt macht vielleicht nur einen Bruchteil dieses Images aus. Es ist aber gerade dieses inspirierende Moment von Details, das dem Zweierlei des mit 'Sea Breeze' Benanntem gemeinsam ist. Hier ist es der Duft, dort die Informationsbruchstücke, die sogleich ihre gesamten jeweils mit ihnen verknüpften Vorstellungswelten aufrufen.

Die Ortsbezogenheit der Arbeitsweise der Künstlerin lässt sich aber nicht allein aus der Titelwahl ableiten. Neben der gezielten Auswahl einer Reihe von sensiblen Papierarbeiten realisiert sie in Hamburg auch eine Wandarbeit, die in freier Weise auf die Küstensituation Bezug nimmt.

Gegenstand der Bilder Motoko Dobashis sind in einem weiten Sinne Räume. Es handelt sich um Naturlandschaften genauso wie um vom Menschen gestalteter Raum. In ihren Landschaften favorisiert sie kein bereinigtes Naturidyll, sondern schildert in ihnen auch menschliche Bauten und technische Einrichtungen als gleichwertige Bestandteile der Szenerie. Eine Tendenz Dobashis, die kulturell eingeführte Trennung zwischen menschlich und natürlich gestaltetem Raum aufzuheben geht soweit, dass räumliche Situationen dargestellt werden, die der allgemeinen Lebenserfahrung widersprechen. So spannen sich über manche Landschaft netz- oder deckenartige Strukturen oder eine Kuppel. Ob es sich um einen Aussen- oder Innenraum handelt, bleibt somit in diesen Bildern offen.

Die Räume sind stets menschenleer und doch findet sich häufig ein Agens, ein Tuendes. Mal sind es Schwärme logoähnlicher Gebilde, Wolken oder Rauchschwaden oder eine Röhrenstruktur, die sich ihren Weg durchs Bild bahnt auf den Betrachter zu. Diese Dinge lassen sich durchaus metaphorisch verstehen und in ihnen manifestiert sich eine durch und durch asiatisch geprägte Weltsicht. Über eine rein positivistisch wahrgenommene Gegenständlichkeit der Welt hinaus offenbaren sie nämlich eine Empfänglichkeit für spirituelle Wirkkräfte im Realen.

Bezüglich der Sujets unterliegt den Arbeiten ein reicher Fundus symbolträchtiger Bilder, global verbreiteter Mythen und Metaphern. Die Offenheit dieser Motive bezüglich ihrer Herkunft fordert den Betrachter, deren tradierte Lesart zu überprüfen und sie auf ihre akute subjektiv-individuelle Bedeutung hin zu befragen. Bedeutung ergibt sich also weniger aus überlieferter Kodierung als vielmehr aus aktuellem Wert und Gebrauch. In dieser Hinsicht stellen die Bilder Dobashis ein Angebot dar, Welt wie Weltsichten vor einem erweiterten Horizont unvoreingenommen einmal mehr zu erforschen.

Formal wie inhaltlich wird Dobashis Arbeit bestimmt durch eine Strategie der Synthese des Disparaten. So interagieren miteinander: realer Raum der Ausstellung und Bildraum, wechselnde Perspektiven, Versatzstücke unterschiedlicher Kulturen oder weit auseinander liegender geschichtlicher Epochen, Vorstellungen von Natur und Zivilisation. Auch unterschiedliche Darstellungstechniken finden bisweilen einträchtig in einem Bild zusammen. Da stehen malerische Partien neben grafischen, Handwerkliches neben Gedrucktem oder Collagiertem. Wie Farben, die erst im Nebeneinander ihr ästhetisches Potenzial gänzlich entfalten, entdeckt Dobashi dem Betrachter in ihren Fügungen die Eigenwertigkeit des Verschiedenen. Es steht jedoch nie beziehungslos nebeneinander. Harmonisiert werden die Partien überwiegend durch eine eingeschränkte Farbigkeit aus einem Spektrum zwischen Schwarz, Grau bis Graublau. Die Komposition vereint die Gegenstände zudem in einem wohl fiktiven, szenisch aber möglichem Bildraum.

Die Harmonisierung wird dabei aber absichtsvoll niemals bis zur Vollständigkeit betrieben. Gerade aus dem Verhältnis von Schlüssigkeit und Differenz beziehen die Bilder einen Gutteil ihrer Spannung. Sie stellen eine wohl austarierte Balance her zwischen dem Illusionismus naturalistischer Darstellungen und der desillusionierenden Wahrhaftigkeit, die in der Ablesbarkeit ihrer synthetischen Entstehungsweise liegt. Diese Methodik hat Ähnlichkeiten zu einer Tendenz, die in anderen Kulturpraktiken wie Kochkunst oder Musik unter dem englischen Begriff 'Fusion' wohlbekannt ist und als ein weiteres Anzeichen zunehmender Globalisierung gewertet werden kann. Als Haltung verstanden, liefert sie gleich ein soziales Modell zum Umgang mit Differenz in unserer globalisierten Welt, das Ausgewogenheit anstrebt zwischen Respektierung derselben und dem Streben nach Harmonie.

Rüdiger Belter

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Motoko Dobashi: Sea Breeze