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Seit mehr als 60 Jahren widmet sich Tess Jaray in ihrer formal reduzierten Malerei der Analyse der Beziehungen zwischen Malerei und Architektur, zwischen Bild und BetrachterIn. Mit Return to Vienna: The Paintings of Tess Jaray zeigt die britische Künstlerin mit österreichischen Wurzeln ganz bewusst keine retrospektive Ausstellung, was angesichts ihrer langen künstlerischen Tätigkeit durchaus spannend gewesen wäre. Vielmehr ist eine Auswahl von 25 Werken zu sehen, die zum überwiegenden Teil in den letzten Jahren entstanden sind und aktuelle Fragestellungen in Jarays Arbeit beleuchten wie ihre Auseinandersetzung mit dem Topos des runden Bildes in der Kunstgeschichte.

Begleitet werden die jüngeren Bilder von einer Gruppe von fünf Gemälden aus den 1960er-Jahren, der Schaffensperiode, in der Jaray zu ihrer unverwechselbaren künstlerischen Sprache fand: einer gegenstandslosen, formalistischen Malerei, die mit geometrischen Grundformen, Mustern, Wiederholung, Serialität, Präzision und Geradlinigkeit die Beziehungen zwischen Malerei und Raum, Farbe und Oberfläche, Form und Inhalt, Wahrnehmung und Emotion auslotet.

Jarays künstlerische Einflüsse sind vielfältig und mit ihrer ungewöhnlichen Biografie verbunden: Als Kind jüdischer Emigranten wuchs die 1937 in Wien geborene Künstlerin ganz selbstverständlich mit der Kultur ihrer Eltern auf, die diese in ihrer neuen Heimat England weiterhin pflegten.

Klimt, Schiele, Kokoschka waren für die Künstlerin ebenso prägend wie ihre spätere Auseinandersetzung mit dem deutschen Expressionismus und als Studentin mit dem amerikanischen abstrakten Expressionismus. Für die Entwicklung ihres eigenen Stils waren zwei kulturelle Begegnungen über die Jahrzehnte konstante Quellen der Inspiration und der Auseinandersetzung und beide zeichnen sich auch in den ausgestellten Werken ab: Zum einen ist das ihre Beschäftigung mit der Malerei und Architektur der italienischen Renaissance, allen voran ist hier der Maler Piero della Francesca zu nennen, zum anderen ihre Faszination für islamische Kunst, die sie in den 1980er-Jahren auf Reisen nach Marokko und später Syrien und Jordanien erkundete. Diese Einflüsse stellen sich nicht unmittelbar im Werk dar, sondern werden von Jaray auf intellektueller, emotionaler und intuitiver Ebene transformiert und in ihre charakteristische Formensprache übersetzt.

Die meist großformatigen Bilder in der Ausstellung spielen mit geometrischen Grundformen, einfachen Mustern, harmonisch aufeinander abgestimmten Farbfeldern oder starken Farbkontrasten. Sie zielen auf visuelle Effekte wie räumliche Illusion, Nachbilder oder optisches Flirren ab und bieten zugleich sinnliche wie geistige Anregung – kurz: sie fordern die konzentrierte Betrachtung ein. Die Titel bieten interpretative Einstiegshilfen, sie können deskriptiv sein wie Seventeen Small Squares (2018), einen künstlerischen Forschungsprozess nahelegen wie Discovery & Proof (2018), Architekturbezüge andeuten (Citadel, 2017) oder eine Stimmung evozieren wie Victory (2019).

Die Zeichnung als Studie, Skizze und Entwurf ist für die Künstlerin ein unverzichtbares Werkzeug für ihre Malerei, ihr umfangreiches druckgrafisches Werk und ihre Platzgestaltungen im öffentlichen Raum. Das zur Ausstellung erscheinende Künstlerbuch gibt einen umfassenden Einblick in ihr zeichnerisches Oeuvre zwischen 1960 und 2000.

„Im ganz und gar intuitiven Prozess des Zeichnens kann eine Linie oder Form plötzlich eine Bedeutung annehmen, die sich entfalten lässt. Diese Zeichnungen sind in gewisser Weise eine Archäologie des Unbewussten. Ein Verfahren, auf dem Papier Entdeckungen zu machen, die sich malerisch entwickeln lassen. Paul Klee sprach in einer berühmt gewordenen Formulierung von der ‚Kunst, Striche spazieren zu führen‘. Ich würde noch weiter gehen und sagen: Für mich ist es die Spur einer Reise mit dem Stift.“ (Tess Jaray)

Tess Jaray, 1937 in Wien geboren, lebt und arbeitet in London.

Das Ausstellungsprogramm wird vom Vorstand der Secession zusammengestellt. Kuratorin: Bettina Spörr