15. Februar – 12. Mai 2024
ERÖFFNUNG Mittwoch, 14. Februar 2024, 19 Uhr
**MELIKE KARA. SHALLOW LAKES**
Melike Kara schafft Erinnerungsräume. Ausgehend von der Beschäftigung mit ihren familiären
Wurzeln werfen ihre Installationen Fragen von Identität, Migration und Sichtbarkeit auf. Mit
„shallow lakes“ präsentiert die Schirn Kunsthalle Frankfurt vom 15. Februar bis zum 12. Mai 2024
eine ortsspezifische, raumgreifende Arbeit der Künstlerin im Außen- und Innenraum ihrer
öffentlich zugänglichen Rotunde. Karas künstlerische Praxis umfasst ein breites Spektrum von
Medien, darunter Skulpturen, Fotocollagen und Malerei. Auf der Basis ihres seit 2014 stetig
anwachsenden Archivs von Fotografien aus verschiedenen privaten Quellen erforscht sie die
visuelle Kultur der kurdischen Diaspora. Großformatig verbindet sie fotografisches Material mit
abstrakten Gemälden, die Muster aus traditionell geknüpften oder gewebten Tapisserien
aufgreifen. Ihre künstlerische Bearbeitung der Fotografien durch Bleichmittel und der damit
verbundene Abstraktionsprozess bilden die Auseinandersetzung mit Wandel und Leerstellen in
einer spezifischen kulturellen Geschichte ab. In ihrer Ausstellung in der Schirn verbindet Kara
dieses mit eigens entwickelten skulpturalen Elementen, die auf die spezifische Architektur der
Rotunde Bezug nehmen.
Die Ausstellung „Melike Kara. shallow lakes“ wird gefördert durch die SCHIRN ZEITGENOSSEN
mit zusätzlicher Unterstützung durch die Dr. Hans Feith und Dr. Elisabeth Feith-Stiftung.
Dr. Sebastian Baden, Direktor der Schirn Kunsthalle Frankfurt, betont: „Melike Karas Installation
‚shallow lakes‘ bezieht sich auf die Verbindung des alltäglichen kulturellen Lebens zwischen
Heimat und Exil. Persönliche Fotografien und Motive, die von der heterogenen Geschichte und
Migration der Kurd*innen in der Diaspora zeugen, verwebt die Künstlerin einfühlsam zu einer
kollektiven Erinnerung. Sie eröffnet in der Schirn Rotunde einen Ort des Verweilens, einen Platz
für das soziale Gedächtnis und erschafft so auch eine neue Form von Sichtbarkeit.“
Solidarität, Spiritualität und Riten, aber auch Vertreibung und Traumata sind zentrale Themen in
Melike Karas Werk, das dem Bewahren der Kultur der kurdischen Diaspora gewidmet ist.
Grundlage ihrer Arbeit als Künstlerin mit kurdisch-alevitischen Wurzeln ist eine umfassende
Sammlung historischer und zeitgenössischer Aufnahmen von intimen Momenten wie
Familienfotos, Schnappschüsse von Mahlzeiten, Festivitäten, Landschaftsaufnahmen,
Wohnräume, Porträtfotografien und Dokumente, die die Schönheit alltäglicher Kultur
hervorheben.
In der Rotunde der Schirn schafft Kara ein begehbares visuelles Archiv, für das sie unzählige
dieser Aufnahmen verfremdet und zu einer raumübergreifenden Collage zusammenfügt. Die
Fotografien unterzieht sie einem materiellen Verfremdungsprozess, der sie wellig, verfärbt oder
verblasst erscheinen lässt, und sich wie ein melancholischer Schleier über die großformatigen
Reproduktionen legt. Die assoziative Aneinanderreihung der Bilder, die keine
zusammenhängende Erzählung vermittelt, sowie sichtbare Naht- und Klebestellen referieren auf
Diskontinuitäten und den fragmentarischen Charakter mündlich überlieferter Geschichten.
Karas Bildatlas erstreckt sich über die gesamte Ausstellung. Die Fensterfassade im Außenraum
der Rotunde zieren transparente Folien mit überlebensgroßen Porträts kurdischer Frauen
verschiedener Generationen: von den Anfängen des letzten Jahrhunderts bis in die Gegenwart,
als eine Galerie der Ahninnen. Unter ihnen befinden sich Karas Mutter und ihre Großmutter
Emine, die in den Arbeiten der Künstlerin immer wieder in Erscheinung tritt.
Die Installation umfasst zudem fünf achteckige Pavillons mit bebilderten Stoffdächern, die mit der
spezifischen Architektur der öffentlich zugänglichen Schirn Rotunde mit ihren acht Säulenpaaren
korrespondieren. Fünf flache 32-eckige Bodenskulpturen erinnern an Gewässer, kleine Seen, die
im Zusammenspiel mit den in die Höhe wachsenden pavillonartigen Gebilden den Eindruck eines
Gartens erwecken. Florale Gipselemente, die wie Blumen auf den Bodenskulpturen wurzeln,
verstärken das Gefühl, dass es sich hierbei um eine Art Ökosystem handelt. Seen gelten als
Reservoir für Flora und Fauna, wobei Gewässer auch für die physische, wirtschaftliche und
kulturelle Entwicklung sozialer Gemeinschaften eine essenzielle Bedeutung haben.
Im Innenraum des Rotundenumgangs verbindet Kara hunderte Fotografien an den Wänden in
Form einer Wandtapete mit abstrakten Malereien. Ihre Gemälde sind eine künstlerische
Auseinandersetzung mit der Vielfalt und dem Wandlungsprozess von Ornamenten in kurdischen
Tapisserien. Die unterschiedlichen Tapisserien weisen in Adaption und Neukomposition der
Motive bereits selbst eine gewisse Abstraktion auf, da Details ausgelassen oder Geometrien
verändert werden. Zugleich spiegeln sich hier auch Geschichten von Migration und
Zwangsumsiedelung von verschiedenen kurdischen Communities. Diese beeinflussen die
Verwendung regionaler Motive und ortsspezifischer kultureller Besonderheiten. Mit ihren
Gemälden schafft Kara aus der spezifischen Ornamentik eine neue figürlich-abstrakte
Bildsprache und webt, indem sie selbst neue Leerstellen kreiert, zugleich ihre eigene
Migrationsgeschichte ein.
Melike Kara (*1985, Bensberg) lebt und arbeitet in Köln. Ihre Arbeiten wurden international
ausgestellt, u. a. in der Kunst Halle Sankt Gallen; der Kunsthalle Zürich; dem Kunstverein für die
Rheinlande und Westfalen Düsseldorf; dem Museum de Fundatie, Zwolle; der Sammlung Philara,
Düsseldorf; der Mead Gallery | Warwick Arts Centre, Coventry (2023); dem Frac des Pays de la
Loire, Nantes; der Neuen Galerie Gladbeck (2022); dem Ludwig Forum Aachen (2021); dem
Kölnischen Kunstverein; dem Wiels Contemporary Art Centre, Brüssel; dem Kunstverein
Göttingen (2020); dem Kunstinstituut Melly, Rotterdam (2019); dem Yuz Museum Shanghai und
dem Dortmunder Kunstverein (2018); sie nahm zudem an der 58. Carnegie International in
Pittsburgh (2022) teil.
Die Ausstellung wird gefördert durch die SCHIRN ZEITGENOSSEN, einem Kreis privater
Förderer junger Kunst an der Schirn Kunsthalle Frankfurt. Die Schirn dankt Jan Bauer und Lena
Wallenhorst, Jochen und Anja Baumann, Olaf Gerber und Nicole Emmerling de Oliveira, Markus
Hammer und Birgit Heller, Philip Holzer, Björn Robens, Reiner Sachs und Brigitta Bailly, Hartmut
und Petra Schröter sowie Sascha und Sevilay Wilhelm für ihr Engagement.
In der Rotunde der Schirn wurden bereits zeitgenössische Positionen u. a. von Maruša Sagadin,
Monster Chetwynd (2023), Amna Elhassan, Carlos Bunga (2022), Caroline Monnet (2020), Karla
Black (2019), Maria Loboda, Neϊl Beloufa (2018), Philipp Fürhofer, Lena Henke (2017), Rosa
Barba, Peter Halley (2016), Heather Phillipson, Alicja Kwade (2015), Andreas Schulze (2014),
Yoko Ono (2013), Bettina Pousttchi (2012), Barbara Kruger (2010), Eva Grubinger (2007), Jan
De Cock (2005), Ayşe Erkmen und Ólafur Eliasson (2004) präsentiert.
KATALOG MELIKE KARA. SHALLOW LAKES herausgegeben von Sebastian Baden, mit einem
Vorwort des Direktors der Schirn Kunsthalle Frankfurt Sebastian Baden, deutsch-englische
Ausgabe, 64 Seiten, 40 Abbildungen, 16 x 22 cm (Querformat), Softcover, DISTANZ Verlag,
ISBN 978-3-95476-645-1.