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Bewegung bildet die erste Voraussetzung für eine Geschichte, die Wahrnehmung von Bewegung deren zweite. Die Ausstellung „Slow Movement oder: Das Halbe und das Ganze“ richtet ihr Interesse auf Geschichten, die entstehen und gestattet werden, wenn Verlangsamung einsetzt – in der Bewegung selbst wie auch in ihrer Wahrnehmung.

Der Begriff der „Verlangsamung“ verweist auf eine Zeitlichkeit; und legt damit vielleicht eine Interpretation nahe wie etwa „der gleiche Vorgang vollzieht sich innerhalb eines längeren Zeitabschnitts“. Sobald die Wahrnehmung sich jedoch verlangsamt, treten andere Informationen ein und Bedeutungen verändern sich; es kann nicht mehr vom gleichen Prozess gesprochen werden. Die verlangsamte Bewegung eröffnet eine parallele Welt.

Die Ausstellung „Slow Movement oder: Das Halbe und das Ganze“ widmet sich künstlerischen Arbeiten, die ihre Wahrnehmung dorthin richten, wo die schnelle Bewegung nicht hinsieht. Und damit ganz andere Geschichten erzählen, als eine zweckorientierte Digitalisierung es tut.

Zuallererst bezeichnet der Gedanke von „Slow Movement“ einen Raum. Nicht den musealen Raum oder den körperlichen Raum der Kunstwerke, sondern vielmehr den Raum einer Bewegung: Durch die verlangsamte Wahrnehmung erhalten wir die Möglichkeit, an Orten einzutreten, uns umzusehen, statt häppchenweise gefüttert zu werden mit präparierten Informationen für jede Sekunde. Wenn die Bewegung langsam ist, dann passt sehr viel hinein. In dieser Bewegung können wir Tage verbringen, können alles denken.

„Slow Movement“ funktioniert hierbei als eine Strategie, die durch den Aspekt der Zeitlichkeit immer auch auf das Fragment verweist. Anfang und Ende, die Begrenzungen, sind nicht bestimmt – und müssen es auch gar nicht sein. Die Fragmente sind verstehbar. Sie sind erlebbar und verstehbar ähnlich wie viele der „kräftigen“ Erfahrungen im Leben, welche nicht kräftig sind aufgrund ihrer Vollständigkeit oder Vollkommenheit sondern aufgrund ihrer Präzision. Jene Präzision bedarf keiner Eingrenzung oder „Definition“, auch keiner Erweiterung. Sie besteht dort, wo sie stattfindet. Und dauert an, nicht weil sie geschaffen wurde, zu dauern, sondern weil sie sich aus dem Erleben mit dieser Gestalt in der Erfahrung festgesetzt hat.

Viele der Werke in der Ausstellung arbeiten mit den Erscheinungen des Zufälligen und Alltäglichen. Nicht, indem sie dieses als „Landschaft“ gewissermassen grossflächig-stimmungsvoll inszenieren und wiedergeben; und ebenfalls nicht, indem sie in ihrer Arbeitsweise selbst den Zufall oder Alltag zum Prinzip erklären. Sondern vielmehr zeigen sie Erscheinungen des Zufälligen und Alltäglichen als Anlässe der Erkenntnis, präzise reduziert auf jenen Punkt des Aufmerkens. Die künstlerischen Arbeiten „erschaffen“ keine Welt, sondern verweisen auf eine Welt, die besteht, sie zeigen uns den „Fang“ eines Vorgehens, das Fragment, welches eine Bewegung einzubringen vermochte.

Unsere Wahrnehmung digitalisieren wir, um das „Ganze“ wahrnehmen zu können, möglichst rasch eine Gesamtbedeutung zu erfassen, welche unserer Orientierung, dem weiteren Vorgehen, dienlich ist.

Das „Halbe“ hingegen birgt die Qualität einer tatsächlichen Erkenntnissuche, eines individuellen Strebens nach Erkenntnis. Und mit der Erkenntnissuche wiederum setzt immer auch Verlangsamung ein; es bestehen noch keine geübten Handgriffe, die zeitsparend zum Einsatz kommen können.

Es interessieren daher auch die fehlgeschlagenen Kunstwerke und die dilettantischen Kunstwerke, deren „Ergänzung“ ausbleibt. Weil sie erzwungenermassen etwas begriffen haben. Wie das Genie sich einmischt in die Tätigkeit des Künstlers können sich auch die Begrenztheiten einmischen in seine Tätigkeit. Wenn wir uns bloss bewegen.

Wir sprechen ja gerne vom Kunstwerk als von einem autonomen Gegenüber, ähnlich einer Person, mit welchem wir uns Zeit nehmen sollen, in Kontakt zu treten, uns auseinanderzusetzen. Und wie die Unvollkommenheiten und Widersprüche eines Menschen können auch die Unvollkommenheiten und Widersprüche eines Kunstwerks den Blick sehr weit öffnen. Sie ermöglichen den Schritt, uns als Betrachter selbst zu beteiligen, an uns selbst den Anspruch zu stellen, zu verstehen, zusammenzufügen und nicht als Konsumenten einzutreten und auf das Spektakel zu warten.

„Slow Movement oder: Das Halbe und das Ganze“ bedeutet auch: Das Leben vor der Kunst und das Leben nach der Kunst.