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Das Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg zeigt anlässlich der Aufarbeitung einer der weltweit umfangreichsten Sammlungen der Gebrauchsgrafik eine Ausstellung mit mehr als 350 Grafiken aus den Jahrzehnten der explodierenden Bilderwelt um 1900. Zu den Entwerfern aus Europa und den USA gehören führende Künstler von Henri de Toulouse-Lautrec über Alfons Mucha und Henry van de Velde bis zu Peter Behrens. Die Ausstellung präsentiert die Ergebnisse des großen Forschungsprojektes, ermöglicht durch die ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius, und zeigt entscheidende Entwicklungen des Historismus, der Art Nouveau, des Jugendstils, der Wiener Secession, des Expressionismus und der Art Déco in Europa und der neuen Werbung in den USA. Die Künstler behandelten im Medium Grafik vor allem moderne Themen wie Sport, Mode, Politik, Technik und Alltag und legten den Grundstein für das heute so selbstverständliche Corporate Design, für das Grafikdesign und für eine Ästhetik der Werbung. Plakate, Buchtitel, Kalender, Postkarten, Geschäftskarten und Briefbögen waren damals ein hoch aktuelles Thema.

Grafikdesign ist heute in einem Maße präsent, dass ein Alltag ohne Bilder nicht mehr vorstellbar ist. Werbung, Zeitschriften, Internet, Vieles im Fernsehen, aber auch Straßenschilder und andere notwendige Dinge – alle sind sie das Werk von Grafikdesignern. Das war nicht immer so. Noch vor rund 150 Jahren waren gedruckte Bilder im Alltag eine große Seltenheit. Als um 1890 farbige Drucke in alle Teile des Alltags vordrangen, gab es durchaus auch Kritiker. Warnend sprach man beispielsweise in den USA von einer „Chromo Civilization“, einer Farben-Zivilisation, die zu einer allgemeinen Oberflächlichkeit zu führen drohe.

Die Ausstellung und der begleitende opulente Prachtband handeln von der Bilderexplosion um 1890 und dem internationalen qualitativen Schub, den Buch- und Zeitschriftengestaltung, Plakatkunst und die zahlreichen Akzidenz-drucke nach 1895 erfuhren. Um 1910 war die Entwicklung weitgehend abgeschlossen. Die verschiedenen Bereiche der Werbung, vom kleinen Prospekt bis zum großen Plakat, die vielfältigen Geschäftsgrafiken, die schließlich zur Corporate Identity führten, oder auch das illustrierte und modern gestaltete Buch hatten sich in neuen und zukunftsträchtigen Formen etabliert. Zum ersten Mal erlaubt die groß angelegte Ausstellung einen umfassenden Überblick über die Gesamtheit der Entwicklungen, die gemeinsam die Basis zur heutigen Vielfalt des Grafikdesign legten.

Bedeutende Künstler waren an dieser Entwicklung beteiligt. Am Anfang standen William Morris und das Arts and Crafts Movement. Aus einer Ablehnung der Industriegesellschaft und der Entfremdung des Arbeiters suchte Morris die Rückkehr zum mittelalterlichen Werkstattbetrieb, in dem Entwurf und Ausführung in einer Hand lagen. Morris produzierte in seinen Werkstätten Tapeten und Stoffe und vor allem ab 1890 in seiner Kelmscott Press kostbarste Bücher. Er leitete das so genannte „Private Press Movement“ ein: Private Verlage und Druckereien boten eine kostbare und vorbildlich gestaltete Alternative zum industriell hergestellten Buch.

Ähnlich wichtige Anregungen gingen von der aufkommenden Plakatkunst aus. Initiiert von dem Pariser Jules Chéret hatte sie sich nach 1890 zu einer der interessantesten Kunstgattungen entwickelt. Junge Künstler wie Henri de Toulouse-Lautrec oder Pierre Bonnard versuchten, an dem „Poster Boom“, oder der „Affichomanie“, wie es in Frankreich hieß, teilzuhaben und sich mit spektakulären Plakaten einen Namen zu machen.

Mit Aubrey Beardsley und Alfons Mucha entstand in der Mitte der 1890er Jahre das noch heute gültige Bild des Jugendstil: Ideal schöne, jugendliche Menschen, umgeben von einem harmonischen und zum Ornament stilisierten Ambiente, verheißen eine unbeschwerte Zukunft. Die exquisite Stilisierung des Alltags führte durchaus auch zu einer Realitätsferne, die in befremdlichem Kontrast zur oft handfesten Funktion der Entwürfe steht: Viele von ihnen entstanden für Buchtitel, Plakate oder Einladungskarten. Die Sehnsüchte, an die die Hochglanzbilder der Werbung heute appellieren, waren offenbar bereits damals nicht anders und wurden entsprechend instrumentalisiert.

Mit den beiden Architekten und Designern Henry van de Velde und Peter Behrens hielt eine professionelle, das isolierte Bild übergreifende Gestaltung Einzug in die Gebrauchsgrafik um 1900. Van de Velde entwarf 1898 für den Lebensmittel-hersteller Tropon die erste Corporate Identity. Peter Behrens machte es ihm einige Jahre später mit seinen Entwürfen für die AEG auf einer sehr viel umfassenderen Basis nach. Um 1905 übernahmen in der Buchgestaltung, im Plakat und in vielen anderen Bereichen des Grafikdesigns professionelle Gestalter die Führung. Ludwig Hohlwein, Lucian Bernhard, Walter Tiemann und Emil Rudolf Weiß wären für das mittlerweile in dieser Hinsicht führende Deutschland zu nennen.

Die Namen vieler Entwerfer sind dem interessierten Laien nicht mehr geläufig. Als professionelle Grafikdesigner, Typografen und Plakatkünstler fallen sie durch das gängige Raster der Kunstgeschichte. Hatte es in den 1890er Jahren noch eine Einheit der Künste gegeben und wurde um 1900 das Gesamtkunstwerk als Ideal einer modernen Kunst angesehen, so trennten sich um und nach 1905 die Wege der angewandten und der freien Grafik. Auf den ersten Blick waren beispielsweise die krude in Holz geschnittenen Plakate und Prospekte der Brücke-Künstler von den elegant und farbenfroh auftretenden, professionell gestalteten Werbedrucken zu unterscheiden. In den USA und Deutschland kamen nach 1905 erste Werbeagenturen auf, die unabhängig von Druckereien und Verlagen ihre Dienste anboten und die ihrerseits junge Grafiker und Fotografen anstellten. Bereits vor 1910 entstand das noch heute verbreitete Fotodesign. Die individuelle und erkennbare Handschrift des Grafikers sollte bald zu einer Ausnahmeerscheinung werden.

Das Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg besitzt eine einzigartige Sammlung von Gebrauchsgrafik von über 20.000 Blatt aus den Jahrzehnten um 1900, darunter Plakate, illustrierte Buchtitel und Zeitschriften, Kalenderblätter, Postkarten und Briefköpfe. Erworben hat sie im Wesentlichen der Museumsgründer Justus Brinckmann.

Vor drei Jahren sagte die ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius zu, ein Projekt zu unterstützen, mit dem das erste Mal der umfangreichste Sammlungskomplex des MKG erfasst und erforscht werden sollte: die Gebrauchsgrafik der Jahrzehnte um 1900. Seither sind über 10.000 Grafiken sowie annähernd 2000 Plakate und Beispiele der Buchkunst inventarisiert worden. Rund zehn Prozent davon werden dank der großzügigen Unterstützung durch die ZEIT-Stiftung in dem umfangreichen Buch veröffentlicht.

Künstler in der Ausstellung: Aubrey Beardsley, Peter Behrens, Lucian Bernhard, Jules Chéret, Otto Eckmann, Eugène Grasset, Olaf Gulbransson, Thomas Theodor Heine, Ludwig Hohlwein, George Lepape, William Morris, Kolo Moser, Alfons Mucha, Emil Orlik, Théophile-Alexandre Steinlen, Henri de Toulouse-Lautrec, Henry van de Velde, Edouard Vuillard, Heinrich Vogeler und viele andere.

Bestandskatalog: Der opulente Prachtband mit über 1200 Abbildungen, davon über 70 Prozent unpubliziert, und Texten von Jürgen Döring und Holger Klein-Wiele erscheint im Hatje Cantz Verlag, 512 Seiten, 68 Euro. Die Publikation fasst die Ergebnisse des Forschungsprojektes zusammen und bietet mit zahlreichen Abbildungen einen Überblick über die internationale Entwicklung des Grafikdesign mit Einführungen zu den wichtigsten Bereichen der Gebrauchsgrafik. Es werden verschiedene Stilrichtungen, über dreißig exemplarische Gattungen, die wichtigsten Motive im Grafikdesign der beiden Jahrzehnte um 1900 sowie über 200 der führenden Grafiker in kurzen Biografien vorgestellt.

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Grafikdesign im Jugendstil
Der Aufbruch des Bildes in den Alltag
Kurator: Jürgen Döring

Künstler: Aubrey Beardsley, Peter Behrens, Lucian Bernhard, Jules Cheret, Otto Eckmann, Eugene Grasset, Olaf Gulbransson, Thomas Theodor Heine, Ludwig Hohlwein, George Lepape, William Morris, Koloman Moser, Alfons Mucha, Emil Orlik, Theophile-Alexandre Steinlen, Henri de Toulouse-Lautrec, Henry van de Velde, Edouard Vuillard, Heinrich Vogeler ...