short biography

Xian Wei Zhu (b. 1971, Qingdao/China) lives in Beijing, Stuttgart and Dusseldorf as a painter and draftsman and as visiting professor in YunNan. In 2016 he founded the "international workshop otherwhere" cooperating with Academy of Art, YunNan in China. He studied art at the Academy of Art in Hangzhou, China and the Kunstakademie Stuttgart, Germany with Cordula Güdemann. He had solo exhibitions in the following art institutions: Kunstverein Ludwigsburg; Hohenloher Kunstverein, Langenburg; Gallery Bechter Kastowsky, Vienna; Galerie Tobias Schrade, Ulm; Gallery Vayhinger, Singen; Gallery Philine Cremer, Dusseldorf; art-space Essen; Alienation of Affections, Pyo Gallery, Los Angeles, USA ; amongst others. He is represented in the collections of the Staatsgalerie Stuttgart, Wemhoerner Collection, Ellwanger & Geiger Stuttgart Bank, Hypo Vereinsbank Stuttgart, Regierungspräsidium Stuttgart, Museum Angerlehner Collection, Wels, Baden-Württemberg Collection, Stadt Ahaus Collection, Stadt Singen Collection and in private collections. In 2014, Xianwei Zhu was awarded the main prize of the 28th Art Prize of the Kreissparkasse Esslingen-Nuertingen, Germany.

contact:
dadazhu2000@yahoo.de

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Yi Sun 
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Timeless. Hommage an Friedrich Hölderlin

COLD MOUNTAIN Performance at Altes Feuerwehrhaus, Stuttgart

beyond silence

cold mountain

lost in utopia

by the river

a letter to a friend

Xianwei Zhu in his studio

only in german

Timeless. Hommage an Friedrich Hölderlin
von Günter Baumann
Broschüre zur Hoelderlin-Ausstellung 2018

Das Schaffen von Xianwei Zhu kann man als Prozess der Selbstverortung bezeichnen. Für einen in Qingdao, China geborenen Maler, der ein Kunststudium sowohl in seinem Heimatland als auch an der Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart absolviert hat und seitdem zwischen Stuttgart und Peking, mittlerweile auch in der Region um Düsseldorf unterwegs ist – nicht nur physisch, er lebt und arbeitet hier wie dort, sondern auch in Gedanken: die klassischen Zeiten heraufbeschwörend, um seine gegenwärtige Präsenz zu erkunden und abzusichern. Es geht um Heimat in einer globalisierten Realität. Der ehemalige Güdemann-Schüler entzog sich dem Gefühl des allseits Unbehausten zunächst figurativ. Von einem teils satirischem, teils skurrilen Kindchenmotiv aus, das dem Staunen über eine fremde Welt Ausdruck verlieh, gerieten die Protagonisten zunehmend erwachsener, weniger heroisch als – scheinbar, wenn nicht absichtsvoll: – ungewollt komisch, sei es im Kostüm eines Kaisers oder eines einsamen Wanderers über dem Nebelmeer.

Von dort war der Schritt nicht weit zur Landschaftsmalerei, die das Werk Xianweis seit einigen Jahren prägt. Was angesichts der postromantischen Spurensuche und des Hangs zur Zen-Philosophie als Weltflucht gedeutet werden könnte, ist in Wahrheit der komplexe Versuch, in die Wesensstruktur des unerschütterlichen ostasiatischen Denkens und der vielberufenen romantischen Seele vorzudringen. Dass er beides vereint, ist die Stärke seiner Malerei, die eben nicht rückwärtsgewandt ist, sondern mit den verinnerlichten Bildern früherer Epochen eine postmoderne Perspektive einzunehmen. Dem asiatischen Betrachter kommt die Minguo-Zeit in den Sinn, wie dem mitteleuropäischen Betrachter unweigerlich Caspar David Friedrich einfällt – die nicht nur räumlich, sondern auch zeitlich so weit voneinander entfernt sind, dass es schnell einleuchtet, wie wenig es um reale Adaptionen geht.

Xianwei Zhu hat die Dichtung des zen-buddhistischen Tang-Dichters Han-Shan vor den Bildern der deutschen Romantik hinterfragt, und er hat diese mit der Tradition der ostasiatischen Tuschemalerei konfrontiert. Darüber hinaus strebte er danach, sowohl die asiatische Denkwelt wie den romantischen Geist durch die Brille Martin Heideggers (wieder) zu entdecken bzw. neu zu erfinden. Das Ergebnis macht sich im Werk des Pendlers zwischen den Welten bemerkbar – und in Ausstellungstiteln, die auf das nachhaltig Fremde im gegenwärtigen Heimatempfinden genauso thematisieren (»Anderswo«, Wien 2016), wie sie das Utopische einer konkreten Verheimatung herausstreichen (»Bewölkte Utopie. Hohentwiel versus Hanshan«, Singen 2015).

»Timeless« ist die jüngste Ausstellungs- und Werk-Erkenntnis Xianwei Zhus, die mit Hilfe der ans Absolute grenzenden Sprache Friedrich Hölderlins alle zeitlichen Barrieren hinter sich lässt. Dass immer noch die chiffrierte Natur Caspar David Friedrichs hereinscheint, ist dem Ansinnen geschuldet, Hölderlin aus seiner Zeit zu verstehen, doch geht es dem Künstler darum, dessen Bildsprache mit dem eigenen Kosmos zu vergegenwärtigen. Die Figuren, die Xianwei immer wieder bis zum Verschwinden bringt, gleichen Boten aus der Vergangenheit, die mehr und mehr überflüssig werden, wie sich die romantische Vorlagenwelt ins Nichts im Sinne des Zen verwandelt. Die »gemalte Philosophie«, wie Peter O. Chotjewitz Xianweis Kunst bezeichnet hat, ist ein teils gestischer, teils kontemplativer Reflex auf die Lyrik Hölderlins, der zwar – nicht zuletzt über Heidegger – in Asien (insbesondere Japan) wohlbekannt ist, die der Xianwei aber bewusst auf Deutsch liest.

»Drin in den Alpen ists noch helle Nacht und die Wolke, / Freudiges dichtend, sie deckt drinnen das gähnende Tal. / Dahin, dorthin toset und stürzt die scherzende Bergluft, / Schroff durch Tannen herab glänzet und schwindet ein Strahl. «. Wie in »Heimkunft« ist diese Dichtung eine Fundgrube für ein modernes Naturgefühl, welches das Innerste des Ichs nach außen kehrt in eine landschaftliche Welt, die die Zerrissenheit unsrer Zeit, die Angst vor dem Verlust von Heimat sinnfällig vor Augen führt. Wenn Xianwei Hölderlins »Quell der Donau« folgt, ist der Fluss so konkret wie unbestimmt – ein bildgewordener Mythos, wobei die Landschaft bei Xianwei auch mal den vernebelten Blick in den Stuttgarter Kessel in ein donaugemäßes Tal verlegt. Zeit- und raumlos macht sich der Künstler auf die Suche nach sich selbst. In seinen jüngsten Bildern fällt sie zuweilen gedankenschwer aus, wenn er mit Hölderlin den »Ursprung« insinuiert, der in dem Gedicht »Die Wanderung« beschworen wird oder in der anzitierten »Heimkunft«. Doch auch die innerlich befreiten, nahezu absurd unbeschwerten Jahreszeitengedichte aus Hölderlins Spätwerk, die der geistig Entrückte zuletzt mit Scardanelli unterzeichnet hat, finden in Xianwei Zhus Malerei ihren atemberaubenden Widerhall – etwa dort, wo von der »hohen Luft« oder der »Tiefe des Bergs« die Rede ist. Der »Dichter« selbst schaut in einem der Bilder auf eine, seine, irrlichternde Welt, die auch in Asien verortet sein könnte.

Dr. phil. Günter Baumann ist 2. Vorsitzender, Ausstellungsleiter und Kurator des Böblinger Kunstvereins.

*

Vorbereitungen zur Ausstellung
'Timeless. Hommage an Friedrich Hölderlin'
von Tobias Wall

Droben in Höhen erfrischt, und waltet über Gebirgen,
Der gewähret uns bald himmlische Gaben und ruft
Hellern Gesang und schickt viel gute Geister...


Mitte Januar. Ein milder Wintertag ohne Schnee. Wir stehen auf einem Kohlacker auf der Oberensinger Höhe über Nürtingen. Xianwei Zhu und ich. Es riecht nach Erde und nach Kohl. Die Landschaft um uns ruht; in stillem Grün und kühlem Braun.

Xianwei plant eine Ausstellung mit seiner Malerei in Nürtingen. Er wünscht sich eine Hommage an Friedrich Hölderlin.
Ein chinesischer Künstler sucht die Begegnung mit Friedrich Hölderlin. Wie soll das gelingen? Gibt es einen Weg zwischen der tiefen, dunklen deutschen Romantik und der chinesischen Kunst? Xianwei fragt mich, ob ich ihn auf diesem Weg führe. Aber wie könnte ich das? Wer bin ich, dass ich einem Chinesen Hölderlin erkläre?

Nein Xianwei, führen, kann ich Dich nicht, aber gern kann ich Dich begleiten auf Deinem Weg zu Hölderlin. Wie wäre es mit einem Ausflug Richtung Nürtingen? Ein halber Wintertag in der Stadt und in der Landschaft seiner Jugend.
 Es ist nicht das erste Mal, dass sich Xianwei Zhu mit einer deutschen Geistesgröße auseinandersetzt. Vor über zehn Jahren kam er nach Deutschland, aus China mit einem abgeschlossenen Kunststudium. Aber er ging in Deutschland noch einmal auf die Kunstakademie, wollte die freie, westliche Malerei nicht nur praktizieren sondern auch verstehen und er erkannte, dass sich die Malerei ihm um so mehr eröffnete, als er sich mit der deutschen Kultur- und Geistesgeschichte auseinandersetzte. Besonders wichtig für ihn: die deutsche Romantik, die romantische Landschaftsempfindung. Hier spürte er Verbindungen zur traditionellen chinesischen Landschaftsmalerei und zur Jahrhunderte alten Poseie des Daoismus. Er entdeckte geistige Regionen, in deren Tiefe sich östliches und westliches Denken begegnen, z.B. in den späten Schriften Martin Heideggers, in seinen Texten zur Gelassenheit. 
In seiner Kunst sucht Xianwei Zhu einen Weg, auf dem westliche und östliche Traditionen zusammenfinden.

In deinen Thälern wachte mein Herz mir auf
Zum Leben, deine Wellen umspielten mich,
Und all der holden Hügel, die dich
Wanderer! kennen, ist keiner fremd mir.
- Hölderlin, Der Nekar
 Wir beginnen unseren Ausflug in der Stadt, gehen hinüber zum Nekarufer, dortin wo sich Hölderlin besonders gern aufgehalten haben soll. Wir schauen über das fließende Wasser, in dem sich Enten und Bleshühner tummeln. Knorrige alte Weiden, die ihre kahlen Äste ins Wasser legen. Der Blick hinüber auf Häuser und Gärten. Vom Fluss laufen wir in die Gassen des Städtschens, verwinkelte Fachwerkhäuser mitten drin die stolze Lorenzkirche, Pfleghof mit rotem Geblälk, Spuren alter stolzer Tage

Wenn im Thale, wo der Quell mich kühlte,
Wo der jugendlichen Sträuche Grün
Um die stillen Felsenwände spielte
Und der Aether durch die Zweige schien, 
... - Hölderlin An die Natur

Wir fahren hinunter ins Aichtal. Eine Straße durch den Wald bei Hardt, den auch Hölderlin liebte. Hier ist er gewandert, hat mit seinem Bruder Karl den Ulrichstein aufgesucht, den sagenumwobenen Felsen. Wir finden den Stein im Zwielicht des Laubwaldes, steigen hinunter vom Weg durchs feuchte Laub über entwurzelte Bäume, klettern um den Fels herum, suchen die Stelle, wo einst Herzog Ulrich sich versteckte. Steinplatten übereinander gestürzt. Mancher Besucher hat seinen Namen in den Stein geritzt. Wir steigen wieder hinauf an den Weg, wo sich eine Tafel mit Hölderlins Gedicht über den Ulrichstein befindet.

Hinunter sinket der Wald,
Und Knospen ähnlich, hängen
Einwärts die Blätter, denen
Blüht unten auf ein Grund,
Nicht gar unmündig
Da nemlich ist Ulrich
Gegangen; oft sinnt, über den Fußtritt,
Ein groß Schicksaal
Bereit, an übrigem Orte.
- Hölderlin, Der Winkel von Hahrdt.

Eine Zeit lang stehen wir vor den Worten und sprechen über ihren Sinn. „Ein groß Schicksal, bereit an übrigem Orte.“ Die Dichtkunst begleitet Xianwei schon immer bei seiner Malerei, besonders die von Han Shan, einem berühmten chinesischen Zen-Dichter und Naturphilosophen aus dem 7. Jahrhundert. Auch bei ihm: Schicksalstiefe Naturempfindung. Wie in der deutschen Romantik. Aus Han Sans Gedichtzyklus Kalter Berg:

Grüner Wildbach - klar der Quelle Wasser, 
Kalter Berg - weiß des Mondes Hof. 
Schweigende Erkenntnis, 
der Geist von selbst erleuchtet, 
die Leere schauend, 
geht Wahn in Stille über.
- Han Shan, Kalter Berg 147

Xianwei ist wieder durch die Büsche zum Felsen hinuntergeklettert, hat einen Zeichenblock ausgepackt und macht Skizzen aus verschiedenen Perspektiven. Ich gehe weiter, lass ihn mit dem Fels allein.
Später fahren wir wieder in Richtung Nürtingen; hinauf auf die Oberensinger Höhe. Stellen den Wagen ab und laufen hinaus auf die Felder. Es riecht nach Erde und nach Kohl. Die alten Linden. Xianwei und ich blicken über die Hänge hinunter auf Nürtingen.

Du stiller Ort! In Träumen erschienst du fern
Nach hoffnungslosem Tage dem Sehnenden,
Und du, mein Haus, und ihr, Gespielen,
Bäume des Hügels, ihr wohlbekannten!
- Friedrich Hölderlin, Nürtingen

Der Abend unseres Weges zu Hölderlin. Schön war es, die Orte zu besuchen, die er liebte. Aber man muss seinen eigenen Weg finden. Als Wanderer, als Künstler.

Die Leute fragen nach dem Han Shan Weg
Han Shan? Kein Pfad führt euch dorthin
Hier schmilzt das Eis auch spät im Sommer nicht
Im Nebel steigt die Sonne blaß wie der Mond
Und ich, wie ist es mir gelungen?
Mein Sinn ist nicht dem euren gleich- 
Wenn euer Sinn wie meiner wäre
Dann führte er auch euch hierher
- Han Shan, Kalter Berg 62


Tobias Wall ist Kunsthistoriker und lebt in Stuttagrt.

*

Zhu Xianwei. LOST IN UTOPIA
Günter Baumann spricht zur Eröffnung der Ausstellung im Werkstatthaus Stuttgart
Freitag, 27.09.2013 20:00 Uhr

Liebe Freunde der Kunst, lieber Xianwei, ich danke für die Einladung, hier in dieser anregenden Atmosphäre in ein Werk einführen zu dürfen, das in gewisser Weise Stimmungsmalerei ist und von daher wunderbar in das Ambiente des Werkstatthauses passt. Es dürfte zwar nicht so oft vorkommen, dass ein Kampfjet durchs Cafe jagt, aber im Nahblick verflüchtigt sich der gegenständliche Bezug im pastosen Spiel der Farben, die allenfalls um ihren Platz auf der Leinwand streiten müssen. Dabei ist es für Zhu Xianwei ohnehin unerheblich, ob er eine Schreibmaschine oder ein Flugzeug auf der Leinwand hat. Gerade die gegenständliche Malerei betreibt nichts als Illusion: Egal was wir zu sehen glauben – es ist nur Farbe. Was Xianweis Flieger angeht: Es ist gar nicht so selten, dass kriegerische wie spielerische Dinge als Zitate in seinem Werk immer wiederkehren – das sei hier nur erwähnt, weil in dieser Ausstellung derartige Doppelungen weitgehend ausgeklammert sind. Das Oeuvre ist enorm, sodass wir nur einen Ausschnitt sehen, der es jedoch in sich hat. Außerdem wäre es hier befremdlich, wenn der Bomber noch Unterstützung bekommen würde durch Panzer oder U-Boote, die tatsächlich zuweilen durch die Bilder Xianweis tuckern und tauchen – ein Cafe ist dann doch weniger geeignet fürs martialische Metier, auch wenn sich Xianweis Arbeiten dadurch auszeichnen, dass sie mit Augenzwinkern ausgeführt werden – bei seinen gemalten Kriegsspielen ist in der Regel der Sandkasten mitzudenken. Und zum Flugzeug komme ich noch.

Zunächst will ich mich um die Schreibmaschine kümmern, die das große Stillleben in dieser Ausstellung ziert. Sie fällt mir zum einen deshalb auf, weil sie die Malweise des Künstlers prächtig zum Ausdruck bringt: expressiv im Duktus, realistisch in der Wahrnehmung. Das bietet Xianwei die Möglichkeit, stellenweise in einen abstrakten Expressionismus auszuweichen, wie er andrerseits reale Motive in einen nahezu surrealen Kontext zu stellen vermag, der die Balance zwischen Abstraktion und Figuration hält. In den jüngeren Arbeiten fällt noch mehr als in den früheren auf, dass er auch Schrift einsetzt, gemalt oder gestempelt – auch das im Übergangsfeld von Fiktion und Dokumentation. Das Gemälde, von dem hier die Rede ist, heißt »Mahlzeit« und versammelt Dinge aus dem Atelier des Künstlers, das in die kleine Wohnung integriert ist. Es geht eng zu, Mahlzeit und Malzeit – ohne »h« – gehen da schon mal durcheinander, sodass man eine traumatische Szenerie vorfindet, die zur Entdeckungsreise einlädt. Der Rehkopf scheint mir nur auf Abwegen zum Thema zu gehören, wer weiß: auf jeden Fall ist nur die Jagdtrophäe zu sehen, wobei man den beruhigenden Eindruck bekommt, das Tier sei noch lebendig und würde nach dem Glas Wasser oder Wein schauen, das vor ihm auf einem Stuhl steht, vis-à-vis von der Schreibmaschine. Die schräg zur Bildfläche stehenden Stühle sind dieselben wir auf dem Bild »light«. Soweit könnte es also auch ein Interieur sein, etwa von einem Schriftsteller, der sich zwischen Getränk und Gedanke auf die nächste Geschichte einstimmt. Es kreist so manches ums Glas und um die Schreibmaschine herum. Im Angebot wären eine Abenteuergeschichte: der Reiter im Hintergrund, eigentlich müsste ich sagen: im oberen Bilddrittel, denn Xianwei verunklärt bewusst die Perspektive, um den realen Bezügen irreale Elemente beizufügen – der Reiter in vermutlich landschaftlicher Umgebung steht unwillkürlich für Western. Das ist schon insofern eine nette Beobachtung, als sich auch ein Eastern denken lässt: Unten sitzt nämlich ein Buddha mit einer explodierenden Zigarre im Mund – ob da die einschlagartigen weißen Detonationsspritzer herrühren, sei dahingestellt. Der »GLORY«-Schriftzug suggeriert zumindest eine Persiflage auf Actionkino oder ähnliches. Der hochhackige Damenschuh, der über die Comedy-Effekte fast übersehen wird, verweist auf ein anderes Thema: Erotik knistert quasi unterschwellig. Aber was soll’s: Bedenken wir, dass das Bild nicht »Malzeit« – ohne »h« – heißt, ob nun auf die Literaten- oder Malerphantasie bezogen, sondern schlicht »Mahlzeit«, sollten wir den schwebenden Löffel ernst nehmen und natürlich rechts oben die Münchner Würste, die nicht nur textlich eindeutig benannt sind, sondern auch eine bei aller Schemenhaftigkeit fast greifbare Realität haben, dass wir froh sein können, hier ein Café in tatsächlicher Nähe zu haben, selbst wenn es keine Weißwürstl im Angebot hätte. Bei aller Überfülle an weniger kulinarischen Details handelt es sich um ein Ess-Stillleben, das eine lange Tradition hat, man denke an die Beispiele aus dem 17. Jahrhundert, insbesondere aus den Niederlanden. Zhu Xianwei hat eine Bildsprache dafür gefunden, die ihn als meisterhaften Maler der Gegenwart auszeichnen. Denn selbst wenn ich unterstelle, dass die Motive mehr oder weniger zufällig gewählt sind, liest man das Bild als zeitgeistiges Fast-food-Arrangement, das den Essvorgang zur Nebensache deklariert. Hierfür würden auch die bürokratischen Stempelaufdrucke mit dem Schriftzug »Erledigt« sprechen.

Die Assoziationsvielfalt ist beeindruckend – die Bilder Xianweis lassen sicher weitere Zugänge offen. Der 1971 in Qingdao geborene Maler gehört zu einer recht jungen Generation von Künstlern, die mit wachsender Begeisterung im Westen wahrgenommen wird. Die Prägung durch das moderne China lässt sich auch bei Xianwei erkennen, doch verarbeitet er auch die westlichen Kultureinflüsse – ein Reflex mag das Rehpräparat einerseits und der Buddha andrerseits sein, wie sie in dem Mahlzeitenbild zu sehen sind. Womöglich schaut das an die deutsche Waldseligkeit erinnernde Tier auch am Glas vorbei zu dem kindlich-trotzig wirkenden Buddha hin, der schon im frühen Werk des Künstlers eine Verwandtschaft zu den anarchisch und doch putzig sich gebärdenden Kindsfiguren hatte. Bis in die lineare Feinstruktur tauchen mögliche Bezugspaare auf wie etwa der Bergzug in Blickrichtung des Reiters und die Hasenkarikatur links unten – nur ist da kaum zu klären, ob die Spuren nach Westen oder Osten führen. Dass Zhu nicht nur mit seiner Herkunft ironisch ins Gericht geht, sondern auch mit der westlichen Welt, zeigen die Grenzen der Waldeslust, wo sich doch gerademal ein ausgetopfter Rehkopf in die Lebenswelt gerettet hat. Xianwei nimmt den gesellschaftlichen Alltag hier wie dort aufs Korn, wohl wissend, dass er selbst dazu gehört. Das regelmäßige Pendeln zwischen beiden Kulturen führt dazu, dass er im Nirgendwo landet. Auf einem kleineren Gemälde steht eine Brillo-Kiste unter einem Bonsai-Baum (wenn ich es recht sehe), und das im Regen. Ich kenne ein älteres Bild von Xianwei, auf dem eines seiner asiatischen Kindsfiguren statt der Kiste gleichermaßen im Regen steht. Ich muss natürlich nicht darauf hinweisen, dass die Kiste eine Ikone der (westlichen) Kunstgeschichte zitiert: Andy Warhols berühmtes Initialwerk der Pop-Art. Zitate tauchen im Schaffen von Xianwei Zhu immer wieder auf – Sie erinnern sich, dass ich das Flugzeug im Café-Raum erwähnte, das an die graufarbigen Foto-Repliken Gerhard Richters erinnert.

Doch noch einmal zurück zur Standortbestimmung innerhalb der Utopie, die Ausstellung läuft unter dem Titel »Lost in Utopia«, der frühere Bildserien beziehungsweise Ausstellungstitel variiert: »Searchingfornoheaven«, »Eastwest«, »The storyunderSunlight« usw. Bezeichnend sind in diesem Bezug die Hemdenbilder, auf denen auch wieder die Bürostempel auftauchen wie »Qualität geprüft« oder »Erledigt«: eines hängt an einem Zweig, es weht ein wenig von der fernöstlichen Kirschblüte herbei, die anderen sind sauber zusammengelegt, aber mit Krawatte versehen. Man wechselt die Kulturen nicht wie Hemden, signalisieren uns diese Arbeiten. Unten ist ein Mensch im Hemd dargestellt, und aus diesem wächst ein blühender Zweig empor – statt eines Kopfes. Eindeutig westlich beeinflusst sind die postromantischen Landschaftsthemen, voller Melancholie, voller Gefühle der Einsamkeit. Man muss nicht einmal an den Wanderer über dem Nebelmeer von Caspar David Friedrich denken, um die Verbindung erkennen zu können. Auch hier kann man Parallelen zur zeitgenössischen Romantik-Begeisterung der europäischen Maler erkennen, nochmal als Beispiel Gerhard Richter. In der Tat befasst sich Zhu intensiv mit der deutschen Philosophie, insbesondere Nietzsche, und Literatur, ohne darüber Laotse oder die anderen asiatischen Denker zu vernachlässigen. Formal schlägt sich dieses Denken in der Komposition nieder – kalligraphische Elemente kann man entdecken, auch die großzügig-sparsame Platzierung der Figuren und naturhaften Details auf der Leinwand, ganz zu schweigen von fernen Silhouetten buddhistischer Tempel oder fremder Städte. Auf westlichen Arbeiten herrscht sonst oftmals ein Horror vacui vor: Diese Angst kennt Xianwei nicht, sicher jedoch die Existenzängste, die man wohl auch eher in der westlichen Gesellschaft vorfindet als in Asien. Andrerseits: »Die Verbotene Stadt« ist bei aller historisierenden Romantik doppeldeutig: Das machen die kaum zu erkennenden Kameras deutlich. Man müsste hier wie dort auch Lebenskünstler sein, um sich allein mit Kunst durchs Leben schlagen zu wollen.

Aber vielleicht ist er ja ein Lebenskünstler, dessen Humor immerhin sehr ausgeprägt ist. Parallel zu dieser Schau findet eine weitere Ausstellung Xianweis in Ahaus statt, die er frohgemut »Kaisers Wunderland« genannt hat. Ich erwähne sie deshalb, weil einige Bilder aus der Serie mit kaiserlicher Hauptfigur, naja: einzig präsenter Figur. Eins ist sicher, auch er ist lost in Utopia. Aber wir können uns ein Schmunzeln ob seiner Aktionen nicht verkneifen – mit Schwan steht er in einem Boot oder er gibt den Sänger am Mikrophon, hoch droben auf dem Berg, mit Sicherheit ohne Publikum… Es mag nicht standesgemäß sein oder sinnstiftend, aber der Kaiser tut etwas, und er tut es erhobenen Hauptes. Der Witz ist nicht nur individuell ausgeprägt, er wurde auch sehr in der akademischen Schule gepflegt – Zhu Xianwei studierte bei Cordula Güdemann, deren Schüler sich vielfach durch eine ausgeprägte, auch kritische Ironie einen Namen machten. Als bürgerliches Pendant kann man dem Kaiser die gegen eine gewisse Trostlosigkeit ankämpfenden Jedermanns einstufen: den Angler, die beschirmte Spaziergängerin, den Radfahrer. Der strampelt ins Nirgendwo – oder hat er angehalten? Immerhin ragt in der Ferne ein Berg auf, wie wir ihn der Form nach etwa von japanischen Holzschnitten her kennen. Bei Franz Kafka heißt es: »Es gibt ein Ziel, aber keinen Weg. Was wir Weg nennen, ist Zögern.«Kafka war nebenbei bemerkt keineswegs ein frustrierter Dichter, auch seine Ironie ist legendär. So kann man auch die vielen Skizzen auffassen, die Xianwei tagtäglich macht, meist auf vorgedrucktem Papier, das er mal expressiv, mal abstrakt und mal figurativ bemalt, beschriftet oder überstempelt. Drei davon sind hier zu sehen, jeweils liest man drauf: »Mein Land«, »Euro«, »satt« – in Verbindung mit dem zwiespältigen Lebensgefühl »Lost in Utopia« mag man das als Beruhigung oder Gefährdung betrachten. Mit dem Wunsch »satt« zu sein, komme ich in Gedanken noch einmal bei dem Gemälde »Mahlzeit« vorbei – und vertraue darauf, dass neben den geistigen Genüssen hier im Café auch für die kulinarischen gesorgt ist.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

  • 30. Jan 14. Feb
    Denken viel Akademie der Bildenden Künste, Stuttgart