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Summertime – so lautet der ungewöhnliche Titel der neuen Ausstellung in der Galerie m Bochum, die passend zur Jahreszeit kommt und eine Entdeckungsreise jenseits des Alltags verspricht.

Eine Vielfalt an künstlerischen Positionen sprengt all zu kategorische Begrifflichkeiten und bietet dem Besucher Beobachtungen und Erfahrungen auf unterschiedlichsten Ebenen. Zentrale Themen sind Reflexion und Selbstreflexion – des Künstlers, seiner Kunst und des Betrachters. Ausgehend von multimedialen Werken entwickelt sich die Ausstellung zu einem Kunstraum, in dem die sinnliche Wahrnehmung dominiert und die jeweiligen Medien als solches thematisiert oder gar überwunden werden. Gleichzeitig entsteht ein komplexer Dialog zwischen den verschiedenen Gattungen untereinander und mit dem Betrachter.

Erstmals zeigt die Galerie m Bochum einen Videoraum der Berliner Künstlerin Melanie Manchot, die New Yorker Passanten mit Ihrer Überlegung „I wonder whether you would give me a kiss“ konfrontiert und damit erstaunliche Reaktionen provoziert. In der Videoinstallation von Thomas Florschuetz wird das Auge des Künstlers zum Motiv. Auf insgesamt drei Bildschirmen bewegen sie sich scheinbar unabhängig voneinander und entwickeln ein seltsam anmutendes Eigenleben. Es kommt zu einem Wechselspiel zwischen betrachten und betrachtet werden, ein Thema, das auch in der gezeigten Fotografie von Lucinda Devlin im Mittelpunkt steht, bei der verblüffender Weise die Kamera auf den Betrachter gerichtet ist. In Six-pack I (Diptych) kombiniert Mischa Kuball Fotografien und Leuchtkästen zu einer faszinierenden Einheit, die den gewöhnlichen medialen Blickwinkel umkehrt und das Instrument der Bildprojektion zum Bildinhalt befördert. Yannick Koller konterkariert dagegen den „klassischen“ Produktionsprozess von Fotografie, indem sie 8mm-Filme als Ausgangspunkt ihrer Werke verwendet. Die Wandinstallation Holbein – Adieu von Ger van Elk bringt ebenfalls die statischen Gattungsbegriffe der Kunstgeschichte ins Wanken. Der Künstler verbindet in seinen „bewegten Bildern“ Fotografie, Film und Gemälde zu einem poetischen Zusammenspiel. Gleichzeitig thematisiert er mittels Einbindung kunsthistorischer Zitate die eigene Vergänglichkeit – ein Thema, das auch in der Wandinstallation von Carla Guagliardi zum Ausdruck kommt. Nam June Paik, der als Begründer der Video-Kunst gilt, bildet schließlich mit seiner Installation eines auf einer bunt bemalten Staffelei angebrachten Monitors aus dem Jahr 1984 den Übergang zu den malerischen Werken der Ausstellung.

Zeit und Immaterialität, die bei rein multimedialen Arbeiten als integraler Bestandteil gelten, offenbaren sich in den quasi zweidimensionalen Werken von Sybille Berger und François Perrodin als neue Dimensionen. So verliert sich in der Betrachtung der in unzähligen Schichten aufgetragenen roten Farbe von Sybille Berger der Eindruck von Materialität, so dass sich nach und nach ein subjektives Raumerlebnis einstellt. Die Hinterglasmalerei 63.5. von François Perrodin oszilliert zwischen kühler, eleganter Perfektion und der Tatsache, dass diese schwarze Fläche als Reflex des Raumes und als Spiegelbild des Betrachters fungiert. Wie in diesen beiden Werken wird auch in Lee Ufans Wandmalerei Resonance die Frage nach dem eigentlichen Ort des Bildgeschehens aufgeworfen. Durch den Wegfall des traditionellen Bildträgers und somit des bildbegrenzenden Rahmens werden bei ihm völlig neue Wahrnehmungsebenen außerhalb der visuellen Erfahrung angesprochen.

Die Fotografien von Aino Kannisto und Boris Savelev reflektieren dagegen die eigene Identität – in Form des Schattens und des Spiegelbildes – und verweisen auf psychologische und philosophische Aspekte der Existenz. Auch die kraftvolle Malerei von Jens Stittgen geht weit über die abbildende Funktion seines Mediums hinaus. Eine scheinbare chaotische Fläche wild gesetzter Farben aus der sich die Gestalt eines Menschen herausbildet und die jedoch nie ganz greifbar wird.

Eine Reflexion im doppelten Sinne findet in der Zeichnungsserie "Rounds" von Richard Serra statt. Zum einen kommt es durch den indirekten Farbauftrag mittel Frottage zu einer spiegelbildlichen Umkehrung, zum anderen erkundet der Künstler die technischen Möglichkeiten seines Mediums, der Zeichnung. Auch die Autorin Barbara Köhler entwickelt in ihrem speziellen Medium – dem der Sprache und der Typographie – eine spielerische reflexive Haltung, indem sie die Möglichkeiten der Wortschöpfung und Wortentwicklung in Form eines Buchstabenquadrats nutzt.

Die sinnliche und reflexive Qualität aller gezeigten Werke vermittelt komplexe Sichtweisen und Aussagen, die für den Betrachter unmittelbar erfahrbar sein können. Ein solches „Konkretwerden“ von Erfahrung, komplexer Kommunikation und Interaktion, nicht als „fertiges“ Erleben in Form von fest umrissenem Bildgeschehens wahrzunehmen, sondern als Prozess, ist die Herausforderung von Summertime.

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