press release

Jack Whitten: Jack’s Jacks
29.03.2019 bis 01.09.2019

„Wie setzt man einer Person oder einem Ereignis ein Denkmal, ohne dass man auf rein illustrative Mittel zurückgreift? … Ich versuche das, indem ich Material anwende, um diese Information zu übermitteln“ Jack Whitten

Vom 29. März bis zum 1. September, 2019 präsentiert der Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart die erste Einzelausstellung in einer europäischen Institution mit Werken des US-amerikanischen Künstlers Jack Whitten. Kuratiert von Udo Kittelmann und Sven Beckstette und noch in enger Absprache mit dem im vergangenen Jahr verstorbenen Künstler konzipiert, zeigt Jack’s Jacks zum einen wie Whitten über eine Zeitspanne von mehr als fünf Jahrzehnten die Grenzen der abstrakten Malerei immer wieder neu definierte. Da der Fokus der Ausstellung auf Gemälden liegt, die historischen Ereignissen und prominenten Personen gewidmet sind, bietet diese Auswahl zum anderen einen besonderen Blick auf die Zeitgeschichte sowie auf Persönlichkeiten, die Jack Whitten begleitet und beeinflusst haben, und somit Teil seines Denkens und künstlerischer Entwicklung wurden.

Geboren 1939 in Bessemer, Alabama, wächst der Afro-Amerikaner Jack Whitten in den Südstaaten unter den Gesetzen der Rassentrennung auf, eine Realität, die er als „amerikanische Apartheid“ bezeichnete. 1960 geht Whitten nach New York, um an der Hochschule Cooper Union Kunst zu studieren. In Manhattan kommt Whitten in Kontakt mit zentralen Figuren des Abstrakten Expressionismus wie Willem de Kooning, Franz Kline, Philip Guston, Barnett Newman und Mark Rothko. Außerdem befreundet er sich mit den afro-amerikanischen Künstlern Romare Bearden, Jacob Lawrence und Norman Lewis, die Whitten fördern und unterstützen. Seine Bilder in dieser Zeit sind geprägt vom Surrealismus sowie von gestisch-spontaner Abstraktion, weshalb er sich als abstrakt-figurativer Expressionist charakterisierte. Thematisch stehen Fragen der eigenen Identität im Vordergrund. Neben dem Interesse an den Diskursen von zeitgenössischer Kunst und Kunstgeschichte beschäftigt sich Whitten intensiv mit Philosophie, Psychologie, den Naturwissenschaften und neuesten Technologien–Feldern, die in der Folge gleichfalls seine Reflexion über Malerei beeinflussen. Eine wichtige Inspirationsquelle stellt weiterhin der Jazz dar. In den Clubs der Stadt besucht er regelmäßig Konzerte der regen und hochkarätigen Szene und trifft Musiker wie Max Roach, John Coltrane, Miles Davis, Thelonious Monk, Ornette Coleman und andere.

Um 1970 setzt ein Wandel in Whittens Schaffen ein. Seine Malerei wird experimenteller und prozessorientiert. In seinem Atelier baut er sich eine Arbeitsfläche auf dem Boden. Anstatt mit einem Pinsel verteilt Whitten mit einem selbstkonzipierten Malwerkzeug – einem riesigen Rakel mit einer Kante aus Gummi oder Metall – große Mengen von Acrylfarbe auf der flach liegenden Leinwand. Dadurch entstehen abstrakte Konstruktionen, deren Malvorgang in einem Zug erfolgt, so dass nicht mehr einzelne Pinselstriche in Beziehung zu einander stehen, sondern mit einer Geste eine malerische Fläche entsteht. Außerdem erkennt er, dass durch Trocknen und Zerschneiden Farbe selbst zu einem Collageelement werden kann. Durch diese malerischen Innovationen werden Whittens Bilder objekthafter und die materielle Beschaffenheit tritt in den Vordergrund. Der Künstler spricht davon, dass er Malerei macht und nicht mehr malt: „I make a painting, I do not paint a painting.”

1980 beginnt eine weitere Phase in Whittens Werk. Er kehrt zunächst zurück zur vertikalen Arbeit am Bild und überträgt die zuvor von ihm entwickelten Experimente auf die stehende Fläche. Den Ansatz, Farbe als Collagematerial zu nutzen, vertieft er ab Mitte der 1980er-Jahre: Mit Acrylfarbe nimmt er Abdrücke von gefundenen Gegenständen und Mustern ab, die er dann auf der Leinwand zu einer illusionistischen Collage zusammenfügt. Von wiedererkennbaren Strukturen Abstand nehmend, konzentriert sich Whitten mehr und mehr auf geometrische Formen, die er aus der getrockneten Acrylfarbe schneidet. Mit diesen Stückchen setzt er seine Bilder wie Mosaiksteine zusammen, eine Ästhetik, die charakteristisch für sein spätes Schaffen ist.

Die Ausstellung wird ermöglicht durch die Freunde der Nationalgalerie.