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09.02.2020 - 06.12.2020

JSC ON VIEW: WORKS FROM THE JULIA STOSCHEK COLLECTION

Basel Abbas & Ruanne Abou-Rahme, Thomas Demand, Beatrice Gibson, Arthur Jafa, Sigalit Landau, Adam McEwen, Colin Montgomery, Taryn Simon, Hito Steyerl, Tobias Zielony

Im Fokus der aktuellen Ausgabe von JSC ON VIEW stehen Werke aus der JULIA STOSCHEK COLLECTION, die sich mit gesellschaftspolitischen Themen auseinandersetzen. Die Ausstellung zeigt sieben Video- und Filmarbeiten und acht Fotografien von elf internationalen Künstler*innen im Düsseldorfer Sammlungsgebäude. Der Schwerpunkt liegt dabei – neben zeitbasierter Kunst – auf dem ebenfalls stark in der Sammlung vertretenen Genre der Fotografie.

In unserer Gegenwart, die von politischer Instabilität und gewaltsamen Konflikten geprägt ist, blicken die ausgewählten Arbeiten thematisch nicht nur auf vergangene politische und geschichtsträchtige Orte sowie gesellschaftsrelevante Ereignisse zurück, sondern dokumentieren aktuelle Formen von territorialen Machtmechanismen und individuellem politischen Widerstand. Einzelne Personen und Gruppen, die mit Aus- und Abgrenzung konfrontiert sind, werden dabei in den Mittelpunkt der Arbeiten gestellt und in ihrer Vielfalt und Differenz sichtbar. Zudem stellen die Werke Alternativen und unkonventionelle Zufluchtsorte vor, um mit den politischen und sozialen Unsicherheiten unserer Zeit umzugehen.

Reflektiert wird in den Werken darüber hinaus stets das Medium selbst – der Authentizitätsanspruch von Bildern im digitalisierten und globalisierten Zeitalter. Die fotografischen und zeitbasierten Werke verdeutlichen, wie Bilder manipuliert, inszeniert und über das Internet und die Massenmedien verbreitet werden. Sie decken somit auf, wie die Grenzen von Fakt und Fiktion verschwimmen, Bilder zu Ikonen avancieren und Eintritt ins kollektive Bildgedächtnis finden.

So ist Thomas Demands wohl bekannteste Fotografie Badezimmer / Bathroom (1997), die auf das Magazincover des Stern zum Fall „Uwe Barschel“ zurückgeht (1987), eine zentrale Arbeit der Ausstellung. Während in der Originalfotografie der Leichnam des Politikers zu sehen ist, fehlt dieser in Demands aufwendig hergestelltem Papiermodell des Badezimmers, das er anschließend abfotografierte. Demands Interesse gilt weniger der Affäre selbst, als der Tatsache, dass diese durch das Medium Fotografie bestimmt wurde: Mit den Fotos des Reporters, der den leblosen Politiker fand und ablichtete, wurde zum ersten Mal ein vermeintlicher Selbstmord auf der Titelseite des Stern abgebildet. Dadurch wurden sie zu ikonischen Bildern, die sich in das kollektive deutsche Bildgedächtnis einbrannten.

In APEX (2013) lässt Arthur Jafa bekannte Motive aus der Jazz- und Popkultur und Bilder marginalisierter Kulturformen gegeneinander laufen. Die Videoarbeit ist eine rasante Abfolge von Found-Footage-Material, stark rhythmisiert und synchronisiert zu elektronischen Techno-Beats des Detroiter DJs Robert Hood. Der Künstler kombiniert u. a. Bilder von Musikikonen wie Jimi Hendrix oder Bob Marley, von Kunstfiguren wie Mickey Mouse oder Felix the Cat mit verstörenden Aufnahmen von Mord, Sklaverei und Diskriminierung von Schwarzen Menschen. APEX thematisiert die Geschichte und Gegenwart Schwarzer Kultur und den Versuch, die „Kraft, Schönheit und Verfremdung“ (Arthur Jafa) der afroamerikanischen Musik auf den Film zu übertragen.

In November (2004) folgt Hito Steyerl den verschiedenen Lebensphasen ihrer Freundin Andrea Wolf, die sich als Revolutionärin der PKK anschloss und 1998 im Kampf gegen die türkische Regierung ums Leben kam. Anhand der Biografie von Wolf untersucht November (2004) die vielfältigen Verflechtungen zwischen territorialer Machtpolitik und individuellen Formen von Widerstand sowie das zunehmende Verwischen der Grenzen zwischen Fakt und Fiktion im globalisierten Zeitalter.

Ebenfalls um Realität und ihre Inszenierung geht es in der Fotoserie The Innocents (2002) von Taryn Simon. Die Künstlerin porträtierte zu Unrecht verurteilte Gewalttäter, deren Unschuld nachträglich durch DNA-Tests bewiesen wurde, an Orten, die mit ihrem Fall in Verbindung stehen. In Abkehr vom fotografischen Realismus spielt Simon in ihren aufwendig inszenierten Bildern mit den verschiebbaren Grenzen von Wahrheit und Konstruktion, die sowohl in Strafprozessen zwischen Anklage und Verteidigung als auch in der Fotografie, in der selbst das genaueste Abbild nie der Realität entspricht, unsere Urteile begründen. Zugleich wirft die Künstlerin über die Geschichten der Individuen Schlaglichter auf ein fragwürdiges rechtsstaatliches System, in dem soziale Unterschiede ungleiche Bedingungen bedeuten.

Tobias Zielonys Fotoanimationsvideo Maskirovka (2017) stellt mit seinen Protagonistinnen wiederum die junge LGBTQI-Community Kiews in den Mittelpunkt, und kombiniert ihre Aufnahmen mit der Medienberichterstattung über die Euromaidan-Proteste. Der Titel der Arbeit verweist auf die gleichnamige Tradition der russischen Kriegsführung, die durch Maßnahmen wie Täuschung, Tarnung, Leugnung und Desinformation geprägt ist. Maskierungen dienten auch den Demonstrantinnen der Maidan-Bewegung als Mittel zur Identitätsverschleierung, in der Kiewer Partyszene sind sie eine beliebte Verkleidung. In dieser Verbindung ist Zielonys Arbeit eine Gegenwartserzählung über die Zufluchtsorte der queeren Identitäten der Kiewer Techno-Szene inmitten einer von Gewalt, Repression und Umbruch geprägten Öffentlichkeit – der Ukraine im Bürgerkrieg.

KÜNSTLER*INNENLISTE
Basel Abbas & Ruanne Abou-Rahme, Thomas Demand, Beatrice Gibson, Arthur Jafa, Sigalit Landau, Adam McEwen, Colin Montgomery, Taryn Simon, Hito Steyerl, Tobias Zielony