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Theo Boettgers Petzer ist glatzköpfig und lechzt mit giftig herausgestreckter schwarzer Zunge und gierig starrenden Glubschaugen nach seinem nächsten Opfer.

Jede Generation und Gesellschaft hat ihre Petzer, Inquisitoren, Denunzianten, Spitzel, Verleumder und Mobber. Das Petzen kann aus Bösartigkeit, Neid und Rachsucht geschehen, als Aggressionsventil dienen, von moralischen Überzeugungen oder gesellschaftlichen Zwängen motiviert sein. Petzer richten sich immer gegen die eigenen Reihen und lassen sich von Arbeitgebern wie Behörden zur Überprüfung und Ahndung firmeninternen oder systemgefährdenden Fehlverhaltens instrumentalisieren. Angesichts des globalen Terrors und der Angst um den eigenen Arbeitsplatz verliert das Petzen immer mehr seinen moralischen Makel, wobei das Internet neue Dimensionen bietet: Auf Seiten wie www.verpetzt.de oder www.anschwaerzen.de kann jeder unter dem Schutzmantel der Anonymität zensurfrei seine Mitmenschen verraten, verurteilen und beleidigen, die Süddeutsche hingegen hat in ihrem Onlineforum eine „Petzen & Bewerten“ – Funktion eingeführt, um die tägliche Flut unqualifizierter Leserkommentare zu reglementieren.

Dem Petzer von Theo Boettger gesellen sich weitere zwielichtige Kreaturen bei: ein Nachbar mit verzerrt vernarbter Grimasse, zerstochenen Augen und gebleckten Zähnen; ein blutig Zerschlagener, gebückt auf dem nächtlichen Heimweg; ein gequälter Fleischhaufen am Bordstein dahingestreckt, über den rumpflose Passantenbeine teilnahmslos hinweg trampeln. Kaum will man sich durch den Vergleich mit der expressionistischen Großstadtmalerei der 1920er ausruhend Distanz schaffen, reißen einen Wortfetzen wie Plus, Neueröffnung und große Blase in das Szenario im Hier und Jetzt, das Johannes Schmidt treffend als „Pandämonium des modernen Lebens am Abgrund“ bezeichnet hat. Theo Boettger malt exzessiv, aggressiv und authentisch unschön die unbequem gewöhnlichen Randlagen unseres Alltags, mit viel Schwarz, Blutrot und umso weniger mit Farbenfreude und Lichtanteil. Dazu gehören die Kassiererin im Supermarkt, deren Leib von Einkaufswagen, verlängerten Öffnungszeiten und schreienden Bälgern zerrissen wird, wie die Familie, deren Standbeine in der Warteschlange auf dem Arbeitsamt mächtig ins Wanken geraten, bis hin zur ausufernden Massenhysterie im Kampf um Tiefstpreise bei der Neueröffnung des Media Marktes. Theo Boettger behandelt die Lebensbereiche der kapitalistisch Gescheiterten und Vernachlässigten, die ihn tagtäglich umgeben und persönlich angehen, mit Pinselhieben in Öl, grotesk verzerrten Parolen und wuchtigen Collage-Schichtungen. Er übersetzt Einzelschicksale wie infernogleiche Massenschlachten in Psychogramme auf Leinwand und Holz. Boettgers malerische Umsetzungen mögen apokalyptisch düster sein, die Zustände, die er beschreibt, sind jedoch der ganz normale alltägliche Wahnsinn. Sein künstlerischer Kommentar ist mehr persönlich als politisch, jedoch nie weltfern, sondern mitten im Leben – und nah am Abgrund.

Text: Carla Orthen

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Theo Boettger
Der Petzer