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Olga Czewska "Schattenwelten"
Photographie/Malerei/Skulptur
Eröffnung: 22.September 2017 18.00 Uhr
Ausstellung: 23.9.2017 bis 16.10.2017
Öffnung: Dienstag – Sonntag 12:00 – 19:00 Uhr, Montag geschlossen

Bildwerdung des Essentiellen

„Die Möglichkeit, etwas zu vereinfachen bedeutet, das Unwesentliche wegzulassen, damit das Wesentliche zum Ausdruck kommt.“ (Hans Hofmann)

Galten Schatten in der Darstellung über viele Jahrhunderte als Elemente der klaren Verortung von Objekten im Raum, so hebt Olga Czweska diese Wahrnehmungstradition grundsätzlich auf. Die Schatten bestätigen nicht mehr die Anwesenheit von festen Körpern, sondern erhalten nun in ihrer selbständigen Gestalt eigene Präsenz im fotografischen Abbild. Auch Czewskas Malereien zeigen ungegenständliche, gleichwohl einfache Formen. In klarer Kontur gegen einen leeren Hintergrund gesetzt, weisen sie in sich gekratzte Strukturen und Chiffren auf, die geheimnisvoll und rätselhaft bleiben. Amorphe Formen interagieren mit der leeren Fläche, ihre Gestalt scheint sich aus dem Nichts heraus entwickelt zu haben. In ihrer elementaren Einfachheit verweisen sie auf japanische Bildvorstellungen, denen zufolge ein Werk erst dann Gültigkeit hat, wenn nichts mehr weggelassen werden kann. Gleichermaßen scheint es, als erhielten prähistorische Zeichen neue Gegenwart, als teile sich universelles menschliches Wissen auf diese Weise mit. Dabei entzieht sich das Gesehene konsequent der Versprachlichung – Czewskas Bildwerke bewegen sich außerhalb der begrifflich fassbaren Welt. Dies gibt auch Hinweis auf ihr stetes Interesse an Musik – als Begleiterin im Schaffensprozess wie auch im Zitat im Bild; ist doch insbesondre die Musik eine Kunstform, die außerhalb der Sprache verortet ist.

Das Gesehene in seinem vieldeutigen, kulturübergreifenden Gehalt verbindet sich mit der Imaginationsbereitschaft, mit den Empfindungswelten der Betrachter. Die Werke werden im Akt der Betrachtung zum lebendigen Gegenüber – vermittels der lapidaren, einfachen Formen werden allgemeingültige Zusammenhänge erfahrbar: Sie verweisen auf das Ineinander von Vergangenem und Gegenwärtigem, sie künden von der gemeinsamen Wurzel aller kulturellen Äußerungen der Menschheit. Alles scheint mit allem untrennbar verbunden, verwoben.

In diesem raum- und zeitlosen Kontinuum sind schließlich auch die konventionellen Methoden der Bilderzählung bedeutungslos geworden. Olga Czewskas Arbeiten liefern keine Geschichten und Informationen mehr – es sind Gegenbilder zu denjenigen, die Realität eindeutig festlegen möchten. Dies gilt in besonders spannungsvoller Weise für die Fotografie, deren Objektivitätsanspruch das Medium seit jeher definiert hat – hier wird ihr neue, gänzlich veränderte Funktion zuerkannt. Außerhalb eines kommentierenden und wertenden Zusammenhangs entsteht ein nunmehr in veränderter Weise zu deutender Bildraum. Tatsächlich vermag der Kunstgriff der Reduktion wie der der Unschärfe dem

Bildgedächtnis etwas hinzuzufügen: Die sich der Objektivierbarkeit, der realitätsorientierten Wahrnehmung produktiv entziehenden Werke vermögen es, vorgewußte, mythisch geprägte Vorstellungsräume zu beschwören; sie beziehen sich auf elementare, überzeitliche und überindividuelle Erfahrungswelten. Olga Czewskas Bilder fragen nach dem Wesentlichen menschlicher Erkenntnis. Diese Werke ermöglichen es uns, hinter die Dinge zu sehen und zum Essentiellen vorzudringen. Sie sind in dem Sinn spirituell, als sie in ihrer Loslösung vom Dinglichen eine geistige Verbindung zum Transzendenten, zum Unendlichen schaffen.

Und schließlich: Indem die Künstlerin dem Ungreifbaren bildliche Form verleiht, reflektiert sie gleichermaßen die Möglichkeiten ihrer Medien – die der Fotografie ebenso wie die der Malerei, der Skulptur und der Zeichnung. Das Gestaltlose erhält dinghafte Anwesenheit nur mit den Mitteln der Kunst. Hier beginnt es in seiner Verbindung mit dem Betrachter zu leben – und neue Erfahrungs- und Erkenntnisräume können erschlossen werden.

DR. GABRIELE HIMMELMANN