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Im Vorspann zu George Cukors Film „The Women“ aus dem Jahr 1939, der ganz ohne Männer auskommt, wird angekündigt: „it's all about men“. Eine Ausstellung mit dem Titel „Women“, die sich in einem weiten Bogen von Beginn des 20. Jahrhunderts bis in die Gegenwart spannt, erzählt nicht nur von Gesichtern und Körpern, sondern auch von unterschiedlichen, meist männlichen Auffassungen von Weiblichkeit und von Geschlechterrollen, inklusive überra-schender Wahlmöglichkeiten – und nebenbei wird auch eine kleine Geschichte fotografischer Stile vom Symbolismus über Neue Sachlichkeit bis zu dokumentarischem Stil und konzeptueller Fotokunst erzählt.

Sie setzt ein mit Ornamentalisierung: In einer Aufnahme von Annelise Kretschmer aus den 1920er Jahren wird das leicht geneigte Gesicht der jungen Frau von einem aufwendig verzierten, dachziegelartig angeordneten Spitzenrahmen so artifiziell umrahmt, dass es sich fast in seiner Umgebung auflöst – wenige Jahre später, in Erwin Blumenfelds Portrait von Aüty Lebeau aus dem Jahr 1932, spielt ein ungleich schlichterer Spitzenrahmen, der ein hochgeschlossenes dunkles Kleid artig verziert, nur die Nebenrolle: Im Mittelpunkt steht hier das ernste Gesicht der Frau, die nicht dargeboten, sondern deren Persönlichkeit eingefangen werden soll. Weitere divergierende Portraitauffassungen reichen von Alexander Rodchenkos heroisierend aus Untersicht auf-genommener „Junger Pionierin“ über Elfriede Stegemeyers „Selbstportrait“ – ein Gesicht, das trotz geschlossener Augen Klarheit und Entschiedenheit einer selbstbestimmten Frau zu vermitteln scheint bis zu einer jungen Frau, die Weegee in der 50er Jahren fotografiert hat: Da nicht zu erkennen ist, ob die Frau ihre Arme hinter dem Rücken freiwillig verschränkt hat, überlegt der Betrachter, ob sie nachdenklich oder schuld-bewusst schaut – Weegees Hang zu „Crime Scenes“ ist bekannt, so dass man bei der Bildbetrachtung einen vielleicht irreführenden Anfangsverdacht hat.

Wie grausam Paparazzi-Fotos sein können, verdeutlicht Rudolf Bonvies Arbeit „Romy S.“: Das Gesicht Romy Schneiders, ausgeschnitten wie eine Maske, scheint ihren im beigefügten Text formulierten Protest gegen die Verfolgung durch Bildjournalisten zu unterstreichen. Schneider, die sich freiwillig sehr gerne fotografieren ließ, beschreibt darin, wie sich Reporter als Krankenpfleger verkleideten, um ihr totes Kind zu fotografieren.

Bei den ganzfigurigen Fotografien in der Ausstellung gibt es ebenfalls ein sehr unterschiedliches Maß an Partizipation der Fotografierten - und sehr unterschiedliche Rollen, die die Protagonistinnen der Bilder spielen dürfen: Frantisek Drtikols Akt in geometrischer Dekoration erhält seine „Legitimation“ durch den Totenschädel in der Hand, der junge Körper fungiert als Teil einer Vanitasdarstellung; in der Mode-fotografie von Madame Yevonde aus dem Jahr 1930 scheint die schmale, rotgekleidete Frau in ein Billet doux vertieft – auch diese Inszenierung ließe sich als Allegorie lesen. Ungleich irritierender ist jedoch das androgyne Wesen, das sich erst im Blick auf die Bildunterschrift als „Frau eines Malers (Helene Abelen)“ entpuppt: August Sander hat sie in weißer Pumphose, Hemd und Krawatte, mit streng zurück-gekämmten Haar und Zigarette zwischen den Lippen, als mondäne und schillerne Frauenfigur, als ein frühes „icon of bohemian liberality“ erfasst, die ihre Wirkung kalkuliert. Naheliegend, dass sie als frühes Beispiel auf einer Transgender-net-Seite im Internet auftaucht, die sich an alle richtet, „die ihr zugewiesenes Geschlecht nicht als bindend empfinden“. Die Irritation, die dieses Bild auslöst, wird perfektioniert in den zwei Aufnahmen aus Oliver Siebers Serie „Boy meets girl“, bei denen Geschlechtsidentitäten als Prozess dargestellt werden und einfache Zuschreibungen unmöglich sind.

So ist der genussvolle Blick auf Frauenkörper, vorgeführt etwa von Josef Sudek, Helmut Newton oder Aaron Siskind, der zugleich die Beobachter beobachtet, lediglich die Folie, auf der die Ausstellung weibliche Identität befragt.

Kerstin Stremmel

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WOMEN

Künstler: Erwin Blumenfeld, Alexander Rodtschenko, Frantisek Drtikol, August Sander, Annelise Kretschmer, Wols , Madame Yevonde, Heinz Hajek-Halke, Elfriede Stegemeyer, Weegee, Aaron Siskind, Josef Sudek, Ed van der Elsken, Gerard P. Fieret, Marcel Broodthaers, Louis Faurer, Helmut Newton, Christian Skrein, Daido Moriyama, Michael Ruetz, Rudolf Bonvie, Jen Davis, Oliver Sieber